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Mitglieder im Ruhestand

Besuch im evangelischen Stift in Tübingen

Empfangen, begrüßt, kurzweilig und fachkundig unterrichtet und geführt wurden die Besucher von einer Studentin, die einiges zur wechselvollen Geschichte des Stiftes, eines ehemaligen Augustinerklosters, erzählte. Eng angebunden an die Universität Tübingen, ist das Evangelische Stift das Studienhaus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Für neun Semester erhalten evangelische Studierende, die ein Lehramt an Gymnasien in Baden-Württemberg oder ein Pfarramt in Württemberg anstreben, ein Stipendium. Dieses umfasst die Wohnmöglichkeit im Hause, die Verpflegung und die wissenschaftliche Begleitung.

1536 wurde die Einrichtung durch Herzog Ulrich von Württemberg gestiftet. Das Gebäude erfuhr in den Jahren seines Bestehens diverse Um- und Neugestaltungen sowie auch Nutzungsänderungen. Nach dem romanischen Klosterbau erfolgte ein gotischer Neubau und später ein klassizistischer Umbau. Dazwischen wurden Schäden aus dem Dreißigjährigen Krieg beseitigt. Aber nicht nur bauliche Veränderungen fanden statt. So hielt auch das Gedankengut der französischen Revolution Einzug in das Stift. Herzog Carl Eugen zeigte sich wenig erbaut über den demokratischen Geist im Stift. Und was hätte er erst dazu gesagt, dass 1969 Studentinnen ins Stift aufgenommen wurden? Im Ersten Weltkrieg diente das Stift als Lazarett und während des Nationalsozialismus‘ „erlebte das Stift schwierige Zeiten“.

Die Begleiterin der Besuchergruppe führte die Gruppe vom Speisesaal ausgehend, in dem früher eine Sitzhierarchie mit einem Primussystem galt, durch das ganze Haus und erklärte die einzelnen Räumlichkeiten und wusste neben den sachlichen Informationen auch Erheiterndes und Skurriles zu berichten. So besuchten die Gäste den Karzer, in dem Studenten, die über die Stränge geschlagen hatten, einsitzen mussten. Die erstsemestrigen Studenten schliefen gemeinsam in einem Zimmer, dem „Ochsenstall“. Unter den Studenten befanden sich eine ganze Reihe illustrer Geister, wie etwa Kepler, Mörike, Schelling, Hegel und auch Hölderlin. Letzterer verfügte über ein recht ansehnliches „Sündenregister“ und über ihn ist in seinem ausgestellten Zeugnis sinngemäß zu lesen, dass er seinen Fleiß noch unter Beweis stellen müsse. Zu erfahren war, dass es vor etwa 200 Jahren Mode war, arabisch zu lernen. Das Stift, das vom Land Baden-Württemberg unterstützt wird, verfügt über ein erlesenes Tafelsilber, dass früher auch regelmäßig in Benutzung war. Doch ein gewisser „Schwund“ ließ die Verantwortlichen inzwischen etwas weniger großzügig mit der Benutzung umgehen.

Bei der Auswahl der Studierenden - zurzeit sind es etwa 150 - „hat der Oberkirchenrat ein gewichtiges Wort mitzureden“, ließ die führende Begleiterin die Gruppe wissen. Bevor der Rundgang im Hof vor dem alten Brunnen endete, traf man sich noch in der 1945 eingerichteten Kapelle.

Text/Foto: Bernd Ullrich