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Baden-Württemberg

100 Jahre Schulpsychologie

Die Geschichte der Beratungsarbeit ist auch eine Geschichte, wie das Land Baden-Württemberg die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen gesteuert, gefördert oder vernachlässigt hat.

Foto: GEW/Shutterstock

1. November 1922: Geburtsstunde der Schulpsychologie in Baden-Württemberg und in Deutschland

Damals nahm der erste deutsche Schulpsychologe Dr. Hans Lämmermann in Mannheim seine Arbeit auf. Zu seinem Aufgabenbereich gehörten Schullaufbahn, Einzelfall-, Berufs-, Systemberatung und Aktionsforschung.

1933: Psychologie wurde damals vorwiegend mit dem Juden Sigmund Freud assoziiert. 1933 schlossen daher die Nazis die erste deutsche schulpsychologische Beratungsstelle.

1950: Es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis am 11. September 1950 wieder eine schulpsychologische Beratungsstelle in Heidelberg eröffnet wurde. 1953 wurde die Beratungsstelle in Mannheim wiedereröffnet.

1956/1957: Die ersten Beratungslehrer*innen, die sogenannten Schuljugendberater*innen, wurden ausgebildet.

1960er-Jahre: 1964 erschien Georg Pichts Artikelserie „Die deutsche Bildungskatastrophe“. 1965 formulierte Ralf Dahrendorf „Bildung als Bürgerrecht“: „Jeder Mensch hat ein Recht auf eine seiner Leistungsfähigkeit ­entsprechende weiterführende Ausbildung.“

Um dem drohenden Bildungsnotstand zu begegnen, wurden viele Rettungsmaßnahmen ergriffen. Unter anderem wurden die ersten schulpsychologischen Dienste institutionalisiert. In Baden-Württemberg entstanden die ersten fünf Bildungsberatungsstellen im ländlichen Raum: Mosbach, Schwäbisch Hall, Balingen, Villingen, Biberach. Das soziale und regionale Bildungsgefälle sollte abgebaut werden. Für die „Ausschöpfung der Begabungsreserven“ wurden Psycholog*innen benötigt, die die Fähigkeiten der Schüler*innen mittels Testdiagnostik erfassen und die Kinder den entsprechenden Schularten „zuführen“ können.

In dieser Anfangsphase trat die Schullaufbahnberatung in den Vordergrund. Den Schüler*innen sollte Unter- oder Überforderung „erspart“ bleiben und der Gesellschaft sollten „Kosten erspart“ werden, die durch Fehlentscheidungen von Schullaufbahnen entstehen.

Nur 7,5 Prozent eines Jahrgangs machten Anfang der 60er-Jahre das Abitur. Ein politisches Ziel war die Verdoppelung dieses Anteils.

Die Tätigkeit der ersten Bildungsberater*innen wurde ausführlich dokumentiert und verdeutlichte den Nutzen der Psychologie für die Bildungspolitik. Dies hatte nachhaltige Auswirkung auf den Schulentwicklungsplan, und die Schulpsychologie genoss das Ansehen der Politik.

Bei Schulverwaltung und Lehrkräften waren die Psycholog*innen hingegen nicht überall willkommen. Da mussten sich „erfahrene“ Pädagog*innen plötzlich mit jungen Psycholog*innen an den Tisch setzen und ihre Arbeit in Frage stellen. Zudem hatte die wissenschaftliche Psychologie durch ihre „Einmischung“ in pädagogische „Pfründe“ nicht nur positive Resonanz hinterlassen.

Dennoch waren die ersten Jahre von Euphorie und Tatendrang geprägt. Durch persönliche Kontakte und positive Erfahrungen wurden viele Vorbehalte abgebaut.

1969: Bis 1975 wurden circa 700 Beratungslehrkräfte ausgebildet und die Bildungsberatung im Schulgesetz verankert.

1979: Das einheitliche Konzept der schulpsychologischen Arbeit ging nach dem Wechsel zu den Oberschulämtern verloren. Allmählich wandelte sich die Tätigkeit von der Bildungsberatung zur schulpsychologischen Beratung, von umfassenden Untersuchungen und wissenschaftlichen Begleitungen zur Weiterentwicklung des Bildungswesens hin zu Einzelfallhilfe bei auftretenden Schulschwierigkeiten und Schullaufbahnfragen. Mit der Beratungslehrkräfteaus- und -fortbildung und der Supervision kam eine weitere Aufgabe hinzu.

1980: Beginn der Mitwirkung an der schulinternen, regionalen und zentralen Lehrkräftefortbildung.

1983: Die Bildungsberatung und Schulpsychologie war 1983 ernsthaft gefährdet, als der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag, Erwin Teufel, laut über eine Auflösung der Bildungsberatungsstellen und die Verlagerung der Psycholog*innen in den Jugend-Strafvollzug nachdachte.

1984: Erlassung neuer Richtlinien für die Bildungsberatung. Zum ersten Mal wird von Schulpsychologen statt von Bildungsberatern gesprochen.

1997: Änderung der Richtlinien für die Bildungsberatung. Der Name Bildungsberatungsstellen wurde durch den Begriff Schulpsychologische Beratungsstellen ersetzt.

2000: Acht weitere psychologische Schulberater*innen wurden in den Oberschulämtern eingestellt.

2007: 50 neue Schulpsycholog*innen wurden eingestellt.

2009: Eingliederung der Schulpsychologischen Beratungsstellen in die Staatlichen Schulämter.

2010: Ausbau der Schulpsychologie nach dem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden.

2013: 218,5 Planstellen stehen für Schulpsycholog*innen zur Verfügung.

2019: Eingliederung der Schulpsychologischen Beratungsstellen in die Regionalstellen des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL).

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
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