Konrektor*innen im Blickpunkt
Studien zur Klärung der Stellung der stellvertretenden Schulleitung sind rar. Prof. Dr. Peter O. Chott ist einer der wenigen, die sich mit dieser Beschäftigtengruppe befasst. In der "Schulleitung 1-2023" stellt er seine zentralen Ergebnisse vor.
Sieht man sich in den Quellen zur Berufstheorie pädagogisch tätiger Personen um, so findet man zu der Berufsgruppe der Stellvertreter*innen der Schulleitungen (Konrektor*innen bzw. Stellvertreter*innen genannt) ein wenig bearbeitetes Forschungsfeld vor. Eine Ausnahme bilden bislang drei Konrektor*innenstudien von Prof. Peter O. Chott von der Universität Augsburg. Dabei werden speziell bayerische und zudem in der dritten Studie gesamtdeutsche Verhältnisse in den Fokus genommen.
Seit geraumer Zeit zeigt sich ein Wandel im Verständnis von ‚Führung’ in den Schulen. Auf Grund der zunehmenden Fülle von Aufgaben und wegen der vermehrten Verantwortungsbereiche erscheint es zunehmend notwendig und professionell, das „patriarchalisch“ anmutende Schulleiter- bzw. Schulleiterinnenbild zu Gunsten einer teamorientierten Vorstellung zu verändern. Neuere Führungskonzepte sprechen von „kooperativer Führung“ und umfassen damit alle an der Schulleitung beteiligten Personen. Dieser letztlich immer noch spärliche Wissensstand sowie das genannte, sich ändernde Verständnis von Schulleitung waren die erkenntnisleitenden Interessen, die „Berufsgruppe der Stellvertreter*innen“ zu untersuchen.
Durch die Auswertung von drei Untersuchungen wurden neue Erkenntnisse gewonnen. Sie können als Grundlage für eine weitere, positive Veränderung nicht nur der Situation von Konrektor*innen und Stellvertreter*innen von Schulleiter*innen, sondern auch die der Schulleitungen insgesamt dienen. Die problematische, durch die Coronakrise zum Teil völlig veränderte Situation konnte dabei nicht erfasst werden. Diese zeitlich bedingte Tatsache dürfte aber die aus den Befunden abgeleiteten Konsequenzen vermutlich eher noch verstärken.
Im Mai/Juni 2002 wurden per Print-Fragebögen (Studie I) und im Juli 2010 über ein Online-Portal (Studie II) Daten von Stellvertreter*innen von Schulleiter*innen bzw. von Konrektor*innen (KR) erhoben. Diese Personengruppe (unten stets Stellvertreter*innen (StV) genannt) war bzw. ist an 3213 bayerischen Grund-, Mittel- und Förderschulen im Dienst. Dabei konnten von der möglichen Grundgesamtheit der Fragebögen 2002 knapp 28% und 2010 knapp 36% gültig ausgewertet werden.
Evaluiert wurden jeweils für die ersten beiden Studien (mit nahezu denselben Fragen) Daten aus Bayern zum …
- dienstlichen Einsatz und zu den dienstlichen Tätigkeiten der StV,
- Wohlbefinden, zu den persönlichen Berufszielen und zu den persönlichen Einstellungen der StV im Zusammenhang mit „ihrer“ Schule,
- Verhältnis der StV zu „ihren“ Schulleiter*innen und zur Kooperation,
- kollegialen, schulischen und außerschulischen Umfeld,
- Feld der Aus- und Weiterbildung der StV.
In Studie III wurden (von 2017 bis 2019) der letztgenannte Bereich, d.h. die schriftlich vorliegenden Konzepte zur Aus- und Fortbildung (besonders) der Stellvertreter*innen aller deutscher Bundesländern untersucht.
Die folgenden Ausführungen stellen die Befunde der Untersuchungen nur überblicksartig und stark zusammengefasst dar. Sie sollen das Interesse für die Lektüre der Gesamtstudien wecken (Siehe Literaturverzeichnis: Chott et al!).
