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Ganztag

Gemeinsam Lern- und Lebensräume gestalten

In den Lern- und Lebensräumen können sich alle wohlfühlen und erleben durch Gebundenheit mehr Chancengleichheit. Verlässlich. Inklusiv. Kostenfrei.

Foto: GEW/Shutterstock

Der Ganztagsanspruch für Grundschüler*innen kommt aufwachsend ab 2026. Das ist in Baden-Württemberg eine immense Herausforderung für die kommunale Familie, die als Schulträger einen großen Teil der Verantwortung trägt. Aber auch die Landespolitik steht in der Verantwortung, da sie die notwendigen Rahmenbedingungen setzen und mit den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam in der Schulträgerschaft des 21. Jahrhunderts die Finanzierung und Umsetzung gestalten muss.

Ganztag ist eine enorme Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Kinder. Dieses Ziel eint die meisten Menschen, die sich in der Bildung und der Bildungspolitik engagieren.

Die GEW möchte ihren Teil dazu beitragen. Wir wollen Fragen beantworten, eine sachliche Diskussion vorantreiben, gemeinsam das Beste für unsere Kinder umsetzen und dabei die Arbeitsbedingungen derjenigen, die den Ganztag gestalten sollen und wollen, nicht aus den Augen verlieren. Nur gut qualifizierte Menschen, die unter guten Arbeitsbedingungen den Ganztag gestalten, können beste Bildungschancen ermöglichen.

Wir machen uns stark für gewinnbringende Diskussionen, ernsthaftes Ringen um den besten Weg und tragfähige Ergebnisse zum Wohle unserer Kinder.

In Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung:

  • am 22. Oktober 2024 in Aulendorf
  • am 26. November 2024 in Freiburg

Die Abschlussveranstaltung findet am 28. März 2025 im Haus der Geschichte in Stuttgart statt.



Ganztag – unverzichtbar und gut!

Im Juli 2021 verabschiedeten Bundestag und Bundesrat das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG). Das Gesetz beinhaltet die stufenweise Einführung eines Anspruchs auf ganztägige Förderung für Grundschulkinder. Ab dem Schuljahr 2026/2027 haben alle Erstklässler*innen einen Anspruch auf acht Stunden Betreuung an fünf Werktagen. Die Unterrichtszeit wird angerechnet. Der Rechtsanspruch soll auch in den Ferien (14 Wochen) gelten, dabei können Länder eine Schließzeit bis maximal vier Wochen regeln. Ab dem Schuljahr 2029/2030 wird jedes Grundschulkind der Klassenstufen 1 bis 4 diesen Anspruch auf ganztägige Betreuung und Förderung haben. Das Angebot ist jedoch für die Kinder nicht bindend. Diese gesetzlichen Grundlagen sind in §24 SGB VIII verankert.

Der derzeitige Ausbaustand des Ganztags ist in Baden Württemberg auf niedrigem Niveau. Die GEW geht davon aus, dass der zu erwartende Betreuungsbedarf ohne große Anstrengungen nicht erfüllt werden kann. Das Deutsche Jugendinstitut prognostiziert, dass im Endausbau 2029/2030 in Baden-Württemberg 60.600 bis 87.000 zusätzliche Ganztagsplätze nötig sein werden.

Es ist zu befürchten, dass angesichts des hohen Ganztagsplatzbedarfs unverbindliche, sparsame Lösungen gesucht werden und die Qualität der Bildung, Erziehung und Betreuung auf der Strecke bleibt. Das Wohl der Kinder und die guten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, ein guter Ganztag eben, müssen aber zentrale Anliegen bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs sein.

Die GEW Baden-Württemberg sieht die gebundene Ganztagsschule als die effektivste Form, um Kindern ein gutes Lernen und Leben in der Schule zu ermöglichen. Qualitativ hochwertige Ganztagsschulen sind eine große Chance, gesellschaftlich verursachte Bildungsbenachteiligung zu mildern. Ihr Ausbau ist daher dringend voranzubringen. Realistisch betrachtet können in der Kürze der Zeit nicht ausreichend viele Grundschulen als Ganztagsschulen ausgestattet werden. Es mangelt an Lehrkräften und Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe, außerdem sind bauliche Maßnahmen erforderlich, die nicht schnell genug auf den Weg gebracht werden können.

