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Mehr Zeit für Bildung. Punkt.

Bildung muss anders – Bildung braucht Zeit, Raum, Menschen

Beim bundesweiten Bildungsprotest zeigte die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien unter anderem in Karlsruhe Flagge. Bildung brauche Zeit, Raum, Menschen, sagte Barbara Becker, die Vorsitzende der Vertretung der Gymnasiallehrkräfte, in ihrer Rede.

Barbara Becker (links) mit Oliver Kirsten (rechts) beim Bildungsprotest in Karlsruhe am 23. September 2023
Barbara Becker (links) mit Oliver Kirsten (rechts) beim Bildungsprotest in Karlsruhe am 23. September 2023 (Foto: © Conny Schmitt)

Die Rede von Barbara Becker, Vorsitzende der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien, beim bundesweiten Bildungsprotesttag am 23. September 2023 in Karlsruhe im Wortlaut:

„Gute und gymnasiale Bildung im 21. Jahrhundert – ein Statement für eine Zukunft mit Chancen:

Liebe Aktivist*innen in Sachen Bildung – ob Eltern, Kolleg*innen oder Schüler*innen, Beste solidarische Grüße des Landesfachgruppe Gymnasien der GEW! Wir vertreten innerhalb der GEW die gymnasialen Lehrkräfte, mit über 6.000 Mitgliedern sind wir alles andere als Splittergruppe.

Das Motto: Bildung. Mutig. Los!

Bildung braucht Zeit!

Ich selbst unterrichte Biologie und Geschichte an klassischem G8 Gymnasium: Wir wissen, was Zeitnot ist!

Ich höre noch die Begründung für die Verkürzung der Schulzeit: ‚Wir wollen mit der Lebenszeit junger Menschen verantwortlich umgehen.‘ (Annette Schavan, CDU) Was kam, war ein reines Sparmodell auf dem Rücken der Schüler*innen und Lehrkräfte.

Das Land sparte Hunderte von Stellen, wir Kolleg*innen landeten in einem schier nicht erfüllbaren Bildungsplan mit Kompetenzen und Vorgaben, die nicht zur Altersstufe unserer Schülerinnen und Schuler passen. (Französische Revolution Klasse 7)

Wir brauchen dieses Jahr in der Mittelstufe zurück – sechs Jahre Sek I für alle Kinder und Jugendlichen!

Als Bildungsgewerkschaft sehen wir die Zusammenhänge aller Schularten: auch gymnasiale Bildung findet ja nicht nur am Gymnasium statt.

Wir fordern:

  • Stellt Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt des Bildungssystems, schaut auf die individuellen Lernbiographien, ermöglicht eine zukunftsweisende Lernkultur, längeres gemeinsames Lernen, flexible Wege zu den verschiedenen Abschlüssen und zum Abitur. Bildung. Mutig. Los!
  • Bildung braucht Raum. Realen und virtuellen: Die funktionierende Infrastruktur schöner und gepflegter Klassenräume wie auch eine digitale Ausstattung, die diesen Namen verdient. Es kann nicht sein, dass sich Kommunen mit dem Land streiten, ob und wer jeder Lehrkraft ein Dienstgerät bezahlt. Es kann nicht sein, dass sich zwei Teilzeitkräfte ein Tablet teilen! – Wo sind wir hier? Im ‚Kinderland Baden-Württemberg‘ ...

Wir fordern:

  • Sichere Investitionen in Zeiten von Inflation und Krieg: Investitionen in Bildung und Erlebnisse rentieren sich immer, DAS sind die stabilen Werte, die bleiben, die verantwortliches und selbstbestimmtes Handeln ermöglichen – für das Individuum selbst und für andere. Bildung macht stark, sie schützt vor Krieg und Menschenfeindlichkeit: Bildung. Mutig. Los! 

Bildung braucht Menschen

Eltern, Erzieher*innen, Lehrkräfte – uns. Wir haben den schönsten Beruf der Welt: Wir bilden die Zukunft!

Und wir arbeiten gerne – doch wir müssen auch arbeiten können.

Eltern wissen: Hektik und Hetze sind schädlich, in ruhiger, sicherer Umgebung mit viel Zeit können Kinder sich entwickeln, Jugendliche zu sich und ihrem Potential finden.

Bildungsprotest in Karlsruhe am 23. September 2023
Bildungsprotest in Karlsruhe am 23. September 2023 (Foto: © Conny Schmitt)

Unsere Arbeitswelt ist das Gegenteil: Hektik, Hetze und strukturelle Überforderung bestimmen den Alltag. Vor vier Jahren entschied der Europäische Gerichtshof auf Grundlage des Arbeitsschutzgesetzes, dass die Arbeitszeit aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen sei. Die Kultusministerkonferenz hatte im Juli ernsthaft eine Ausnahmeregelung für Lehrkräfte beantragt: Bei Lehrkräften habe man die ‚besondere Situation‘, dass die Arbeitszeit ‚nur hinsichtlich der zu erteilenden Unterrichtsstunden messbar‘ sei. Die vollinhaltliche Klatsche des Bundesarbeitsgerichts liegt jetzt vor. Doch unser Arbeitgeber weigert sich weiterhin, unsere Arbeitszeit wie gesetzlich vorgeschrieben zu erfassen – wohl aus blanker Angst vor den (vorhersehbaren!) Resultaten! Wir leben im Zeitalter eines eklatanten Lehrkräftemangels – und wir, die wir noch da sind, finden immer schlechtere Bedingungen vor.

Das hat Folgen: In NRW haben im letzten Jahr 800 Beschäftigte des Schuldienst verlassen (berichtet der WDR), darunter 300 Beamt*innen! Die Zahl der Kündigungen hat sich im selben Bundesland innerhalb von zehn Jahren fast verdreifacht.

Wir fordern:

  • Beruf und Arbeitsbedingungen müssen attraktiv werden, es muss nicht nur in fragwürdigen Werbebannern cool sein, zu unterrichten. Lehrkräfte im Dienst müssen entlastet und wir Älteren motiviert werden, zu bleiben, statt den vorgezogenen Ruhestand selbst zu finanzieren und den Mangel noch weiter zu verschärfen.
  • Gerade in der Krise muss das Land in gute Arbeitsbedingungen investieren: Wäre der Bildungsbereich eine Bank, so wäre wohl längst ein Paket von Sondermaßnahmen zur Rettung auf dem Weg.

Bildung. Mutig. Los!

Wir fordern:

  • Schule und Kita inklusiv und zukunftsfähig machen,
  • eine Ausbildungsoffensive für Lehrer*innen und Erzieher*innen,
  • ein ‚Sondervermögen Bildung‘ und ausreichende Finanzierung,
  • einen echten Bildungsgipfel auf Augenhöhe!

Und dazu gilt: Bildung. Mutig. Los!

Beste solidarische Grüße
Barbara Becker
Vorsitzende GEW Landesfachgruppe Gymnasien (im Team)
Mitglied im Hauptpersonalrat Gymnasien“

Kontakt
Barbara Becker
Vorsitzende Landesfachgruppe Gymnasien (Team); Mitglied im HPR Gymnasien am Kultusministerium, Stuttgart