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GEW-Fachtagung

Anliegen treffen auf offene Ohren

Vier Parteien, eine Meinung. Das hat Seltenheitswert, war aber so Mitte November in Stuttgart, als die bildungspolitischen Sprecher von Grünen, CDU, SPD und FDP Verbesserungen für die Fachlehrkräfte und Technischen Lehrkräfte diskutierten.

Ricarda Kaiser, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende (links), diskutiert mit den bildungspolitischen Sprechern von FDP, CDU, Grüne und SPD über bessere Arbeitsbedingungen für FL/TL. (Foto: Marco Stritzinger)
Ricarda Kaiser, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende (links), diskutiert mit den bildungspolitischen Sprechern von FDP, CDU, Grüne und SPD über bessere Arbeitsbedingungen für FL/TL. (Foto: Marco Stritzinger)

Wenn von Fachlehrkräften (FL) die Rede ist, gibt es oft ­Missverständnisse. Viele wissen nicht, dass sie und die Technischen Lehrkräfte (TL) als relativ ­kleine Gruppe eine Sonderstellung in der Schullandschaft Baden-Württembergs einnehmen. Nur in Bayern gibt es etwas Ähnliches. Sie haben eine dreijährige Seminarausbildung mit zwei Fächern abgeschlossen und bereits eine andere Berufsausbildung in der Tasche. Ihnen fehlt lediglich ein grundständiges Lehramtsstudium. Viele FL arbeiten an SBBZ, aber auch in allen anderen Schularten. TL sind vorwiegend in beruflichen Schulen in den Werkstätten beschäftigt. Rund 8.000 FL/TL gibt es in ­Baden-Württemberg.

Der Vorsitzende der GEW-Landespersonengruppe FL/TL, Stefan Bechtold, beschrieb auf der Tagung das Grundproblem: „Ihre Arbeit unterscheidet sich immer weniger von der Tätigkeit wissenschaftlicher Kolleginnen und ­Kollegen. Trotzdem haben Fachlehrkräfte und Technische Lehrkräfte eine bis zu fünf Stunden höhere Unterrichtsverpflichtung und verdienen bis zu 1.500 Euro monatlich weniger als wissenschaftlich ausgebildete Lehrkräfte.“ Heute gehe es darum, Zusammenhänge anzuschauen, Schieflagen deutlich zu machen und konstruktive Verbesserungs­vorschläge vorzuschlagen.

Was die Politiker sagen

Gefragt sind vor allem die bildungspolitischen Sprecher. Die Landespersonengruppe spricht seit Jahren mit ihnen. Die Politiker kennen daher schon viele Probleme, und sie sind sich tatsächlich einig: Es gibt großen Verbesserungsbedarf und Ungerechtigkeiten. Im Detail liegen die Positionen dann doch auseinander. Vor allem, wenn es ums Geld geht.

Stefan Fulst-Blei ist der Ansicht, dass die Landesregierung unnütz Geld auf der hohen Kante liegen lässt. Acht Milliarden Euro würden für Risikozwecke zurückgehalten. „Welches Risiko soll es noch geben?“, fragt der SPD-Mann Fulst-Blei. Gemeint ist der hohe Lehrkräftemangel, der allen Schulen schwer zu schaffen macht, besonders aber den SBBZ, wo viele FL beschäftigt sind. „An den SBBZ brennt es wirklich. Bei Kindern mit Beeinträchtigung ist das Recht auf Beschulung nicht mehr überall gewährleistet. Das ist ein Skandal für so ein reiches Land wie Baden-Württemberg“, empört sich der SPD-Politiker. Timm Kern von der FPD findet es zwar schwierig, „an der ­Deputatsschraube der FL/TL zu drehen“, alle anderen Forderungen der Lehrkräfte müssten sofort umgesetzt werden.

Der Grünen-Politiker Thomas Poreski ärgert sich als Vertreter der Regierungspartei, dass der Eindruck entstehe, die Regierung würde Geld rumliegen ­lassen. „Wir sind nicht blöd“, entrüstet er sich. Das Geld sei zweckgebunden und nicht frei verfügbar. „Das ändert aber nichts an der Berechtigung der Forderungen“, fügt er hinzu. „Verbesserungen können nur in den Haushaltsverhandlungen durchgesetzt werden. Dort gibt es Konkurrenz zu anderen Ressorts. Es hilft uns, wenn ihr Druck macht.“ Es müsse eine syste­mati­sche Annäherung zwischen wissen­schaftlich aus­gebildeten Lehrkräften und Fach- und Technischen Lehrkräften geben, schlägt er vor. Alexander Becker von der CDU will sich ebenfalls für die Lehrkräfte einsetzten: „Die FL / TL sind ein Gewinn. Sie bringen andere Berufsfelder und Lebenserfahrungen mit. Das tut den Schulen gut.“

Moderate Forderungen

Um welche Schieflagen der FL / TL geht es ganz konkret? Rund 120 dieser Lehrkräfte sitzen im Saal. Sie sind weit davon entfernt, Gehälter zu erwarten, wie sie die wissenschaftlichen Lehrkräfte bekommen.