Dort, wo vorerst keine gebundenen Ganztagsschulen möglich sein werden, plädiert die GEW dafür, Horte zu erhalten beziehungsweise für kommunale Betreuungs- und Bildungsangebote zu sorgen, die Standards analog der Horte aufweisen.

Guter Ganztag muss ein attraktives Bildungsangebot sein, bei dem sich Lernen, Zeit zum Spielen und Entspannen abwechseln. Unterschiedliche pädagogische Fachkräfte arbeiten in multiprofessionellen Teams zusammen. Gemeinsam gestalten sie mit allen Beteiligten Lern- und Lebensräume, in denen sich alle wohlfühlen und durch Gebundenheit gleiche Chancen haben.

Guter Ganztag geht nur mit:

  • einer tragfähigen und soliden Finanzierung
  • rechtlichen Rahmenbedingungen
  • angemessen hohen Qualitätsstandards
  • qualifiziertem und ausreichendem Personal
  • unkomplizierter Kooperation, für die Ressourcen eingeplant sind
  • Schulautonomie und guten Lösungen vor Ort
  • Unterstützung, Entlastung und Förderung

Ganztag nur mit tragfähiger und solider Finanzierung

Der Bund unterstützt die Länder bis Ende 2027 beim Aufbau des Ganztags an Grundschulen mit 3,5 Milliarden Euro, die hauptsächlich für bauliche Investitionen, Ausstattung in Schulen, kommunale Angebote sowie teilweise für Betriebskosten ausgegeben werden dürfen. Baden-Württemberg stehen derzeit Investitionsmittel in Höhe von etwa 390 Millionen Euro zur Verfügung. Nach Bedarfsberechnungen des DJI liegen die Investitionskosten für den Ganztagsausbau in Baden-Württemberg zwischen 368 und 530 Millionen Euro. Je nach Fachkraftmodell kommen hier noch jährliche Betriebskosten zwischen 161 und 378 Millionen Euro hinzu. Ab dem Jahr 2030 will der Bund sich mit 1,3 Milliarden jährlich an den Betriebskosten beteiligen.

Seriös finanziert ist das Reformvorhaben „Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule“ bislang nicht. Mit der Finanzierung durch befristete Programme steht der Rechtsanspruch auf unsicheren Beinen.

Ein erster wichtiger Schritt muss jetzt sein, den flächendeckenden Bedarf zu erheben, um Handlungssicherheit zu haben. In einem weiteren Schritt sind Absprachen von Bund, Ländern und Schulträgern erforderlich, die für langfristige finanzielle Planungssicherheit sorgen. Vereinbart werden muss die Konnexität für den Ausbau der Infrastruktur, für die Betriebskosten und die Kosten der Ferienbetreuung. Die dauerhafte Verankerung im Finanzausgleichsgesetz ist dafür notwendig.

Bei der Finanzierung sollte prioritär der Ausbau von gebundenen Ganztagsschulen stehen, die selbstverständlich gebührenfrei sind. Dies schließt eine kostenfreie Verpflegung ein.

In § 4a des Schulgesetzes Baden-Württemberg ist die Möglichkeit eröffnet, dass Schulen zur Einbindung außerschulischer Partner (zum Beispiel Sportverein, Musikschule, Jugendhilfe und so weiter) maximal 50 Prozent ihrer zusätzlich zugewiesenen Ganztagslehrkräftewochenstunden monetarisieren und damit die Angebote außerschulischer Partner im Ganztagsschulbetrieb finanzieren können. Die GEW lehnt es ab, die Zuweisung von ohnehin zu knapp bemessenen Stellen für Lehrkräfte in schlecht bezahlte Stellen für außerschulische Mitarbeiter*innen umzuwandeln („Monetarisierung“). Die Einstellung von zweifelsohne notwendigem zusätzlichem Personal darf nicht über geringfügige und prekäre Beschäftigungsverhältnisse erfolgen.

Die Forderung nach tariflich abgesicherten Arbeitsverhältnissen gilt auch für kommunale Betreuungs- und Bildungsangebote.

