Kommentar: Das Messen allein löst keine Probleme
"Das Messen allein löst keine Probleme", meint der stellvertetende Landesvorsitzende Michael Hirn. Überlegungen zu einer Neugestaltung der Arbeitszeit ersetzen nicht die mangelhafte Ausstattung der Schulen.
Keine Frage: Viele Lehrkräfte fühlen sich überlastet – und das zu Recht. Die Aufgaben außerhalb des Unterrichts nehmen seit Jahrzehnten kontinuierlich zu. Lehrkräfte und Schulen sollen immer mehr Aufgaben übernehmen. Man hört oft wie Lehrkräfte sagen „Wenn ich mich auf den Unterricht konzentrieren könnte, wäre alles in Ordnung.“ Allerdings: Dazu wird es nicht mehr kommen. Die Gesellschaft verändert sich, Kinder kommen mit anderen Kompetenzen in die Schule als früher, der Auftrag auf die Schulen wird komplexer. Darauf muss das System Schule reagieren. Und die Erfassung, Definition und Begrenzung der Arbeitszeit der Lehrkräfte wird die Überlastung der Lehrkräfte deshalb auch nicht lösen können. An Schulen können künftig nicht nur Lehrer*innen arbeiten. Schulen müssen für die Bewältigung immer komplexer werdender Aufgaben multiprofessioneller werden. Und damit ist etwas Anderes gemeint als das, was vom Kultusministerium in Alibi-Modellversuchen erprobt wird: Statt Geld für befristet Beschäftigte brauchen Schulen fest angestellte Schulsozialarbeiter*innen, Theaterpädagog*innen, Lerntherapeut*innen und andere Fachleute. Lehrkräfte und Schulleitungen müssen von mehr Sekretär*innen, Hausmeistern und anderen Veraltungsfachkräften bei der Verwaltung und Organisation der Schulen entlastet werden.
Das Deputatsmodell als Arbeitszeitregelung der Lehrkräfte ist seit Jahren umstritten. Zu Recht. Aber warum halten alle Bundesländer außer Hamburg daran fest? Natürlich weil es durch seine Unbestimmtheit Vorteile für die Länder als Arbeitsgeber hat. Aber auch, weil an überzeugenden Alternativen mangelt. Auch das Hamburger Modell ist nicht nur aus Sicht der dortigen GEW aus zwei Gründen fragwürdig: Es hat bei seiner Einführung die (zu knappen) Ressourcen nur anders verteilt, es wurden keine neuen Stellen geschaffen. Und die Faktorisierung (Fächer werden je nach „Aufwand“ unterschiedlich gewichtet) erleben viele Beteiligte als ungerecht.
Bei der Arbeitszeit der Lehrkräfte ist das Schwierige gar nicht das Erfassen. Das Problem ist der nicht erkennbare politische Wille der Landesregierung, an der Konzeption und Ausstattung der Schulen etwas Wesentliches zu ändern. Deshalb besteht die Gefahr, dass nach der Messung der Arbeitszeit die Reaktion der Politik sein wird: Wer zu viel arbeitet ist selbst schuld. Arbeitet halt schneller oder effizienter.
Die GEW wird bei der Diskussion um die Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte deshalb auch darauf achten, dass die Schulen ernsthaft und nachhaltig besser und komplexer für ihre anspruchsvolle Arbeit ausgestattet werden. Ein Ansatz, bei dem die bestehende Arbeit zwar erfasst, aber nur anders verteilt wird, muss scheitern. Denn dann gilt auch bei der Arbeitszeiterfassung der schon oft genannte Satz: Vom Wiegen wird die Sau nicht fetter!“
Michael Hirn
Stellvertretender Landesvorsitzender