Da sich aber die Ausbildung an den Fachseminaren auf drei Jahre verlängert hat und Inhalte und Organisationsformen in vielen Teilen den Lehramtsstudiengängen entsprechen, fordern sie zwei Beförderungsämter nach A11/E10 und A12/E11. Und kürzere Beförderungszeiten. Eine Umfrage im Saal ergibt: Knapp die Hälfte aller Anwesenden wartet zwischen fünf und zehn Jahre auf eine Beförderung.

Bisherige Erfolge

Die Eingangsgehälter wurden bereits angehoben. Seit Dezember 2022 steigen Fachlehrkräfte in A10/E9b, die Technischen Lehrkräfte in A11/E10 ein.

Diese Verbesserung und zusätzliche Beförderungs- und Funktionsstellen sind der hartnäckigen Arbeit der GEW-Personengruppe zu verdanken. Sie setzen sich seit Jahren dafür ein und können nun erste Erfolge verbuchen. Doch es bleibt noch viel zu tun.

Trotz Ausbildung sinkt das Gehalt

Dass die Gehälter nicht mehr ins Gesamtsystem der Bildungseinrichtungen passen, zeigt das Beispiel von Martina Grau (Name geändert). Sie hat als Erzieherin die dreijährige Ausbildung am Seminar abgeschlossen. Während der Ausbildung bezog sie ein niedriges Anwärtergehalt und hat nebenher in einer Metzgerei gejobbt. Inzwischen ist sie 42 Jahre alt und damit für eine Verbeamtung zu alt geworden. Als Erzieherin war sie in S8a Stufe 4 eingestuft, jetzt ist sie als Tarifbeschäftigte in E9b Stufe 1. Ihre Vorerfahrungen werden nicht anerkannt, deshalb nur Stufe 1. So verdient sie nun 427,97 Euro brutto weniger, als wenn sie als Erzieherin arbeiten würde. Wenn sie mit A10 verbeamtet würde, wären es 109 Euro weniger. Dann hätte sie aber andere Vorteile, wie eine 100-prozentige Lohnfortzahlung und bessere Pensionszahlungen. „Für mich wäre gerecht, wenn ich A10, Stufe 4 bekäme“, führt sie aus.

In ihren alten Beruf möchte sie trotzdem nicht zurück. „In Kitas sind die Arbeitsbedingungen schlechter als im SBBZ“, sagt sie. Eine 39-Stunden-Woche ohne Anerkennung von Vor- und Nachbereitung gebe es nicht nur an einer bestimmten Kita, die gebe es überall, erklärt sie. Drei Kolleginnen, die mit ihr die Ausbildung als Fachlehrkraft abgeschlossen haben, älter sind und davor Schichtzulagen bekommen hätten, würden wieder in ihren alten Beruf zurückkehren. Für sie wäre der Gehaltsunterschied noch größer. „Da hat das Land auch Geld für die Ausbildung in den Sand gesetzt“, gibt Martina Grau zu bedenken.

Das Beispiel erstaunt dann doch. Auch die Politiker sind überrascht. Der „Unterschiedsbetrag war mir nicht klar. Das zeigt den Druck auf“, stellt Fulst-Blei fest. Becker sagt: „Dass die Tarif­beschäftigten nicht wie die Beamt*innen eine stufengleiche Anpassung erhalten, ist eine große Ungerechtigkeit. Das kann nicht sein.“ Ricarda Kaiser, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende, die die Podiumsdiskussion moderiert, empfiehlt ihren Gesprächspartnern: „Nicht so lange zögern, Verbeamtung klären.“

Auch wenn es beim akuten Lehrkräftemangel wenig opportun ist, über Deputatskürzungen der FL/TL zu sprechen, erspart Kaiser den bildungspolitischen Sprechern das Thema nicht: „Wenn der Beruf attraktiv sein soll und wir den Bildungsanspruch ernst nehmen, gehört auch dazu, dass wir über Deputatskürzungen reden.“ „Die Senkung würde eine Lücke aufreißen“, ist Fulst-Blei klar, „wir müssten aber einen Plan vorlegen, wie es in Zukunft gehen soll. Sonst bleiben die Lehrkräfte nicht im System“. „Jedes Jahr eine Stunde weniger, dann wäre es nicht so schwer“, schlägt Angelika ­Kistner vor. Die ehemalige Vorsitzende der Landespersonengruppe hat auch einige Fragen mitgebracht. Dabei ging es beispielsweise um die derzeitigen 30 Plätze im Aufstiegslehrgang für Fachlehrkräfte. Die Zulassungsvoraussetzungen seien zu hoch. Eine Abfrage der Lehrkräfte im Saal ergab, 63 Prozent aller Anwesenden würden die Voraussetzungen nicht erfüllen. Dazu gehören beispielsweise mindestens zwölf Jahre Unterrichtspraxis, und die dienstliche Beurteilung muss mindestens sehr gut bis gut sein. So komme es vor, erläutert Kistner, dass sogar Fachlehrkräfte in den Ausbildungseinrichtungen keine Aufstiegschancen hätten. „Wie kann das sein?“

Fragen wie diese lassen sich auf einer Tagung nicht klären. Vieles nehmen die Politiker als Aufgabe mit. Wobei Kistner den Podiumsgästen mit auf den Weg gab: „Nicht nur mitnehmen, auch durchsetzen!“

Kontakt
Stefan Bechtold
Vorsitzender Personengruppe Fachlehrkräfte und Technische Lehrkräfte
Privat:  06239 5087046