Kurz und knapp – Finanzierung:

  • Vorrang der Finanzierung von gebundenen Ganztagsschulen
  • keine Finanzierung von Ganztagsangeboten durch die Monetarisierung von Lehrer*innenstellen und durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse
  • Konnexitätsprinzip bei der Finanzierung von Ganztagsschulen
  • Verankerung im Finanzausgleichsgesetz
  • finanzielle Absicherung während der Ferienzeiten

Ganztag nur mit rechtlichen Rahmenbedingungen

Das Land ist nicht verpflichtet, den Ganztagsanspruch durch den Ausbau von Ganztagsschulen umzusetzen. Zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz müssen lediglich ganztägige Betreuungsangebote vorgehalten werden, die entweder betriebserlaubt nach § 45 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII sind oder unter schulgesetzlicher Aufsicht stehen. Die Landesregierung hat im Oktober 2022 die kommunalen Betreuungsangebote im § 4b Schulgesetz legitimiert. Den Kommunen wurde damit größtmögliche Flexibilität bei der Bereitstellung von kommunalen Angeboten zur Erfüllung des Rechtsanspruchs gegeben.

Die GEW kritisiert, dass die Träger keine Qualitätsstandards erfüllen müssen. Der Rechtsanspruch soll schließlich nicht nur der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Durchsetzung der Gleichberechtigung dienen, sondern zugleich eine qualitätsvolle Bildung und Betreuung der Kinder gewährleisten.

Kinder und Eltern müssen sicher sein, dass die Qualität eines Ganztagsangebots kein Zufall ist. Ein guter Ganztag braucht rechtliche Rahmenbedingungen, die einen für alle Bildungseinrichtungen geltenden Mindeststandard setzen. Der Qualitätsrahmen Ganztagsschule, der derzeit nur den Status der Empfehlung hat, ist eine gute Grundlage zur Ableitung von konkreten rechtlichen Bedingungen. Der Qualitätsrahmen Betreuung erfüllt dies nicht.

Für einen gelingenden Ganztag müssen Mindeststandards analog zu § 45 SGB VIII („Hortstandards“) festgelegt und konkrete rechtliche Regelungen getroffen werden zu:

  • einem Fachkräftegebot,
  • einem Fachkraft-Kind-Schlüssel,
  • pädagogischen Konzepten,
  • Raum und Außenflächen,
  • Kooperationsstrukturen und -zeiten der pädagogischen Professionen mit unterschiedlichen gesetzlichen Aufträgen,
  • Versicherungs- und Haftungsfragen, auch für außerschulische Akteur*innen,
  • geeignetem Verfahren der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zur Sicherung ihrer Rechte,
  • Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten,
  • verbindlicher Umsetzung von Kinderschutzkonzepten.

Im November 2023 hat die Landesregierung die Schulkonferenz entmachtet, die bei der Einrichtung einer Ganztagsschule nicht mehr mitbestimmen kann, sondern nur noch gehört werden muss.

Außerdem wurde durch den Ministerpräsidenten angekündigt, dass alle Grundschulen im Startchancenprogramm gebundene Ganztagsschulen werden müssen. Die GEW befürwortet den Ausbau von Ganztagsschulen, kritisiert jedoch, dass mit diesen Schritten über die Schulen hinweg entschieden wird. Der Ausschluss der Schulkonferenz von einer substanziellen Beteiligung im Antragsverfahren von Ganztagsschulen ist im Blick auf die von einem Kollegium zu erstellende Ganztagskonzeption und schließlich auf den von ihm mitzutragenden Schulentwicklungsprozess kontraproduktiv und völlig inakzeptabel. Aus dem Anhörungsrecht der Schulkonferenz im Antragsverfahren muss deshalb wieder ein rechtlich abgesichertes Entscheidungsrecht werden.

2014 wurde das Gesetz (§ 4a Schulgesetz) für die Ganztagsgrundschule und die Grundstufen der Förderschulen (SBBZ Lernen) verabschiedet; die Ganztagsschule im Primarbereich wurde schulgesetzlich geregelt. Inzwischen sind zehn Jahre ins Land gegangen und ein analoges Gesetz für den Ganztag an den weiterführenden Schulen ist noch immer nicht in Sicht. Nur die Gemeinschaftsschulen sind laut Schulgesetz verbindliche Ganztagsschulen.

