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Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

Mut zum Fortschritt

BNE gehört zu den Leitperspektiven im Bildungsplan in ­Baden-Württemberg. Trotzdem hängt es oft an engagierten Lehrkräften, ob an Schulen BNE stattfindet. Darf das so bleiben, wenn Klima- oder Demokratiekrisen die Menschen weltweit in Atem halten?

Demo im Frankfurter Bankenviertel Mitte August 2021 (Foto: Cristina Gangotena)

September 2021: „¡Change School Summit!“ im Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Dortmund. Zwei Tage lang beschäftigen sich über hundert Lehrer*innen und Schüler*innen mit allen erdenklichen Facetten von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Wie muss Schule sich verändern, damit sie den Herausforderungen unserer Gegenwart – Klimakrise, Artensterben, Pandemie und Demokratiekrise – gerecht werden und Kinder und Jugendliche dazu befähigen kann, sich aktiv in die sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft einzubringen?

Auch Wulf Bödeker, BNE-Beauftragter von Nordrhein-Westfalen und aktuell Sprecher der BNE-Koordinator*innen in der Kultusministerkonferenz (KMK), ist Gast auf dem Summit. Er erläutert, was in Nordrhein-Westfalen bereits passiere, um BNE an die Schulen zu bringen. Die Überzeugung, dass dies wichtig sei, so Bödeker, könne man jedoch letztlich nicht von oben verordnen. Vielmehr brauche es dafür vor allem engagierte Lehrer*innen wie die hier Anwesenden. 

„Werden Sie Change Agents an Ihren Schulen!“, 

ermuntert Bödeker – und erntet damit scharfe Kritik aus dem Publikum: 

„Ich brauche ganz sicher niemanden, der mir sagt, dass ich mich noch mehr engagieren soll“,  entgegnet eine Teilnehmerin. „Wovon wir mehr brauchen, ist Unterstützung von oben!“


Die daraufhin sich entspinnende Diskussion zeigte eines überdeutlich: Auf beiden Seiten, sowohl in den Kollegien als auch in der Kultusverwaltung, arbeiten Menschen, denen BNE am Herzen liegt. Sie wirken im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hin, auf diesem Gebiet möglichst viel zu erreichen. Und doch sind offenbar am Ende des Tages beide Gruppen der Auffassung, die Hauptverantwortung liege auf der jeweils anderen Seite. Was läuft hier schief? Oder, anders gefragt: Was ist tatsächlich schon da, und was braucht es noch, wenn wir von einer strukturellen Verankerung der BNE an allen Schulen reden?

An tragfähigen Konzepten jedenfalls herrscht kein Mangel: Neben dem Orientierungsrahmen Globale Entwicklung und dem Nationalen Aktionsplan BNE ist hier das aktuelle Rahmenkonzept „BNE2030“, sowie die im Mai letzten Jahres verabschiedete „Berliner Erklärung für BNE“ zu nennen. Darüber hinaus gibt es in jedem Bundesland Beauftragte für BNE, vereinzelt auch bereits vielversprechende Umsetzungsstrategien, wie sie etwa der Anfang 2021 verabschiedete BNE-Erlass des niedersächsischen Kultusministeriums vorsieht.

Bei der Friday-for-Future-Demo Ende September 2021 in Freiburg (Foto: Sabine Rukatukl)

BNE führt ein Nischendasein

Dennoch ist, wenn wir in die Teachers-for-Future-Community hineinhören, die Situation an den meisten Schulen und durch alle Schulformen hindurch klassischerweise die: Wenn es gut läuft, gibt es eine Handvoll BNE-engagierter Lehrkräfte und im besten Fall eine Schulleitung, die zumindest nicht blockt. BNE ist also, auch im Rahmen des regulären Unterrichts, oft nach wie vor das, was gemacht wird, wenn noch Zeit ist. Natürlich gibt es Fächer – Biologie, Geografie, Gemeinschaftskunde – in denen BNE-relevante Themen Teil des Kerncurriculums sind und insofern regulär unterrichtet werden, wenngleich oft ohne Bezugnahme auf die Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals (SDGs)).

