„Neueinstellung. Bitte verwenden Sie den Plural!“ steht auf einem Plakat der Bildungsgewerkschaft GEW in Baden-Württemberg. Die heute in Stuttgart vorgestellte Lehrerbedarfsprognose (PDF) für weiterführende Schulen und Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) ergibt einen Mehrbedarf von mindestens 6.200 Lehrerstellen bis zum Jahr 2030. Als Sofortmaßnahme gegen den Lehrermangel schlägt die GEW eine Erhöhung der Altersermäßigung vor, da nur jede vierte Lehrkraft bis zur Altersgrenze arbeitet.
„Diese Landesregierung hat eine einmalige Chance. Die Kassen sind voll und die Daten für eine verlässliche Lehrerbedarfsplanung liegen vor. Wenn die Regierung Kretschmann jetzt handelt, mehr Studienplätze und neue Lehrerstellen schafft, kann sie Fehler früherer Landesregierungen vermeiden und den drohenden Lehrermangel in den weiterführenden Schulen verhindern. Wir brauchen mindestens 6.254 zusätzliche Stellen allein aufgrund der steigenden Schülerzahlen. Wenn wir unsere Schulen mit Ganztagsangeboten, einer höheren Vertretungsreserve und Klassenleitungsstunden besser machen wollen, muss die Landesregierung in den nächsten 15 Jahren 10.500 neue Stellen schaffen“, sagte Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, in Stuttgart.
„Wir brauchen mehr Studienplätze“ (Doro Moritz, GEW-Landesvorsitzende)
Grundlage der Studie des Essener Bildungswissenschaftlers Prof. Klaus Klemm ist eine Analyse der Schülerzahlen bis zum Jahr 2035. Die Berechnungen der Kultusministerkonferenz (KMK) und die Schülerzahlprognosen des Landes Baden-Württemberg beruhen auf einer Bevölkerungsvorausschätzung mit dem Basisjahr 2014 und enden 2025. Klemm, der auch Mitautor vieler bundesweiten Lehrerbedarfsprognosen ist, hat dagegen neuere Entwicklungen berücksichtigt und berechnet die Schülerzahlen bis zum Jahr 2035.
Klemm hatte 2017 eine Lehrerbedarfsprognose für die Grundschulen im Südwesten (PDF) vorgelegt, nach der bis 2030 fast 12.000 Stellen neu besetzt werden müssen. Auf Druck der GEW werden jetzt bis zum Wintersemester 2019/20 400 zusätzliche Studienplätze geschaffen. „Die Zahlen für die weiterführenden Schulen zeigen, dass wir auch mehr Studienplätze für Sonderpädagogik und das Lehramt Haupt-/Werkreal- und Realschulen brauchen“, sagte Moritz. „Die Nachfrage nach Lehrkräften für die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) wird auf absehbare Zeit bei weitem nicht gedeckt werden können“, heißt es in der Klemm-Studie.
Die GEW-Chefin Moritz kritisiert die aktuellen Maßnahmen des Kultusministeriums gegen den Lehrermangel als „wenig wirksamen Aktionismus“ und schlägt ein 12-Punkte-Programm zur Gewinnung von Lehrkräften vor.
Konzept für die beruflichen Schulen fehlt
Die GEW erwartet vom Kultusministerium ein Konzept zur Lehrergewinnung an beruflichen Schulen. In Folge des sogenannten „strukturellen Unterrichtsdefizits“ sind dort 270 Stellen nicht besetzt, gleichzeitig schieben die Lehrkräfte eine Überstundenbugwelle im Umfang von 2.000 Stellen vor sich her.
„Alle reden in der Politik von der Fachkräftegewinnung, behandeln aber die beruflichen Schulen als Stiefkinder. Wir erwarten ein Konzept für die Probleme, einen Ausbau der Vertretungsreserve um 430 Stellen auf fünf Prozent, Stellen für Sprachförderung und die überfällige Einführung eines zweiten vollständigen Berufsschultags“, so die Landesvorsitzende.
12-Punkte-Programm zur Gewinnung von Lehrkräften
Die GEW schlägt auch kurzfristig wirksame Maßnahmen gegen den Lehrermangel vor. Dazu gehört eine Erhöhung der Altersermäßigung mindestens ab dem Alter von 63 Jahren. Dadurch soll erreicht werden, dass mehr Lehrkräfte bis zur gesetzlichen Altersgrenze im Dienst bleiben. Derzeit arbeiten nur 26 Prozent bis zur gesetzlichen Altersgrenze. Die Erhöhung dieses Prozentsatzes schafft nicht nur zusätzliches Unterrichtsvolumen, sondern trägt sogar zur Senkung der Versorgungsausgaben bei.
Ein zügiger Ausbau der Vertretungsreserve wäre vor allem in den Gymnasien sofort möglich. „Wir haben für viele Fächer genug Bewerberinnen und Bewerber auf dem Arbeitsmarkt. Es ist angesichts der vielen Ausfälle längst überfällig, die feste Vertretungsreserve mit zusätzlichen Planstellen auszubauen und für eine bessere Unterrichtsversorgung zu sorgen“, sagte Moritz.
In der ständigen Lehrerreserve sind 1.666 Stellen, gleichzeitig gibt es pro Schuljahr 6.000 bis 7.000 Lehrkräfte, die längere Zeit ausfallen, die meisten aufgrund von Mutterschutz und Elternzeit. Grüne und SPD hatten sich 2011 auf einen Ausbauplan geeinigt und wollten jährlich die Lehrerreserve um 200 Stellen ausbauen. Der Ausbauplan wurde nach zwei Jahren wieder eingestellt, obwohl die Zahl der Ausfälle weiter steigt.
„Was spricht dagegen, diesen Ausbauplan sofort wieder aufzunehmen? Seitdem ist die Zahl der jungen Lehrkräfte, die Kinder bekommen, weiter gewachsen und die Zahl der Ausfälle steigt kontinuierlich. Gleichzeitig haben im September 2018 2.000 Gymnasiallehrkräfte keine Stelle bekommen“, so die GEW-Chefin.
Bessere Bezahlung in Mangelfächern
Übergangsweise sollen nach dem GEW-Maßnahmenpaket Grundschulen und die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren als Mangelbereiche definiert werden. Dies ermöglicht bei der Eingruppierung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) höhere Stufen.
Regional soll es möglich sein, weitere Mangelbereiche in anderen Schularten zu definieren. In den beruflichen Schulen werden solche Regelungen bereits angewandt.
Zulage für Referendariat in Mangelbereichen
An beruflichen Schulen gibt es seit vielen Jahren Anwärtersonderzuschläge. Direkteinsteigerinnen und -einsteiger an beruflichen Schulen erhalten in den ersten Jahren zwischen 50 und 350 Euro monatlich zusätzlich, in der Metall- und Elektrotechnik werden zum Teil höhere Beträge gezahlt.
Die GEW schlägt vor, solche Regelungen auch für die Grundschulen im ländlichen Raum, in bestimmten Städten sowie für Fächer und Schularten, in denen Lehrermangel herrscht, einzuführen.