Drei Fragen an ... Katrin Steinhülb-Joos, Landtagsabgeordnete
Katrin Steinhülb-Joos, früher Schulleiterin, jetzt Landtagsabgeordnete der SPD, beantwortet der „Schulleitung“ drei Fragen zu aktuellen Bildungsthemen
Als ehemaliger Schulleiterin sind Ihnen Bildungsthemen ein Anliegen. Bildung soll von den Stärken des Menschen und nicht von der Herkunft abhängen. Davon sind wir leider auch besonders in Baden-Württemberg noch weit entfernt. Welche Maßnahmen könnten helfen?
Als Schulleiterin musste ich immer wieder erleben, wie sehr Bildung von der Herkunft abhängt. Hier ist es unbedingt notwendig, den Schülerinnen und Schülern, die das notwendige Rüstzeug von zuhause nicht mitbekommen haben, die notwendige Unterstützung verlässlich und garantiert zukommen zu lassen. Es braucht zusätzliche Möglichkeiten, Kindern zu helfen, die mit weniger guten Voraussetzungen ihren Schulalltag bestreiten müssen, damit sie ihre Stärken entfalten können. Sie benötigen verbindliche Förderung im Unterricht. Damit die Ressource bei den Kindern, die sie brauchen, ankommt, ist eine am Bedarf einer Schule orientierten sozialdatenatlasbezogene Ressourcenzuweisung erforderlich. Als Schulleiterin habe ich mir diese schon lange gewünscht. In unserer SPD-Landtagsfraktion fordern wie eine gerechtere Steuerung der Ressourcen, die nicht wie bisher mit der Gießkanne verteilt werden. Lernstandserhebungen helfen uns nicht weiter, wenn sie ohne Konsequenz bleiben. Wenn IQB oder Vera 3 dem einzelnen Kind Defizite testiert, dann muss das Schulsystem so aufgegtellt sein, einer Schülerin und einem Schüler automatisch die zusätzliche Fördermaßnahme zuzuteilen. Endlich will die Landesregierung die gerechtere Verteilung von Ressourcen umsetzen, welche den Sozialstatus berücksichtigt, das Einzugsgebiet und weitere Indikatoren, die gerade vom IBBW definiert werden. Allerdings finde ich sehr bedauerlich, wie das Kultusministerium das Thema angeht: Von einem Mini-Modellversuch, der noch 4 Jahre lang erprobt werden soll, wird nur ein Bruchteil der Schulen profitieren, damit ist nicht geholfen, Die sozialdatenatlasbezogene Zuweisung müsste sofort starten. Erfahrungen und wissenschaftliche Auswertungen liegen bereits aus anderen Bundesländern vor. Wir fordern verpflichtenden Nachhilfeunterricht für alle Kinder mit Leistungsdefiziten in den Klassen 1 bis 4, der in den Räumen der Schule stattfindet. Kein Kind darf zurückgelassen werden. Wir fordern außerdem vorschulische Sprachtests und verpflichtende Sprachförderung bereits im Kita-Alter, damit die ungleichen Voraussetzungen bis zum Schuleintritt angegangen werden können.
Investitionen in die Bildung sind unerlässlich und lohnen sich. Dennoch ist zum Beispiel Baden-Württemberg eines der letzten vier Bundesländer, in denen Grundschullehrer*innen schlechter bezahlt sind, als Kolleg*innen anderer Schularten. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Die Lehrkräfte an den Schulen leisten unglaublich viel! Immer mehr Kinder benötigen Unterstützung, das Personal ist knapp, die Heterogenität ist gestiegen. Immer mehr Kinder binden enorm viel Aufmerksamkeit. Gespräche mit allen Beteiligten führen und das Einbeziehen von Kooperationspartnerinnen sind unabdingbar. Die Aufgabenfelder sind sehr vielfältig, zeitintensiv und anspruchsvoll geworden. Inklusion und Digitalisierung kommen dazu. Mit Blick auf den Fachkräftemangel und dem Wettbewerb zu anderen Bundesländern besteht hier deutlicher Handlungsbedarf. Eine entsprechende Eingruppierung und die Besoldungsgruppe A13 muss unbedingt und zwar jetzt erfolgen. Dies hat mit Wertschätzung zu tun. Unsere Lehrkräfte haben es verdient gesehen zu werden, in dem was sie tagtäglich leisten, Unterricht vertreten und die Schulen am Laufen halten. Chapeau! Wo bleibt die Anerkennung?