Und was oft übersehen wird: BNE meint nicht nur Inhalte. BNE ist ein ganzheitliches pädagogisches Konzept, das sich nicht mal eben so nebenher in den laufenden Betrieb integrieren lässt. Umgekehrt wird ein Schuh draus! Wenn BNE ernsthaft praktiziert wird, bedeutet das in logischer Konsequenz eine sukzessive Transformation unserer Schulen mit der Etablierung von Lernräumen jenseits des Leistungs- und Fächerprinzips, durch projektorientiertes, eigenverantwortliches Lernen unter konsequenter Einbeziehung außerschulischer Kooperationspartner, durch die Umsetzung des Whole Institution Approach, durch demokratische Partizipation aller am Schulleben Beteiligten.

All das sind keine abgehobenen Forderungen einer reformpädagogischen Minderheit in den Kollegien, sondern Empfehlungen des Fachforums Schule aus dem Nationalen Aktionsplan BNE. Wir haben es innerhalb des Schulsystems also mit einer ganz ähnlichen Situation zu tun wie auf der klimapolitischen Bühne: Die Konzepte sind da, die relevanten Akteur*innen haben zugestimmt, doch die Umsetzung kommt nur vereinzelt und zögerlich in Gang. Systeme besitzen eine enorme Beharrungskraft, unser Schulsystem ganz besonders: Alle, die aktuell in ihm wirken, haben es als Schüler*in selbst durchlaufen. Dadurch erscheinen bestimmte Erfordernisse und eingeschliffene Abläufe – „Stoff durchbringen“, „Noten geben“, „Klimawandel? Macht ihr in Physik“ – oft in einem solchen Maße als naturgegeben, dass viele gar nicht auf die Idee kommen, dass alles auch anders sein könnte.

Genau das ist jedoch eine der zentralen Kompetenzen der BNE und vielleicht das Wichtigste, was wir mit unseren Schüler*innen üben können: Die Fähigkeit, Outside the Box zu denken, unkonventionelle Lösungen zu entwickeln, sich und andere zu motivieren, aktiv zu werden – mit einem Wort: Gestaltungskompetenz. Davon werden wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten angesichts der globalen Herausforderungen eine Menge brauchen. Ein Problem lässt sich nicht mit derselben Denkweise lösen, durch die es entstanden ist – dieses Diktum von Albert Einstein trifft auf die fossilbasierte Wirtschaft ebenso zu wie auf unser Schulsystem.

Wir brauchen alle

Was also ist nötig, damit im Rahmen der Transformation unseres Wirtschaftens und unserer Gesellschaft auch die Transformation unserer Schulen gelingen kann? Wir brauchen beide Seiten: Engagierte Lehrkräfte an der Basis UND Mitarbeitende in den Kultusministerien, die Top down an denjenigen Stellschrauben drehen, an die man Bottom up eben nicht drankommt. Wir brauchen Kultusminister*innen, die den Schulleitungen vermitteln, dass eine BNE-basierte Transformation unserer Schulen auch von oben wirklich gewollt ist, dass die Konzepte dafür da sind und wie sie aussehen, dass den Schulen strukturelle Freiräume und finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, dass sie Prozessbegleitung in Anspruch nehmen können und vor allem: Dass BNE den Schulen nicht pauschal übergestülpt wird, sondern jede Schule aus der Vielfalt an möglichen Umsetzungen denjenigen Pfad auswählen kann, der zu ihr am besten passt.

Mehr Fortschritt wagen – das heißt auch, ein gewisses Maß an Disruption zu fördern, „die Menschen dazu bringt, die Sicherheit des Status Quo zu verlassen.“ (Bildung für nachhaltige Entwicklung/BNE2030. Eine Roadmap, S. 18) Change Agents braucht es auf allen Ebenen.

Kontakt
Nora Oehmichen
Lehrerin und Klimaaktivistin bei Teachers for Future