Die GEW tritt dafür ein, den Ausbau an allen Sekundarstufe-I-Schulen aus dem jahrzehntelangen Schulversuchsstatus herauszuholen und die Ganztagsschule im Schulgesetz abzusichern. Jeder Schule soll die Möglichkeit eingeräumt werden, zur Ganztagsschule zu werden, ganz unabhängig davon, um welche Schulart es sich handelt. Die teilweise gebundene Form ist nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn es ansonsten bei einer Halbtagsschule bliebe.

Kurz und knapp – Recht:

  • konkrete Standards für alle Ganztagsangebote
  • verbindliche Vorgaben zur Einhaltung des Kinderschutzes
  • Entscheidungsrecht für die Schulkonferenz im Antragsverfahren wieder einführen
  • Ganztagsschulen für alle Schularten der Sekundarstufe I gesetzlich verankern

Ganztag nur mit angemessen hohen Qualitätsstandards

Ein guter Ganztag unterstützt die individuelle Entwicklung der Kinder zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Durch das Mehr an Zeit haben ganztägige Bildungs- und Betreuungseinrichtungen das Potenzial Kinder besser zu fördern und für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu sorgen.

Das gelingt nur, wenn folgende, grundlegende Qualitätskriterien sichergestellt sind:

  • mehr Zeit für eine inklusive Pädagogik
  • gemeinsames Bildungsverständnis von Beschäftigten aus Schule und Kinder- und Jugendhilfe
  • Grundrechte und Teilhabe– Demokratie mit Leben füllen
  • gute und möglichst kostenfreie Verpflegung
  • gemeinsam geplante und gestaltete Lern- und Lebensräume
  • Netzwerke im Sozialraum
  • gute Arbeits- und Rahmenbedingungen für alle Beschäftigten im Ganztag
  • multiprofessionelle Teams als Motor der Ganztagsentwicklung
  • Qualität in Ausbildung, Fort- und Weiterbildung
  • Chancengleichheit wird gefördert
  • datenbasierte Planungsgrundlage
  • nachhaltig und gerecht finanziert
  • zukunftsorientierter rechtlicher Rahmen
  • Steuerungsebenen sind professionalisiert, Verzahnung und Kooperation ist etabliert

In der Rhythmisierung des Schulalltags, also dem Wechsel von Lernformen und Lernangeboten, von Anspannung und Entspannung liegt eine wesentliche Gestaltungskraft des Ganztags. Sie entspricht den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen. Die GEW setzt sich für die pädagogisch anspruchsvollen, Bildungsbenachteiligung ausgleichenden Konzepte des Ganztags ein, wozu auch die Rhythmisierung des Schulalltags als hochrangiges Qualitätsmerkmal gehört.

Im Blick auf dessen Realisierbarkeit kann die GEW die Ganztagsschule in Wahlform so, wie sie jetzt geregelt wird, nicht gutheißen. Diese lässt zu, dass ein Teil einer Klasse das Ganztagsangebot in Anspruch nehmen kann und der andere Teil nicht. Zwar sehen die Ausführungsbestimmungen die Rhythmisierung ausdrücklich auch in der Wahlform vor. Eine sich quer durch die Schule und die einzelnen Klassen durchziehende Differenzierung hat oder besser gesagt, hätte jedoch zur Folge, dass sich der Unterricht auch für die nicht am Ganztag teilnehmenden Kinder auf die Nachmittage erstreckt. Man kann davon ausgehen, dass dies für Eltern, deren Kinder nicht am Ganztag teilnehmen sollen, nicht akzeptabel ist.

Um die Ablehnung dieser Eltern zu vermeiden, müssen die meisten Ganztagsschulen mit Wahlform auf eine wirkliche Rhythmisierung der Tages- und Wochenpläne verzichten und verstellen sich damit den Zugang zu einem qualitativ entscheidenden Gestaltungsprinzip des Ganztags. Um die Rhythmisierung sicherzustellen, sollten nur Ganztagsschulen in der verbindlichen Form und in der Wahlform nur dann, wenn sie sich organisatorisch auf ganze Klassen bezieht, genehmigt werden.

Die GEW tritt dafür ein, in den Ausbau künftig vor allem auch solche weiterführendende Schulen einzubeziehen, die sich um die Umsetzung pädagogischer Konzepte gemeinsamen Lernens bemühen wollen.