Darstellung ausgewählter Ergebnisse der Studien I und IIDie Untersuchung des dienstlichen Einsatzes sowie der Tätigkeiten, welche Stellvertreter*innen bzw. Konrektor*innen an „ihren“ Schulen verrichten, zeigt in beiden Studien ein vielschichtiges Bild.
Fragt man nach den Tätigkeiten, welche die KR/StV als ihre Schulleitungsaufgaben selbst nannten, werden überwiegend die ‚klassischen’ Stellvertretungsaufgaben, genannt: Die Regelung der Vertretungsstunden übernehmen über die Hälfte (2002: 56% bzw. 2010: 66%), die Stundenplangestaltung über ein Drittel (jeweils 34%) der KR/StV alleine, während 73% (2002) bzw. 80% (2010) in Kooperation mit dem Schulleiter bzw. der Schulleiterin mit dem Elternbeirat zusammenarbeiten. 65% bzw. 77% der Befragten gaben das Mitgestalten von Konferenzen als eine ihrer Tätigkeiten an. Unter die personalbezogenen Aufgaben fällt (teilweise) das Beraten von Kolleg*innen (z. B. von Lehramtsanwärter*innen, das 2002 von 57% bzw. 2010 von 69% der Befragten angegeben wurde.
Einen Wandel zeigen beide Studien auch in der Einschätzung der Überforderung. Während sich 2002 63% der Proband*innen mit ihren Tätigkeiten nicht überfordert fühlten, waren dies 2010 nur noch 51%. Vor allem die Steigerung der Werte bei (von 26%: 2002 auf 42%: 2010) der Auswahlantwort „stimme weniger zu“ erscheint bemerkenswert. Andererseits wünschten sich 2010 noch 3 % der Befragten (im Vergleich zu 5%, 2002) „mehr Tätigkeiten“ und 10% der Untersuchten (verglichen zu 11%) „eingeschränkt mehr Aufgaben‘“. Das dürfte sich in den „Coronajahren“ grundlegend geändert haben.
In der Kategorie ‚Wohlbefinden, berufliche Zielsetzung und Einstellungen’ offenbaren sich vergleichsweise ebenso unterschiedliche Tendenzen. Befunde der Studien 1 und 2 zeigen zunächst unverändert, dass rund drei Viertel der Befragten an keiner anderen Schule als an der jetzigen, Konrektor*in bzw. Stellvertreter*in der Schulleitung sein möchte.
Bemerkenswert ist, dass – auch schon vor Corona - die berufliche Zufriedenheit der Probanden an ihren Schulen eher gesunken ist. Bei der Untersuchung 2002 fühlten sich noch 59% der Befragten „uneingeschränkt“ an ihrer Schule wohl, während dies 2010 nur noch 51% der Teilnehmenden nannten. Auf der anderen Seite fühlten sich 2010 vergleichsweise mehr KR bzw. StV, nämlich 38%, lediglich „eingeschränkt“ wohl, während dies 2002 nur 29% der Befragten ankreuzten.
Die Anstöße, die den KR/StV zur Bewerbung für ihr Amt gegeben wurden, kamen aus unterschiedlichen Richtungen. 69% der Befragten nannten 2002 (bei der Möglichkeit zu Mehrfachantworten) ihre eigenen Ziele als ausschlaggebend, während 2010 diese Möglichkeit von 57% angegeben wurde. 46% (2002) bzw. 41% (2010) wurden durch den zuständigen Schulaufsichtsbeamten ermuntert. Eine wesentliche Steigerung, nämlich von 34% auf knapp 59%, erlangte die Anzahl der Nennungen, die eine Ermunterung zur Bewerbung für das Stellvertretungsamt durch die jeweilige Schulleitung beinhalten.