Thema Ganztag: Als Politikerin setzen Sie auf Ganztagesschulen. Doch für eine gute Umsetzung fehlen Lehrkräfte und ErzieherInnen. Was tun?
Qualitativ hochwertige Ganztagesschulen tragen erheblich zur Bildungsgerechtigkeit bei. Ist diese gut gemacht, wird sie gerne besucht, so wie in Hamburg. Dort nehmen ca. 90 % an den Ganztagesangeboten teil. Der Lehrkräftemangel und Fachkräftemangel ist so groß und rollt wie eine Lawine auf uns zu. Wir benötigen deshalb unbedingt zusätzliches Personal. Darum werden wir nicht herumkommen. Umso wichtiger ist es, Mindeststandards verbindlich festzulegen, damit klar definiert ist, welche Voraussetzungen Seiteneinsteiger und Quereinsteiger erfüllen müssen, um an den Schulen arbeiten zu können. Wie sieht der Einführungskurs aus, welche Fortbildungen sind verpflichtend? Spätestens nach der Veröffentlichung des IQB hätte meiner Meinung nach ein Paket mit Sofortmaßnahmen von Seiten des Kultusministeriums auf dem Tisch liegen müssen. Der Ausbau der Ganztagsschulen ging in den letzten Jahren leider nur schleppend voran. Wir haben unterschiedlich qualifiziertes Personal in der Ganztagesbetreuung, auch hier braucht es Qualitätsstandards. Wir haben einen Mix an Angeboten an den Schulen, verlässliche Grundschule, verbindliche Ganztagesschulen, Hort und flexible Betreuungsangebote. Die Angleichung der unterschiedlichen Qualitätsstandards des Personals ist notwendig. Eltern und Kinder müssen sich auf einheitliche Standards verlassen können. Pädagogisches Personal für die Ganztagesbetreuung muss aus- und weitergebildet werden, Kräfte der verlässlichen Grundschule beispielsweise zu Ganztageskräften. Die Arbeitsbedingungen für pädagogische Kräfte müssen attraktiver sein, die Arbeitszeiten auf den Ganztag angepasst werden. Es braucht gemeinsame Zeitfenster mit Lehrkräften, Eltern und für die Weiterentwicklung der Schule. Für den Rechtsanspruch Ganztagesbetreuung, der ab 2026 für die Grundschulen gilt, ist es wichtig, die Zeit bis dahin zu nutzen und Personal zu gewinnen. Für die Möglichkeit der Nutzung der Ferienbetreuung (10 Wochen im Schuljahr) braucht es bereits jetzt Überlegungen von Seiten der Kommunen, wie einer etwaigen großen Nachfrage begegnet werden kann.
Nach langen Bemühungen und einem von uns eingebrachten Beschlussantrag zur Einstellung von Pädagogischen Assistenten, der mir sehr wichtig war, griff die Landesregierung nun endlich diesen Vorschlag auf, für den wir Sozialdemokratinnen und die GEW kräftig gekämpft hatten. Für den Rechtsanspruch Ganztagesbetreuung wird es sicherlich relevant, jegliches Personal an den Schulen zu nutzen, ihnen kreative und flexible Angebote zu bereiten, sich fortzubilden und dort einzubringen wo Bedarf und die Qualifikation besteht. Wichtig ist allerdings, die Zeit zu nutzen, um Personal zu akquirieren, Strukturen zu schaffen den Rechtsanspruch vorzubereiten. „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das was wir nicht tun“, hätte Molière möglicherweise zu Herrn Kretschmann
und Frau Schopper gesagt.
Die Fragen stellte Roswitha Malewski