Im Qualitätsrahmen Ganztagsschule wird ein „ko-konstruktives“ Zusammenarbeiten als zentral für das Gelingen einer Ganztagsschule gesehen (Anne Sliwka). Damit ist gemeint, dass alle Akteur*innen einer Schule gemeinsam an dem Ziel arbeiten, den Ganztag so zu gestalten, dass die Schüler*innen in ihr einen hervorragenden Lern- und Lebensraum finden. Außerdem sind die Qualitätsmerkmale Zeit, Raum, Partizipation, Kompetenzentwicklung, Ganztagsangebote, Kooperation, Professionalisierung, außerschulische Partner*innen, Eltern, Schulleitung und Qualitätsentwicklung dezidiert ausgeführt und an Kriterien verdeutlicht.

Was fehlt, ist, die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zur Umsetzung in konkrete gesetzliche Vorgaben zu übersetzen und diese finanziell und personell abzusichern. Ohne diesen entscheidenden Schritt sind Qualität und Attraktivität des Ganztags von den Zufälligkeiten und Möglichkeiten vor Ort abhängig.

Kurz und knapp – Qualität:

  • Grundbedingungen: Rhythmisierung des Schulalltags
  • gemeinsames Lernen als pädagogisches Prinzip
  • verbindliche Umsetzung des Qualitätsrahmens Ganztag


Ganztag nur mit qualifiziertem und genügend Personal

Der Ganztag in seinen vielfältigen Anforderungen erfordert Fachkräfte diverser pädagogischer Berufe, die ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen und in enger Zusammenarbeit die individuellen Bedarfe der Kinder und ihrer Familien in den Mittelpunkt stellen. Gut ausgebildete Lehrkräfte, Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen, Kindheitspädagog*innen, Heilpädagog*innen sowie therapeutische Fachkräfte können ein multiprofessionelles Kernteam bilden, um den Aufgaben und Herausforderungen im Ganztag gerecht werden zu können.

„Multiprofessionelle Teams“ sind eine gute und wesentliche Unterstützung des Ganztags. Gerade Ganztagsschulen müssen für ihre besonderen Herausforderungen und mit Blick auf ihre wichtige Rolle hinsichtlich des Angebotes von Bildungschancen für ihre Schüler*innen besser ausgestattet und unterstützt werden. Ihre Akzeptanz auch durch besonders kritische Eltern hängt maßgeblich von der Qualität dieses Bildungsangebotes ab.

Mittel- und langfristig müssen die Studienplätze für das Lehramt, zuerst für Grundschulen und Sonderpädagogik weiter ausgebaut werden. Ziel muss es sein, auch über Bedarf Lehrer*innen auszubilden. In den „21 GEW-Vorschlägen zur Lehrkräftegewinnung in BW“ werden unter anderem Stipendien für Lehramtsstudierende, die sich für wenig begehrte Regionen verpflichten, vorgeschlagen. Auch Zulagen für ein Referendariat in Mangelbereichen könnten helfen.

Aufgrund des Lehrkräftemangels sind die Schulen auf Quereinsteiger*innen angewiesen. Damit diese Menschen gut an den Schulen ankommen und eine qualifizierte Arbeit leisten können, schlägt die GEW seit Jahren ein Modell vor, in dem Menschen ohne Lehramtsstudium eine auf deren jeweilige Biografie bezogene berufsbegleitende Qualifizierung ermöglicht wird. Sie würde die vorab erworbenen Studieninhalte, Berufspraxis und Kenntnisse, die zum Beispiel als Vertretungslehrkraft erworben worden sind, berücksichtigen. Diesen Personen würden dann abgestufte Module angeboten, die die fehlenden Studieninhalte (unter Einbeziehung der Pädagogischen Hochschulen) sowie die Inhalte und Kompetenzen aus dem Vorbereitungsdienst umfassen. Leider wurde dieser Vorschlag bislang nicht von der Landesregierung aufgegriffen.

In Baden-Württemberg werden laut Vorausberechnungen des DJI (2021) bis zum Schuljahr 2029/2030 zur Umsetzung des Rechtsanspruchs zusätzliche Vollzeitstellen von 2.300 bis 5.000 beziehungsweise 3.900 bis 8.400 Personen fehlen. Wegen des hohen Fachkräftemangels werden diese fehlenden Stellen nicht ausschließlich mit Pädagog*innen und Therapeut*innen besetzt werden können. Umso wichtiger wird es sein in allen Bildungseinrichtungen ein gut qualifiziertes pädagogisches Kernteam zu haben, das ergänzt wird durch gut geschulte Zusatzkräfte.