Mit dem dritten Fragenkomplex sollten in der Untersuchung das Verhältnis und die Kooperation zwischen der Stellvertretung und den jeweils zuständigen Schulleitern und Schulleiterinnen durchleuchtet werden.
So zeigen 64% der Antworten aus dem Jahre 2002, dass die Stellvertretungen an den Entscheidungen ihrer Schulleiter*innen mitwirken können. Dieselbe Frage beantworteten die Befragten in der 2. Studie (2010) zu 71% positiv, so dass im Bereich der Mitwirkung eine Steigerung zu verzeichnen ist. Andererseits drückten 2002 33% (bzw. 2010 noch 30%) der Befragten aus, vom Schulleiter / der Schulleiterin nicht an den schulrelevanten Entscheidungen beteiligt zu werden. Schließlich ist eine 3-prozentige Abnahme – von 9% auf 6% – bei den Schulleiter*innen zu verzeichnen, die ihre Entscheidungen alleine treffen und diese dem KR/StV erst mit dem Kollegium mitteilen.
Zu häufigen Meinungsverschiedenheiten mit der Schulleitung kommt es – nach den Angaben der Befragten – bei 11% (2002) bzw. bei 10% (2010). Die Differenzen werden bei 65% (2002) bzw. 83% (2010) der betroffenen KR/StV durch sachliche Problemlösung behoben. Bei 7% bzw. knapp 10% führten sie allerdings ‚selten zu Lösungen’. Im Hinblick auf eine Minimierung dieses Konfliktpotentials ist – wie oben angesprochen – die Praxis der Stellenbesetzung von KR/StV zu überdenken.
Im Vergleich der Untersuchungen aus den Jahren 2002 und 2010 zeigt sich bei den Stellvertretungspersonen eine erhebliche Zunahme bei der Mitgestaltung der Konferenzen. Auf der anderen Seite hat ein erheblich größerer Anteil, nämlich 84% (2002) bzw. 73% (2010) der befragten Stellvertreter*innen, im Vergleich zur Gesamtgruppe der Probanden -72% (2002) bzw. 43% (2010) -, keinen festgelegten Geschäftsverteilungsplan der Aufgaben.
In der Kategorie des kollegialen Umfelds ging es zunächst um die Einschätzung der Akzeptanz der StV/KR an ihrer Schule. Die Befragung ergab, dass in der 2002er Untersuchung 84% und in der Studie von 2010 91% der Probanden glauben, bei ihren Kolleginnen und Kollegen eine hohe Akzeptanz zu genießen. 12% bzw. 8% der Befragten (2002 bzw. 2010) wussten sich zu dieser Frage nicht zu äußern.
Die Untersuchung der Stellung der Stellvertretungspersonen innerhalb des Kollegiums zeigte 2002 ein ebenso differenziertes Bild. 40% der Befragten fühlen sich der gesamten „Schulfamilie zugehörig“. 19% dagegen schätzen sich „eher zur Schulleitung gehörig“ ein, während 17% sich eher „dem Kollegium zugehörig“ fühlen. 18% der befragten KR/StV wiederum sehen sich als „Prellbock“ zwischen der Gruppe der Lehrerschaft und der Schulleitungsperson; sie nehmen damit eine eigene Rolle ein. Die ‚Prellbock-Funktion‘ steigerte sich im Jahre 2010 um knapp 4,5% auf 22,40% und ist ein bemerkenswerter Befund.
Die letzte Kategorie der Untersuchung umfasst die Gebiete Aus- und Weiterbildung. Dabei zeigt die Auswertungen der beiden Untersuchungen aufgrund struktureller Änderungen und aufgrund der Forcierung durch die Akademie für Lehrerfortbildung und Führung in Dillingen (ALP Dillingen) mehrere Veränderungen.
Eine Steigerung zeigen die Vergleiche bezüglich der Zufriedenheit mit den Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Fühlten sich bei der 1. Untersuchung 2002 5% der Befragten für ihr Stellvertretungsamt „angemessen“ und 18% „teilweise angemessen“ vorbereitet, so waren dies bei der Erhebung 2010 16% der Probanden, welche die Kategorie „angemessen“ und 31%, die „teilweise angemessen“ ankreuzten.
