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Interview

„Im Referendariat sollte man wachsen dürfen“

Wie fordert die Corona-Pandemie bestimmte Personengruppen heraus? Die Junge GEW möchte in verschiedenen Gesprächen mit Schüler*innen, Studierenden, Referendar*innen und Lehrkräften erfahren, wie es ihnen im Arbeitsalltag geht.

Foto: Shutterstock/GEW

Die Referendar*innen für das gymnasiale Lehramt Leonie Waldschütz (30, Englisch & Sport), Alexandra Exl (30, Biologie & Geographie) und Jannik Rombold (29, Ethik, Mathe & Sport) sind im dritten Ausbildungsabschnitt des Referendariats und damit auf der Zielgeraden. Sie erzählen von Hürden, die sie in den letzten eineinhalb Jahren überwinden mussten.

Jedes Referendariat ist anders, die Mentor*innen, Schulleitungen, Kolleg*innen, Fachleiter*innen sind unterschiedlich. Wie ist es bei euch?

Jannik: Die Rahmenbedingungen sind okay. Ich fühle mich an meiner Ausbildungsschule wohl und von den Kolleg*innen unterstützt.

Leonie: Ich hatte mit meiner Ausbildungsschule großes Glück. Nette Kolleg*innen, ein unterstützendes Schulleitungsteam. Ich kann mich ganz auf meine Fächer und Klassen konzentrieren und werde nicht noch zusätzlich durch Aufsichten oder Klassenlehreraufgaben eingebunden, wie viele meiner Mitrefis.

Alex: Das ist bei mir anders. Ich bin Klassenlehrerin, habe Aufsichten und muss auch Vertretungen übernehmen. Auch im Prüfungszeitraum. Ich wurde sogar schon für Vertretungsstunden eingetragen, die außerhalb meiner bevorzugten Vertretungsstunde lagen. Ich pendle von Freiburg nach Offenburg, aber darauf wird kaum Rücksicht genommen. Ich habe montags zur ersten und zweiten Stunde und dann erst wieder in der siebten und achten Stunde. Das ist mühsam, aber ich versuche, die Zeit zum Arbeiten zu nutzen.

Wie wirken sich die Arbeitsbedingungen an der Schule auf eure Ausbildung aus?

Leonie: Man muss im dritten Ausbildungsabschnitt eigenständigen Unterricht durchführen, maximal zwölf Stunden und mindestens neun. Je nach Bedarf an der Schule hat man dann mehr oder weniger Unterricht. Das finde ich nicht richtig. Für eine Doppelstunde brauche ich zur Vorbereitung drei Mal so lange. Mit meinen zwölf Unterrichtsstunden kommen für die drei Wochenstunden mehr neun zusätzliche Stunden Arbeit pro Woche auf mich zu.

Alex: Meine Schule ist zum Teil schlecht ausgestattet, auch was das Unterrichtsmaterial angeht. In Geographie sind die letzten Fachzeitschriften von 2008, weil kein Geld mehr dafür da ist. In Biologie gibt es hingegen super viel Arbeitsmaterial auch für Versuche und Experimente. An anderen Schulen ist das ganz anders. Es kann eigentlich nicht sein, dass bereits die Ausgangssituation an Schulen so unterschiedlich ist!

Habt ihr das Gefühl, dass der Workload zu groß ist?

Leonie: Zwölf Stunden sind gut machbar, wenn man Routine entwickeln kann. Was mich rauswirft, sind die Aufgaben, die man zusätzlich nur in der Ausbildung machen muss: die Dokumentation und Ausarbeitung einer Unterrichtseinheit (DUE), die Terminplanung, die Themenverteilungspläne, die Monate vor den Lehrproben erstellt werden müssen, und die Lehrproben selbst. Die Ballung an Prüfungen und Fristen, in denen Leistung gebracht werden muss, ist zu dicht.

Alex: Meine intrinsische Motivation, eine gute Stunde zu machen, ist hoch. Aber wenn du immer nur gesagt bekommst, was nicht so gut läuft, zweifelt man an sich und macht sich beim Vorbereiten verrückt. Mit dem Druck von außen gelingt es schwer zu sagen: Jetzt reicht’s. Der zweite Ausbildungsabschnitt ist nur noch ein einziger, eng getakteter Prüfungsmarathon, bei dem man nur denkt: hoffentlich halte ich das durch.

Jannik: Das Kultusministerium plant jetzt, die Stunden noch hochzusetzen. Bei dem engen Terminplan kann ich mir nicht vorstellen, noch mehr Stunden zu unterrichten.