Die derzeitige Regelung der Zuweisung von Personalressourcen durch das Land in Form von Lehrkräftewochenstunden ist in keinem Fall ausreichend, um den Zeitrahmen des Ganztags mit von Lehrkräften durchgeführten Angeboten auszulegen. An die Schule wurde deshalb die Aufgabe delegiert, mit den vom Land zugewiesenen Personalressourcen, mit dem vom Schulträger zur Verfügung gestellten Personal und mit den ehrenamtlich Tätigen oder gering verdienenden Mitarbeiter*innen den Zeitrahmen auszufüllen.

Damit die Teams die Qualitätsstandards des Ganztags realistisch umsetzen und den Kinderschutz gewährleisten können, muss ein Fachkräftekatalog ausgearbeitet und eine Fachkraft-Kind-Relation festgelegt werden. Die Mangelsituation im Personalbereich muss auch durch Maßnahmen wie Basisqualifikationen für Zusatzkräfte, Fortbildungen, Weiterbildungen und die Anerkennung von Qualifikationen wie Jugendbegleiter*innen bei den Ergänzungskräften gemildert werden.

Ziel muss sein, prekäre Arbeitsverhältnisse im Ganztag auszuschließen und tariflich abgesicherte Arbeitsverhältnisse vorzuhalten. Die Träger von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sollten tarifgebunden sein.

Kurz und knapp – qualifiziertes und genügend Personal:

  • gut qualifiziertes pädagogisches Kernteam
  • mehr Studienplätze für die Lehrämter
  • Aufgreifen der „21 Vorschläge der GEW zur Lehrkräftegewinnung“
  • berufsbegleitende Qualifizierung für Quereinsteiger*innen
  • verbindlicher Fachkräftekatalog
  • verbindliche Fachkraft-Kind-Relation
  • Basisqualifikation von Zusatzpersonal
  • Fort- und Weiterbildungsangebote zur Sicherung und Verbesserung der Qualität des Ganztags
  • prekäre Arbeitsverhältnisse ausschließen, Tarifbindung sicherstellen

Ganztag nur mit strukturell verankerter Kooperation

Die GEW fordert, die sozialpädagogische Kompetenz der Jugendhilfe von Anfang an in die pädagogische Konzeptentwicklung und Gestaltung des Ganztags einzubeziehen. Eine solche gemeinsame Konzeptentwicklung trägt entscheidend dazu bei, dass eine vertrauensvolle und koordinierte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen pädagogischen Professionen im Sinne der Kinder und Jugendlichen entstehen kann. Sowohl im Schulgesetz als auch im Landeskinderjugendhilfegesetz muss die verpflichtende Kooperation festgelegt werden. Das Hand-in-Hand-Arbeiten der unterschiedlichen Professionen braucht Absprachen und somit Zeit. Diese Kooperationszeit muss zeitlich und finanziell als reguläre Arbeitszeit anerkannt werden.

Des Weiteren ist es notwendig, außerschulische Partner*innen einzubeziehen. Der Ganztag bietet die Chance, sich durch eine intensivierte Zusammenarbeit mit Eltern, Vereinen, Musik- und Kunstschulen, Bibliotheken und Museen mehr in die kommunale Um- und Mitwelt hinein zu öffnen und zu einer Schule zu werden, in der eine „community education“ gedeihen kann. Die herkömmlichen schulischen Angebote werden erweitert um Angebote der Freizeitgestaltung, der erzieherischen Hilfe und der Betreuung. Es gibt mehr Zeit für ein Lernen in Projekten, für Arrangements altersgemischter Gruppen und für die Zuwendung zu besonderen Zielgruppen.

Im Deputat für Lehrkräfte an Grundschulen ist die Kooperationszeit, die hierfür erforderlich ist, nicht berücksichtigt. Die Einbeziehung der Expertise der Jugendhilfe und die Öffnung der Schule für kompetente und erfahrene außerschulische Mitarbeiter*innen vergrößern deutlich den Organisationsumfang und erfordern deshalb unbedingt eine auf die Zahl der Ganztagsgruppen bezogene Anrechnung und Erhöhung der Leitungszeit für Schulleitungen.