Grundsätzlich beteiligten sich 2010 mehr weibliche als männliche Personen an der Befragung, während dies 2002 umgekehrt war. Weiter zeigten sich – in beiden Studien unverändert – Konrektorinnen bzw. Stellvertreterinnen eher als „Nesthocker“ im Vergleich zu den männlichen Stellvertretern und rück(t)en demnach relativ häufig an den Schulen in ihr neues Amt, an denen sie bereits vorher Lehrerinnen waren. Die Stellvertreterinnen fühlten sich – darin stimmen ebenso beide Untersuchungsbefunde überein – im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen weniger überfordert, hatten mehr Zeit für Innovationen und wünschten sich – relativ gesehen – auch eher mehr schulische Aufgaben als ihre männlichen Kollegen.
Auf der anderen Seite zeigten sowohl bei der Erhebung 2002 als auch bei der 2010 männliche KR/StV häufiger Interesse daran, selbst Schulleiter (auch an einer größeren Schule) oder die Stellvertretungsrolle an einer anderen Schule zu übernehmen. Auch würden männliche Betroffene lieber ihre Klassenführung abgeben als die weiblichen. Männer wurden zudem von ihren Schulleiter*innen eher über alle wichtigen schulischen Dinge informiert, als weibliche. Stellvertreterinnen fühlten sich eher „eingebremst“.
Fazit
Als Gesamtergebnis der beiden ersten Studien kann man kurz gesagt festhalten, dass in den acht Jahren zwischen den beiden Untersuchungen auf vielen Gebieten eine positive Entwicklung zu verzeichnen ist. KR/StV stehen weniger „im Schatten“ des Schulleiters bzw. der Schulleiterin als vorher. Andererseits zeigen die Befunde auch verbesserungswürdige Bereiche und Situationen bei den Schulleitungen. Sie weisen auf Erkenntnisse zur Aus- und Fortbildung der Stellvertreter*innen, d.h. auf die Ergebnisse von Studie III (Chott 2019) hin. Diese entstand ebenso wie die Studien I und II in der Vor-Corona-Zeit.
Wichtiges aus der dritten Studie wird untenstehend kurz beschrieben.
Zusammenschau der Aus- und Fortbildungskonzepte für Schulleitungspersonen aus Studie III
In Studie III wurden die Konzepte der deutschen Bundesländer (Stand 2019) zur Aus- und Fortbildung von allen Personen untersucht, die in der Schulleitung tätig sind. Die Darstellung der einzelnen Bundesländerkonzepte wird im Anschluss aufgezeigt und aus den Befunden werden Konsequenzen für eine Verbesserung der Konzepte abgeleitet. In einer schematischen Zusammenfassung sieht das folgendermaßen aus:
Abb.: Übersicht zu den einzelnen Bundesländerkonzepten
Die mit einem Sternchen* gekennzeichneten Abkürzungen erklären die Kürzel KR (= Stellvertreter*innen) und SchL (= Schulleiter*innen). Diese Personengruppen meinen stets weibliche, männliche und diverse Funktionstragende.
Kreuzchen, die in eckige Klammern gesetzt und mit zwei Sternchen** versehen wurden, betreffen eine spezielle Zielgruppe. Dieser werden einzelne, speziell für diese Personengruppe konzipierte Fortbildungsinhalte angeboten oder sind zeitnah geplant.
In runde Klammern gesetzte und mit drei Sternchen*** versehene Kreuzchen kennzeichnen Personengruppen, für die eine informelle Fortbildung stattfand!
Sind zwei Kreuzchen nebeneinander in einer Abteilung einer Spalte, dann bedeutet das, dass diese Aus- bzw. Fortbildungen an einer Universität und nicht an staatlichen Institutionen für Lehrkräfte stattfand.