Was belastet euch besonders?

Alex: Vor allem das Abhängigkeitsverhältnis. Ich habe das Gefühl, meine Rechte gar nicht einfordern zu können, weil ich sonst Nachteile befürchte. Deswegen können jede Schulleitung, aber auch die Fachleiter*innen am Seminar ihr eigenes Süppchen kochen. Es gibt Schulen, da bekommen die Referendar*innen im ersten Ausbildungsabschnitt nicht einmal den Schlüssel für die Toiletten im Lehrerzimmer.

Jannik: Die Funktion des Referendariats sollte eigentlich sein, gemeinsam daran zu arbeiten, dass wir guten Unterricht halten. Aber die Person, die uns in den Unterrichtsbesuchen berät, benotet uns später auch in den Lehrproben. Das ist ein Problem. Oft erhalten wir in den beratenden Gesprächen eine lange Liste mit Fehlern. Klar: Die Fachleiter*innen wollen uns bestmöglich vorbereiten, aber eine enge Betreuung ist so natürlich nicht möglich. Deshalb hängt es sehr von der Schule und den Kolleg*innen ab, wie die Unterstützung ist. Der Fokus sollte mehr darauf liegen: wie kann ich mich verbessern? Auch wäre es schön, mal zu hören, was schon gut läuft. Das passiert zu selten.

Leonie: Während Corona wurde wenig an den Prüfungen geändert, mit der Begründung, dass die Chancengleichheit (in Bezug auf andere Jahrgänge) gewahrt werden müsse. Diese Chancengleichheit existiert aktuell aber nicht. Vor allem in Sport war es schwierig, den Vorgaben des Kultusministeriums zu entsprechen. Im ersten Abschnitt sollten wir 60 Stunden Hospitation erreichen – bis Juni gab es aber an meiner Schule gar keinen Sportunterricht. Trotzdem wurde ich in den eigenständigen Unterricht gelassen, was ich mir auch zugetraut habe. Aber nach den Sommerferien meinte meine Fachleiterin: „An den handwerklichen Sachen müssen Sie noch arbeiten.“ Da war er wieder, dieser defizitorientierte Blick. Das ist für den Selbstwert absolut schädlich.

Waren die Änderungen durch die Corona-Pandemie ein Vor- oder Nachteil für euch?

Jannik: Auf jeden Fall ein Nachteil. Ich habe erst im Mai 2021 Schüler*innen kennengelernt und Präsenzunterricht gesehen. Davor war alles digital, da zeitweise nur die Oberstufe Präsenzunterricht hatte. Zu meinen beiden ersten Sportstunden in der Mittelstufe kam gleich der Fachleiter. Es hätte mir geholfen, mehr Kolleg*innen zu sehen. Das war aber im ersten Abschnitt nicht erlaubt und im zweiten hat es zeitlich nicht mehr gereicht.

Alex: Es war definitiv ein Nachteil, dass wir bis März nicht an der Schule waren. In den Nebenfächern haben keine Videokonferenzen stattgefunden. Ich habe mir dann Englisch angeschaut. Positiv sehe ich, dass wir mit Videokonferenzen auch Kinder erreichen, die zuhause sitzen. Dasselbe gilt auch für das Seminar. Wir hatten im Vorfeld Medienkurse. Die konnten wir von zuhause aus machen. Dadurch ist die Fahrerei weggefallen und der zeitliche Aufwand wurde entzerrt.

Leonie: Niemand wusste so richtig, wie das mit den 60 Stunden begleiteten Ausbildungsunterricht, der in beiden Fächern gehalten werden muss, laufen soll. Um die 60 Stunden zu kompensieren, zumindest in Englisch, habe ich enorm viel arbeiten müssen. Nach Pfingsten hieß es, dass wir aber trotzdem auch 30 Stunden in Sport halten müssen. Das habe ich dann auch noch reingequetscht.

Ihr habt erzählt, wie eng der Prüfungszeitraum ist. Wart ihr davon betroffen, dass ihr eine Lehrprobe wegen Corona nicht durchführen konntet?

Leonie: Ja, ich hatte zur zweiten Lehrprobe Corona. Die Lehrprobe hatte ich aber schon komplett vorbreitet. Ich habe daher beim Landeslehrerprüfungsamt (LLPA) nach dem alternativen Prüfungsformat gefragt. Der Referendars-Jahrgang von 2020/2021 hatte keine Lehrproben mit Klassen, sondern nur das alternative Prüfungsformat. Das bedeutet, dass eine Lehrprobe vorbereitet wird, aber dann nicht mit Schüler*innen durchgeführt, sondern lediglich den Prüfer*innen vorgestellt und anschließend theoretisch abgeprüft wird. Die Reaktion auf meine Frage war nicht verständnisvoll, was in einer Situation, in der man sowieso schon nervlich angespannt ist, das Gefühl vermittelt, als wollte ich etwas geschenkt bekommen. Das fand ich super frustrierend.