Kurz und knapp – Kooperation:

  • sozialpädagogische Kompetenz der Jugendhilfe in die Ganztagskonzeption einbeziehen
  • Zeit für Kooperation an der Schule tätigen Professionen und mit außerschulischen Partner*innen
  • Kooperationszeiten für Absprachen innerhalb des Kollegiums und für die Schulleitungen
  • Kooperationszeiten mit Deputaten absichern

Ganztag nur mit Schulautonomie und guten Lösungen vor Ort

Die Setzung von Rahmenbedingungen kann und soll nicht jede Eventualität regeln. Unterschiedliche Bedürfnisse der Beteiligten und die örtlichen Gegebenheiten kommen natürlich auch beim Entwickeln der Ganztagsangebote zum Tragen. Es ist deshalb wichtig, den Verantwortlichen an den einzelnen Schulen Handlungsspielräume zu eröffnen für unkomplizierte Entscheidungen und ohne bürokratischen Aufwand.

Es braucht Vertrauen in die Kompetenzen und Fähigkeiten des schulischen Personals und der Kooperationspartner*innen, dass diese die für sich passenden Wege finden, die bildungspolitischen Vorgaben, in diesem Fall das Ganztagsangebot einer Schule, umzusetzen. Deshalb ist es auch zwingend, die Schulkonferenz wieder an der Entscheidung für oder gegen eine Ganztagsschule zu beteiligen.

Kurz und knapp – Autonomie:

  • größere Handlungsspielräume für Schulleitungen und Lehrkräfte
  • weniger Bürokratie, keine kleinteiligen Vorgaben

Ganztag nur mit Unterstützung, Entlastung und Förderung

Sehr viel mehr und anders, als es die herkömmliche Unterrichtsschule sein durfte und konnte, muss die Ganztagsschule auch zu einem akzeptablen und vollwertigen Arbeitsplatz für das pädagogische Personal werden. Auch hier müssen die Arbeitsbedingungen und Räumlichkeiten den Anforderungen genügen, die aus dem pädagogischen Konzept hervorgehen (zum Beispiel Teambildung).

Mit einem gewandelten Verständnis von Schule muss zweifellos auch ein verändertes Verständnis von Schularbeit, von der Arbeit von Lehrer*innen einhergehen. Dabei erweisen sich die bisher gehandhabten Arbeitszeitregelungen auf der Basis von Deputaten geradezu als Einfallstor für ein ungeregelten Zugriff auf eine Mehrbelastung. Gesellschaft und Politik müssen wissen, dass die Ganztagsschule nur zu haben ist, wenn sich die veränderten Anforderungen an die Lehrkräfte in klaren, zumutbaren und nachvollziehbaren Arbeitszeitregelungen widerspiegeln. Die GEW setzt sich dafür ein, die Vereinbarkeit der pädagogischen Konzepte mit den Arbeitsbedingungen, mit der Belastbarkeit und der Gesundheit der Beschäftigten in Einklang zu bringen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang die Teilzeitbeschäftigten.

Im Blick auf die deutlich vermehrten schulischen Angebote, die nicht der hergebrachten 1:1-Umsetzung von Deputaten entsprechen, sollte aus Gründen der Gleichbehandlung und Vergleichbarkeit die arbeitszeitrechtliche Bewertung der Lehraufträge nach einer landesweit gültigen Zuordnung erfolgen. Dazu sollten sich die Bezeichnungen und die Zuordnung der Betreuungs- und Unterrichtsangebote an bereits eingeführte Organisationsformen anschließen und unmissverständlich definiert werden.

Nur wenn es gelingt, die Ganztagsschule mit ihren veränderten Anforderungen als eine Schule erfahrbar zu machen, die auch Entlastung und Entspannung kennt, können die Lehrer*innen als engagierte Bündnispartner für ihre nachhaltige Realisierung gewonnen werden.

Kurz und knapp – Unterstützung und Entlastung:

  • neue Arbeitszeitmodelle, die Betreuung und andere außerunterrichtliche Aufgaben abbilden
  • Arbeitsplätze an den Schulen
  • Arbeitsbedingungen insbesondere der Teilzeitkräfte beachten
Kontakt
Ricarda Kaiser
Stellvertretende Landesvorsitzende