Eine Erkenntnis aus der hier vorgelegten Untersuchung ist, dass es bis 2019 vor der Ernennung keine Orientierungsangebote oder Vor-Qualifikationen für zukünftige Stellvertreter*innen gab.
Nach der Ernennung zum Stellvertreter bzw. zur Stellvertreterin wurden dagegen bis 2019 in verschiedenen deutschen Bundesländern Neu- und Weiterqualifizierungskonzepte für Stellvertreter*innen angeboten.
Dabei zeigten sich – präziser erfasst – strukturell drei Ansätze.
- Ansatz 1 umfasst die Konzepte, die eine weitgehend separate Aus- und Fortbildung für die schulische stellvertretende Leitung realisieren. Dies betraf die Gruppe der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Niedersachsen, (in Teilen) NRW, (ab 2019-20) das Saarland sowie Schleswig-Holstein.
- Ansatz 2 umfasst die Konzepte, die einzelne, spezielle Module für die schulische stellvertretende Leitung anbieten. Das geschah in Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz).
- Ansatz 3 umfasst die Konzepte, in denen die schulische stellvertretende Leitung gemeinsam mit den Schulleiter*innen für die neue Funktion aus- und fortgebildet wurden. Dieser Gruppe waren die Konzepte der Bundesländer Bremen, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuzuordnen. Ebenso gehörten in diesen Ansatz die Master-Studienangebote der verschiedenen bundesdeutschen Universitäten (FU Berlin, TU Dortmund, Universitäten Kassel, Hildesheim, Kaiserslautern, zu Kiel und Jena).
Zusammengefasst boten die deutschen Bundesländer bis 2019 in ihren unterschiedlichen Aus- und Fortbildungskonzepten für schulische stellvertretende Leitungskräfte eine Reihe evidenzbasierter Inhalte an, die in der oben aufgezeigten Übersicht in unterschiedliche Strukturen eingebunden waren.
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich diverse Anhaltspunkte für eine zukünftige verbesserte Aus- und Fortbildung von Stellvertreter*innen ableiten.
Konsequenzen für die Qualifizierung der Stellvertretung
Die Befunde aus Studie III werfen die Frage auf, welcher Ansatz zur Qualifizierung nicht nur für die stellvertretenden Schulleiter*innen der richtige ist.
Oberflächlich betrachtet, könnte man vermuten, dass die im Amt tätigen Schulleiter*innen mit Konzepten und Tipps zum Coaching (vgl. z.B. Schulleitung intern – H 9/2016, S. 4f.) eine Ausbildung der neuen Stellvertretung selbst bewerkstelligen könnten. Erfahrungsgemäß fehlt jedoch im heutigen aufgabenreichen, hektischen Schulbetrieb für eine fundierte Aus- und Fortbildung die Zeit und deshalb wohl auch der Wille der „Nummer 1“, diesen Part vertieft und evidenzbasiert zu leisten. Die auf der staatlichen Aus- und Fortbildung basierende Einführung in die neuen Aufgaben der „Nummer 2“ – speziell an der Schule vor Ort – erfordert von der „Nummer 1“ ohnehin eine Menge Zeit. Zudem könnte bei einer alleinigen Ausbildung „im Haus“ der notwendige „Blick über den Tellerrand“ der eigenen Schule die Qualität der Stellvertreter*innen-Aus- und Fortbildung schmälern. Deshalb sollte eine sinnvolle, zukunftsorientierte Vorbereitung auf das Stellvertretungsamt weiterhin auf einer soliden, aktuellen, wissenschaftlichen, d.h. evidenzbasierten Grundlage an den entsprechenden staatlichen Fortbildungsinstitutionen für Lehrkräfte oder auch an Universitäten erfolgen.