Alex: Bei mir war es dasselbe. Mir wurde gesagt, das wäre ein unfairer Vorteil, den ich da wolle, weil ich dann eine Woche mehr Zeit zum Vorbereiten hätte. Weil ich die Lehrprobe nicht halten konnte, musste ich eine komplett neue Stunde planen, was ein enormer Aufwand ist. Das ist doch nicht gleichbehandelt.

Welche Erwartungen hattest du an das Referendariat?

Jannik: Ich habe erwartet, dass es stressig wird, aber nicht, dass die Belastung so groß ist. Nach dem ersten halben Jahr sollte ich schon perfekten Unterricht zeigen. Das ist utopisch und hat mich massiv unter Druck gesetzt. Nach dem Referendariat sollte man Lust bekommen, Dinge zu verändern und nicht die Freude am Experimentieren verlieren.

Alex: Ich habe die anstrengende Zeit gut weggesteckt, weil ich wusste, dass das keine superspaßigen eineinhalb Jahre werden. Mein erster Unterrichtsbesuch von meinem Fachleiter war fürchterlich. Seitdem habe ich erstaunlich viel gelernt. Ich hätte mir aber von Beginn an mehr Handwerkszeug gewünscht.

Leonie: Ich hatte nicht erwartet, dass es mich persönlich psychisch so mitnimmt. Positiv überrascht bin ich, wie selbstverständlich ich jetzt im Unterricht stehe. Das habe ich vor einem Jahr noch nicht gesehen.

Was müsste am Referendariat oder auch ganz allgemein an den Schulen ändern?

Leonie: Es gibt so viele Studien, die zeigen, dass Lehrkräfte massiv von Burnout bedroht sind. Warum ändert sich nichts? Ich habe topmotivierte Kolleg*innen, die aber bereits nach wenigen Jahren weniger für ihren Job brennen, weil so viele Zusatzaufgaben anstehen.

Alex: Ich war hochmotiviert und mir wurde der Zahn so schnell gezogen! Von Beginn an schwebte diese große graue Wolke der Lehrproben über mir und davon bin ich nicht weggekommen. Das Referendariat sollte fordern und fördern, einen als Lehrperson wachsen lassen und puschen. Die Einstellung „Wir lassen das über uns ergehen und dann können wir vielleicht etwas ändern“, spricht absolut nicht für die Ausbildung.

Jannik: Das Referendariat ist vor allem ein Stresstest. Das trägt nicht dazu bei, dass die Qualität des Unterrichts höher wird. Dafür bräuchte es mehr Zeit, und man muss weg von dieser Fokussierung auf die Prüfungen. Es darf nicht sein, dass die Fachleiter*innen sagen: „Das machen Sie in der Prüfung dann so.“ Wir wollen doch auch nicht, dass Schüler*innen nur lernen, um eine gute Note zu bekommen. Aber genau diese Ausrichtung hat das Referendariat. Das habe ich in meinem gesamten Bildungsweg nicht so erlebt.

Wollt ihr denn trotzdem noch Lehrer*innen werden?

Leonie: Die Arbeit an sich macht super viel Spaß. Das Feedback der Schüler*innen hat mich durch das Ref getragen. Sie haben mich wertgeschätzt, Fehler durchgehen lassen. Ich möchte innovativ und zukunftsorientiert arbeiten. Ich glaube, es ist nicht leicht, eine solche Stelle zu finden. Aber mein Ideal wurde durch das Ref nicht zerstört!

Alex: Ich finde alternative Schulkonzepte, die Bildung und Schule neu denken, gerade sehr spannend.

Jannik: Ich bin ein Fan des staatlichen Schulsystems, da eine zunehmende Privatisierung des Bildungssektors das Problem der sozialen Ungleichheit im Bildungskontext weiter verschärfen würde. Man sieht an Modellschulen, was möglich ist. Es fehlt einfach die Zeit, Unterrichtskonzepte neu zu denken. In der Schule läuft Unterricht nebenher. Das muss sich ändern.

Kontakt
Johanna Schreiber
Referentin MitgliederEntwicklung
Telefon:  0711 21030-22