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MdL Hoffmeister Kraut

GEW im Gespräch mit Ministerin

Aktuelle Probleme in der baden-württembergischen Bildungspolitik waren das Thema eines Gesprächs zwischen der Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und der Kreisvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Martina Jenter-Zimmermann, die seit kurzem auch Bezirksvorsitzende der GEW Südwürttemberg ist, dem Kreisvorsitzenden Bernd Romer und der Gymnasiallehrerin Anja Kilian, der GEW-Vertrauensfrau an der Gemeinschaftsschule Sichelschule. Frau Dr. Hoffmeister-Kraut wurde gebeten, sich in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete des Wahlkreises für die Belange der Beschäftigten im Bildungsbereich einzusetzen.

Zunächst thematisierten die GEW- Kreisvorsitzenden den akuten Lehrkräftemangel, der vor allem an den Grundschulen ein großes Problem ist. Der ländliche Raum – und hiermit eben auch der Zollernalbkreis –  sei davon besonders stark betroffen. Viele Stellen hätten in diesem Schuljahr nicht besetzt werden können, eine Besserung sei in den nächsten Jahren nicht zu erwarten – die angespannte Lage werde sich im Gegenteil bis zum Schuljahr 2025/26 noch verschärfen. Vor dem Hintergrund der desaströsen Versorgungslage sei es zwar einerseits nachvollziehbar, dass seitens des Kultusministeriums nun neben der Rückholung bereits pensionierter Lehrkräfte auch Gymnasiallehrkräfte rekrutiert würden, um die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Andererseits entstehe hier einmal mehr der Eindruck der fehlenden Wertschätzung der Kultusministerin für die Grundschullehrkräfte. „In einer berufsbegleitenden „Schnellbleiche“ während der Dauer eines Schuljahres folgen einer einwöchigen Grundqualifizierung insgesamt 15 sechsstündige Ausbildungstage. In dieser kurzen Zeit ist es sogar bei hoher Motivation und großem persönlichen Engagement unmöglich, mehr als ein oberflächliches Grundlagenwissen über die methodischen und didaktischen Erfordernisse in der Grundschule – insbesondere des hochkomplexen Anfangsunterrichts –  zu erweben. Es entsteht der falsche Eindruck, dass schnell und nebenbei gelernt werden kann, was Grundschullehrkräfte können müssen. Dies führt zu einer Abwertung des Berufsbildes“, kritisierte Martina Jenter-Zimmermann. Es sei deshalb zu befürchten, dass auch die Schaffung zusätzlicher Studienplätze und die Beseitigung des hohen Numerus Clausus für das Grundschullehramt nicht den gewünschten Effekt hätten, die Attraktivität des Berufes und damit die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger zu erhöhen. „Grundschullehrkräfte, bei denen es sich übrigens fast ausschließlich um Frauen handelt, verdienen bei höherer Arbeitszeit im Vergleich zu den anderen Lehrämtern am wenigsten. Für Männer, die eigentlich dringend in den Grundschulen benötigt werden, kommt dieser Beruf deshalb kaum mehr infrage“, so Jenter-Zimmermann.

Ein weiteres Problem und absolut nicht hinnehmbar sieht die GEW darin, dass die Grundschule die einzige Schulart sei, die keine Poolstunden für Fördermaßnahmen und Differenzierung zur Verfügung habe. Um Förderunterricht in Deutsch und Mathematik anbieten zu können, werde der Fremdsprachenunterricht in Klasse 1 und 2 gestrichen. „In keiner anderen Schulart würde die Landesregierung es wagen, den Pflichtunterricht zu kürzen, um für einen Teil der Schülerinnen und Schüler Fördermaßnahmen anbieten zu können“, betonten die Kreisvorsitzenden.

Bernd Romer merkte an: „Die Rahmenbedingungen – sowohl im Vergleich mit anderen Schularten als auch mit anderen Bundesländern – sind an baden-württembergischen Grundschulen besonders schlecht.“ Die Kritik am Leistungsniveau der Grundschulen steht besonders seit der Veröffentlichung des IQB-Bildungstrends 2015 und 2016 in der Kritik. Die Lehrkräfte mussten es sich zu Unrecht gefallen lassen, dass beispielsweise eine bestimmte Methode des Schriftspracherwerbs von der eigenen Ministerin verboten wurde. Für die GEW stehe außer Frage, dass nicht die Arbeit der Lehrkräfte, sondern die Arbeitsbedingungen an den Grundschulen kritikwürdig seien und nachhaltig verbessert werden müssten. Mehr Tests und zentrale Klassenarbeiten würden jedenfalls nicht zu mehr Unterrichtsqualität führen, erklärten Jenter-Zimmermann und Romer.
Anja Kilian berichtete, dass sie als Gymnasiallehrerin vom Konzept der Gemeinschaftsschule überzeugt sei und es deshalb immer ihr Wunsch gewesen sei, an einer Gemeinschaftsschule zu unterrichten. Durch das längere gemeinsame Lernen aller Kinder entkoppelten die Gemeinschaftsschulen wie keine andere Schulart die Herkunft und den Bildungserfolg eines Kindes. Für die Vorbereitung des Unterrichts auf drei Niveaustufen, das Erstellen von Lernentwicklungsberichten anstelle von Ziffernnoten, Lerncoaching und intensive Elternarbeit benötigten die Kollegien allerdings wesentlich mehr zeitliche Entlastung. Hinzu käme, dass die Gemeinschaftsschulen neben den Grundschulen einen Großteil der Verantwortung für inklusive Beschulung für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf übernehmen. Gerade bei der Inklusion fühlten sich die Schulen von den politisch Verantwortlichen im Stich gelassen. Um den Anforderungen gerecht zu werden sei deshalb eine wesentlich höhere Stundenzuweisung von Sonderpädagoginnen unerlässlich. Anja Kilian bemängelte: „Es ist unmöglich, eine ganz neue Schulart kostenneutral und ohne angemessene Unterstützung umzusetzen. Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen agieren am Rand der völligen Erschöpfung.“

Die Ministerin zeigte großes Interesse an den angesprochenen Themen und sicherte zu, diese in die politische Diskussion einzubringen.