Die Gründe, die für ein gemeinsames Ausbildungskonzept für Schulleiter*innen und Konrektor*innen von Behördenvertreter*innen staatlicher Stellen vorgebracht wurden, waren zusammengefasst folgende:
- Die Stellvertreter*innen müssen von vornherein in der Lage sein, die Schulleitungsaufgaben voll zu übernehmen. Dies sei notwendig, weil die Stellvertretung im Falle eines (überraschenden, z. B. krankheitsbedingten) Ausfalls des Schulleiters bzw. der Schulleiterin, deren Aufgaben im vollen Umfang übernehmen muss.
- Ebenso sei es auch bei Anwesenheit der Schulleiterin/des Schulleiters an der Schule wegen der Fülle der Aufgaben notwendig, eine Kooperation „auf fachlicher Augenhöhe“ zu praktizieren.
- Zudem wurde argumentiert, dass die Personen der Stellvertretung meist die Funktion des Stellvertreters bzw. der Stellvertreterin als „Sprungbrett“ für eine Schulleiter*innen-Stelle ansehen. Durch eine gemeinsame Aus- und Fortbildung werden die Stellvertreter*innen für diesen Status gleich entsprechend vorbereitet.
Dass die Aus- und Fortbildung der Stellvertretung gemeinsame Elemente mit der Aus- und Fortbildung der Schulleiter*innen enthalten sollte, erscheint sinnvoll. Es gibt allgemeine, grundsätzliche für Führung relevante Themen, die zukünftige, aber auch länger aktive Schulleiter*innen und Stellvertreter*innen gemeinsam betreffen. Das sind für das Leitungshandeln relevante Bereiche und Inhalte wie:
- Menschenbild
- Führungstheorien
- Kommunikation
- Schulentwicklung
- Qualitätsentwicklung des Unterrichts
- Digitalisierung (in) der Schule.
Das Plädoyer für eine zumindest teilweise eigene Aus- und Fortbildung für schulische Stellvertreter*innen stützt sich auf verschiedene wissenschaftliche, d.h. evidenzbasierte Argumente. Komprimiert gesagt, hängt es mit den speziell auszuübenden Tätigkeiten sowie mit der eigenen Rolle und dem Status der Stellvertretung im Vergleich zu den der Schulleiter*innen zusammen.
Wie die oben kurz analysierten Studien I und II) zeigten, ist der Fokus der Tätigkeiten der schulischen Stellvertretung zunächst mehr auf die Organisation gerichtet. Das sind klassischerweise die Stundenplangestaltung, die Regelung des Vertretungsplans, die Organisation von Kooperationstreffen oder beispielsweise die Zusammenstellung des Schulportfolios. Man kann aber nicht erwarten, dass die Kandidat*innen für einen Stellvertretungsposten die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten automatisch mitbringen. Für diese spezifischen Aufgaben muss ein*e Stellvertreter*in professionell vorbereitet sein. Dazu müssen die zukünftigen Stellvertreter*innen – aufgrund der zunehmenden Schulleitungsaufgaben notwendigerweise – auf neue, auch teilweise spezielle führungsrelevante Tätigkeiten theoretisch wie praktisch eingestimmt werden. Gemeint sind damit zunächst Aktivitäten unter dem Fokus der „Nummer 2“ der Schule, das heißt unter dem Aspekt der nicht vollen Verantwortung und der „kleinen Führung“. Das sind etwa Tätigkeiten wie die Führung von Arbeitsgruppen, die Leitung von Teilkonferenzen oder von Elternbeiratssitzungen oder die stellvertretende Repräsentation der Schule nach außen. Dieser Einstieg in die Führungstätigkeiten sollte kleinschrittig vollzogen werden, um sich eventuell für ein volles Schulleitungsamt zu bewähren. Auch die Führung im Schulleitungsteam, das Beraten des Schulleiters bzw. der Schulleiterin sind Themen, die nicht nur in actu, sondern aus einer Meta-Perspektive in einem geschützten Raum einer Fortbildungsinstitution erlernt und reflektiert werden sollten.
