Drei Fragen an ... Norbert Brugger
Wir brauchen eine Verständigung mit dem Land über die Weiterentwicklung der Schulträgerschaft und Modernisierung der Schulverwaltung“ sagt Norbert Brugger, Dezernent für Allgemeine Verwaltung, Bildung, Kultur und Sport beim Städtetag Baden- Württemberg. Seit 30 Jahren ist er dort für kommunale und bildungspolitische Themen zuständig.
Sehr geehrter Herr Brugger, Sie sind Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg.
Was sind schulischerseits momentan Ihre größten Herausforderungen?
Schulpolitik ist immer ein forderndes Vielfrontengefecht. Aber das macht sie auch so faszinierend. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt derzeit bei den Vorbereitungen zur Umsetzung des umfassenden Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter ab Schuljahr 2026/27. Ferner ist der nach der Corona-Krise wegen fehlender Anschlussfinanzierung durch Bund oder Land verloren gegangene Schwung beim digitalen Ausbau der Schulen wieder herzustellen. Wir brauchen landesweite Daten zur digitalen Ausstattung der Schulen, um profund über deren Weiterentwicklung beraten und entscheiden zu können. Bei den persönlichen digitalen Geräten für Lehrkräfte muss bald eine für die Kommunen tragfähige Finanzierungslösung und Ausstattungsregelung gefunden werden. Alles andere macht keinen Sinn, zumal nun die Digitale Bildungsplattform erfreulicherweise ins Laufen kommt und demnächst endlich alle Lehrkräfte eine dienstliche Mailadresse erhalten. Das Land steht hier in der Pflicht, denn es geht um die persönliche Ausstattung seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Etwa 70 Prozent der Lehrkräfte dürften aufgrund der mittlerweile ausgeschöpften Bundesförderung aktuell über ein eigenes digitales Dienstgerät verfügen. Schulsanierungen sind und bleiben ein großes Thema, denn der Sanierungsstau beläuft sich trotz der Sanierungsprogramme weiter auf mehrere Milliarden Euro. Ein Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 06.12.2022 sorgt für große Unruhe unter den Kommunen, weil es genau vorgibt, wie Städte mit hohen Auswärtigenanteilen an ihren Schulen die Wohnortgemeinden dieser Auswärtigen zur Mitfinanzierung heranziehen können. Da geht es teilweise um mehrstellige Millionenbeträge.
Sollte das neunjährige allgemeinbildende Gymnasium infolge des laufenden Volksantrags oder Bürgerforums G8/G9 auch in Baden-Württemberg wieder als Regelangebot eingeführt werden, wird sich dies zu einer weiteren Großbaustelle entwickeln. 45 Prozent der Grundschulabgänger gehen schon jetzt an ein Gymnasium. Diese Quote würde sich durch ein flächendeckendes G9 im Land noch deutlich erhöhen. Das zeigen auch die 43 aktuellen G9-Gymnasien mit ihrem oft hohen Schülerzulauf bis an die Kapazitätsgrenze. G9 allerorten würde sich deshalb auch auf alle anderen Schularten auswirken. Strukturveränderungen fordern immer ihren Tribut und sie brauchen viel Zeit, zumal Schulen vorzugsweise in den Ferienzeiten zu sanieren oder umzubauen sind.
Seit Corona hat sich in den Schulen einiges zum besseren gewendet (Digitalisierung), anderes nicht, so ist z.B. der Lehrer*innenmangel mittlerweile dramatisch. Ebenso der Erzieher*innenmangel aus Sicht der Gemeinden. Der Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung schwebt also wie ein Damoklesschwert über Schulen und Gemeinden. Was raten Sie den Gemeinden im Hinblick auf das Gesetz 2026? Kopf in den Sand und hoffen, dass es doch nicht so schlimm kommt, wird keine Option sein.
Wir stecken vor dem kommenden Rechtsanspruch nicht den Kopf in den Sand. Im Gegenteil ziehen wir alle Register, um diesen sehr weitreichenden Anspruch weitestmöglich zu verwirklichen, denn er macht grundsätzlich Sinn. Es ist eine Antwort auf den akuten Fachkräftemangel im Land, weil der beiden Elternteilen durch verlässliche Betreuung ihrer Kinder die Berufstätigkeit ermöglicht. Ganztagsbetreuung leistet zudem einen bedeutenden Beitrag zur guten Entwicklung von Kindern, die von ihrem Elternhaus nicht ausreichend unterstützt werden können. Sie fördert damit den sozialen Frieden, besonders in
unserer von hoher Migration und Umbrüchen geprägten Zeit und Gesellschaft. Viele Städte wirken in Arbeitsgruppen des Städtetags sehr engagiert bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs mit. Unser Vorstand befasst sich demnächst mit einem 14 Punkte-Maßnahmenpaket des Städtetags zur Rechtsanspruchsumsetzung. Es benennt konkret, welche weiteren Maßnahmen vorzunehmen, welche Rechtsänderungen zu ergreifen und welche auskömmliche Finanzierung durch Bund oder Land zu leisten ist. Nur so lässt sich das Großprojekt Rechtsanspruch realisieren. Die Zeit für die rechtzeitige Umsetzung des Rechtsanspruchs wird allerdings immer knapper. Es ist unsäglich, dass zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Anspruchs Bundesfördermittel in Höhe von 380 Mio. EUR den Kommunen im Land immer noch nicht zur Verfügung stehen, weil bürokratische Hürden dafür noch nicht überwunden sind. Auch im Landesrecht sind nach dem Vollzug der aktuellen Schulgesetznovelle noch weitere wichtige Änderungen zur Verwirklichung des Rechtsanspruchs vorzunehmen. Das Tempo dafür ist zu erhöhen. Verzögerungen und unzureichende Unterstützung dürfen am Ende nicht zu Lasten der Kommunen gehen! Und die 380 Mio. EUR des Bundes können auch nur der Anfang sein. Es muss noch mehr kommen, viel mehr. 453.900 Kinder im Land werden künftig über einen achtstündigen Betreuungsanspruch pro Werktag in 48 von 52 Jahreswochen verfügen. Das ist eine enorme Herausforderung, die einen enormen Preis hat. Bund und Land müssen diesen begleichen, die Kommunen können das nicht stemmen.
Schulleitungsassistent*innen – ein Modell, das Zukunft hat? Wie sind Ihre Erfahrungen?
Schulverwaltungsassistenzen waren schon beim Start der Schulversuche hierfür im Land vor mittlerweile 20 Jahren eine gute Idee. Seither haben sich die Schulen noch wesentlich weiterentwickelt, sind die digitaltechnischen Herausforderungen und Möglichkeiten dort noch wesentlich größer und komplexer geworden. Viele Schulen sind ja vom Volumen her mit mittelständischen Betrieben vergleichbar. In Sonntagsreden findet Schulverwaltungsassistenz auch Beachtung. An den Werktagen und damit Schultagen fristet sie in der Landespolitik hingegen weiter ein Schattendasein, passiert nichts mit ihr, werden keine Konsequenzen aus den längst beendeten Schulversuchen gezogen, wird ihre weitere Umsetzung im Land im Fünfjahresrhythmus von Koalitionsvereinbarung zu Koalitionsvereinbarung vertagt.
Die Fragen stellte Roswitha Malewski