Das betrifft auch die zweite Komponente, die neue Rolle, welche die Stellvertretung mit der Übernahme des neuen Amtes an der Schule einnimmt. Der Rollenwechsel von der „einfachen“ Lehrkraft zur Schulleitungsperson bewirkt im Umgang mit den Kolleg*innen verschiedene neue, eventuell ungewohnte Situationen. Beispielsweise verstummen plötzlich die Gespräche im „Lehrerzimmer“, wenn die neue Stellvertretung den Raum betritt oder man bekommt schulische Probleme vertraulich zugeflüstert, die man dem Chef oder der Chefin „stecken“ soll. Eine Veränderung in den sozialen Beziehungen ist aber auch auf der anderen Seite deutlich erkennbar. Die Stellvertreter*innen werden seitens der Schulleiter*innen nach Eindrücken bezüglich des (Lehr-)Verhaltens von Lehrkräften befragt, zu Beurteilungen herangezogen oder zum Beispiel mit Repräsentationsaufgaben betraut. Das kann Konflikte zur Folge haben, mit denen es als KR/StV ebenso fertigzuwerden gilt wie mit der zum Teil erheblich größer werdenden Arbeitsbelastung. Dazu kommt, dass die Rolle der „Nummer 2 der Schule“ eine andere als die der „Nummer 1“ ist. Die Stellvertretung hat noch wesentlich mehr Bezug zum eigenen Unterricht und muss erkennen, dass zu diesem beruflichen Schwerpunkt jetzt noch derjenige der Erwachsenenführung dazukommt. Dabei schweben die Stellvertretenden ständig in der Gefahr, in eine Position „zwischen“ dem Kollegium und dem/der Schulleiter*in – in eine Art „Prellbockfunktion“ – zu geraten. Um diese zu vermeiden, gilt es zunächst, dieses „Dazwischen“ zu erkennen und durch entsprechende Verhaltensweisen und Maßnahmen erst gar nicht aufkommen zu lassen. Die Möglichkeit zur Mitgestaltung, zur Mitverantwortung und der damit erreichten Zufriedenheit und die Befriedigung des eigenen Ehrgeizes sind – andererseits – die sich zeigenden positiven Seiten des Rollenwechsels. Das Gefühl, ein Mehr an Professionalität zu bekommen und sich „aus der Masse“ hervorzuheben, sind sicher ebenso positive Aspekte.
Einen starken Einfluss auf beide Seiten des Rollenwechsels übt auch der neue Status des Stellvertreters bzw. der Stellvertreterin aus. Ist er oder sie ein „Nesthocker“ oder ein „Nestflüchter“? Das bedeutet, ob die Stellvertretungsstelle an der bisherigen oder an einer anderen, neuen Schule angetreten wird. Es macht sicher einen großen Unterschied, ob man als Leitungsvertreter*in mit den bisherigen Kolleg*innen auskommen muss oder ob man als Stellvertreter*in in eine neue Kolleg*innenschaft aufgenommen wird.
Ein anderer Ansatz zur Begründung einer differenzierten Ausbildung der schulischen Stellvertreter*innen argumentiert, dass aufgrund der Umgestaltung der Schulleitung von einem zentral gesteuerten Schulsystem zu eigenverantwortlichen Einzelschulen die Realisierung der hoheitlichen Aufgaben neu in den Blick genommen werden muss. Aus diesem Grund hätten die eigenverantwortlichen Schulen als Ergänzung zum klassischen Handeln der Schulleiter*innen einen Bedarf an Führungskompetenzen „aus der zweiten Reihe“. Es gelte, nicht die klassische Schulleitungsqualifizierung zu vervielfachen, „sondern eine eigene Dignität des Schulmanagements zu begründen, in der Schulleiter*innen und Stellvertretung zwar eine thematisch kompatible, aber dennoch rollen- und aufgabenspezifische Qualifizierung erhalten.“ Daraus lässt sich auch die Notwendigkeit einer speziellen Sicht auf die Stellvertretung folgern, auf die international durchgeführte Befragungen hinweisen. Es heißt dort als Erkenntnis, dass die Leitung einer Schule – abgesehen von sehr kleinen Schulen – auf mindestens zwei Personen verteilt sein muss.
Ebenfalls weist die Studie der Internationalen Schulleitungsorganisation ICP und der European School Heads Organisation noch auf eine weitere Argumentationsschiene hin. Das Amt Stellvertreter*in als „Zwischenstation“ auf dem Weg zum Amt des Schulleiters/der Schulleiterin sehen in Deutschland nur 25% der Befragten. Das heißt, 75% der Teilnehmer(innen) an der allerdings schon 2010 erhobenen Studie äußerten, dass das Amt als Konrektor*in für sie die „Endstation“ in der Schulkarriere sei. 82% sahen die Stellvertretung gar als bewusst gewähltes Amt an. Aus diesen Prozentzahlen lässt sich ebenso der spezielle Fokus auf die Stellvertretung und die Notwendigkeit einer Extra-Ausbildung für die Konrektor*innen ableiten.
Das Dargestellte macht deutlich, dass es gilt, die Kandidat*innen auf die neue Rolle als Führungskraft professionell (z.B. durch ein evidenzbasiertes Assessment oder in einer standardisierten Potenzialanalyse) einzustimmen. Ebenso bedeutet es, die Bewerber*innen auf die veränderten Tätigkeiten („kleine Führung“) und den neuen Status (in der Vorqualifizierung) als Mitglied der Schulleitung vorzubereiten. Die Kenntnisse und Fähigkeiten dazu sollten sich mit speziellen Modulen, auf die „Nummer 2“ der Schule fokussieren und in staatlich gelenkten Ausbildungsveranstaltungen vermittelt werden. Innerhalb derer können sich die Bewerber*innen mit Personen, die in der gleichen Berufssituation sind, darüber austauschen. Sie können zudem Netzwerke bilden und auf diese Weise professionell voneinander lernen.
Fazit
Zusammengefasst zeigt sich in der Studie III Folgendes: Es ist eine mindestens teilweise, speziell auf die schulischen Tätigkeiten, auf die Rolle und den Status der Stellvertreter*innen abgestimmte, über die Sichtweise der Einzelschule hinausgehende, theoretische und praktische Aus- und Fortbildung der Zielpersonen notwendig.
Der im Folgenden in der Grafik gezeigte, strukturelle Überblick zur Aus- und Fortbildung von Schulleitungspersonen (Schulleiter*innen und Stellvertreter*innen) basiert auf den bis 2019 vermittelten Inhalten und den daraus resultierenden Erkenntnissen der Schulleitungsaus- und -fortbildungen der deutschen Bundesländer.
Aus heutiger Nach-Corona-Sicht muss allerdings vermutet werden, dass sich die Aus- und Weiterbildung für Führungsämter an bundesdeutschen Schulen weiter erheblich ändern muss, um den anstehenden, zum Teil neuen Schulleitungsaufgaben zeitgemäß gerecht zu werden. Eine Weiterentwicklung aufgrund der Erkenntnisse der Coronakrise sowie auch aufgrund der generationsrelevanten Perspektive müssen neue Untersuchungen konkretisieren. Diese sollten zur Personengruppe der Stellvertreter*innen und auch der Schulleiter*innen durchgeführt werden.
Hinweis: die Literatur- und Quellenangaben sowie der ungekürzte Originaltext kann bei der GEW Baden-Württemberg (schulen(at)gew-bw(dot)de) oder beim Autor angefordert werden.
Prof. Dr. Peter O. Chott,
Rektor i.R. der ‘Elsbethenschule Memmingen’ (GS),
apl. Prof. an der Universität Augsburg, Lehrstuhl Schulpädagogik
E-mail: pchott@t-online.de
Internet: www.schulpaed.de