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GEW-Fachtagung „Alterspolitik und soziale Verantwortung“

Menschen mit reichem Erfahrungsschatz und viel Zeit

Freiwilligenarbeit, die Rolle des Wohlfahrtsstaates, Ansätze für eine zeitgemäße Senior*innenpolitik – auf der 7. senior*innenpolitischen Fachtagung der GEW diskutierten Anfang Juli in Bonn Ältere mit Expert*innen aus Wissenschaft und Politik.

Was bedeutet alt werden in unserer Gesellschaft, wie kann eine zeitgemäße Politik für Senior*innen aussehen und wie können Menschen im Ruhestand wirkungsvoll an der Gesellschaft teilhaben? Mit solchen Fragen beschäftigte sich die Fachtagung der GEW drei Tage lang Anfang Juli in Bonn unter dem Titel „Alterspolitik und soziale Verantwortung“. Gut 120 Teilnehmer*innen aus allen Bundesländern, darunter sieben aus Baden-Württemberg, waren angereist.

Es ist kein Zufall, dass bei der Suche nach einer zeitgemäßen Politik für Ältere Freiwilligenarbeit eine wichtige Rolle spielt. Mehr Menschen denn je engagieren sich ehrenamtlich, in traditionellen Vereinen ebenso wie in Projekten oder in der Gewerkschaftsarbeit. „Was ist die Rolle der Senior*innen in der GEW? Wie schaffen wir es für die Jüngeren, Professionspolitik zu machen und für die Älteren eine Altersphasenpolitik?“, fragte Frauke Gützkow, im GEW-Vorstand zuständig für Senior*innenpolitik. „Alt werden ist vielfältig, geprägt von Lebenssituation, Biographie, Geschlecht und Herkunft. Wir brauchen eine Senior*innenpolitik, die auf respektvoller Solidarität zwischen den Generationen fußt und Älteren Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht.“

In seinem Fachvortrag über „Freiwilligenarbeit versus Wohlfahrtsstaat als Ressource" erinnerte der Koblenzer Sozialforscher Stefan Sell daran, wie wichtig Freiwilligenarbeit für die Gesellschaft ist. 84 Prozent der fünf Millionen Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. „Trotzdem gehen wir so schamlos schlecht mit der Ressource ‚Pflegende Angehörige‘ um, die letztlich nichts anders als Freiwilligenarbeit machen.“ Nutzt der Wohlfahrtsstaat das Ehrenamt als Sparmodell, um sich ungeliebter Aufgaben zu entledigen, oder kann Freiwilligenarbeit eine sinnvolle Ergänzung zu wohlfahrtsstaatlichen Dienstleistungen sein? Sell sagte: „Es gibt kein Schwarz oder Weiß, Freiwilligenarbeit und Wohlfahrtsstaat stehen in einem Spannungsverhältnis, das wir immer wieder neu aushandeln müssen“. Hildegard Theobald, Professorin für Gerontologie an der Universität Vechta, verglich die Rolle von Freiwilligenarbeit und Sozialstaat in Deutschland, Japan und Schweden. Dabei wurde erschreckend deutlich, dass in den ganz unterschiedlichen Versorgungssystemen eines allen gemeinsam ist: „Sie setzen auf den Einsatz von Frauen“, kritisierte Gützkow. „Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, den wir dringend bekämpfen müssen.“

Mehr Mitsprache in der Politik

Bei der Debatte über Senior*innenpolitik in Kommunen, Land und EU brachte Klaus Beck, Bundessenior*innen­beauftragter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), die Stimmung der Tagungsteilnehmer*­innen auf den Punkt. Scharf wies er darauf hin, dass Politik für Ältere immer noch keine große Rolle in der politischen Landschaft spiele. Gerade mal acht Zeilen habe die Ampelkoalition der Senior*innenpolitik eingeräumt, in der Debatte über das allgemeine Gleichstellungsgesetz finde das Thema Altersdiskriminierung nicht statt. „Senior*­­innenpolitik muss Querschnittspolitik sein, die sich durch alle Lebensbereiche zieht.“ Dafür sorgt, dass Ältere gesund wohnen, dass sie kulturell mitmischen und mobil bleiben können.

Die Teilnehmenden waren sich einig: Eine solche Politik kommt allen zugute. Von der Absenkung von Bordsteinen in einem Quartier haben Eltern mit Kinderwagen genauso viel wie Senior*innen mit Rollator. Beck erinnerte an eine ­zentrale gewerkschaftliche Forderung: „Damit die Anliegen Älterer gehört werden, brauchen wir endlich flächendeckend Senior*innenmitwirkungsgesetze.“ Und eine engagierte Stadtpolitik, die sich mit einem Set von Maßnahmen für die Belange Älterer einsetzt, unterstrich Detmar Jobst, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen und Stadtrat in Bonn.

Raus aus dem Erwerbsleben, heißt raus aus allem

Regina Görner, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), ermunterte Ältere, lauter zu werden. Denn obwohl die Gruppe der Senior*innen größer und vielfältiger ist denn je, machten sie meist dieselbe Erfahrung: „Raus aus dem Erwerbsleben, heißt raus aus allem. Das gilt sogar fürs Ehrenamt.“

Viele Organisationen suchten vor allem 30- bis 35-jährige, beobachtet Görner, Ältere werden oft weggeschickt. „Aber das sind Menschen mit reichem Erfahrungsschatz und viel Zeit. Wir sollten uns für ein Umdenken einsetzen – dann ist vielleicht bald 70 das neue 35.“

Mehr Austausch zwischen Alt und Jung

Wie sehr der Generationendialog derzeit viele in der GEW umtreibt, wurde in der lebhaften Debatte mit Vertreter*innen von Junger GEW, Deutschem Bundesjugendring und des Bundes­senior*innenausschuss (BSA) Thüringen sichtbar. Alle sprachen sich für mehr Austausch und eine engere Zusammenarbeit von Alt und Jung aus. Franziska Hense von der Jungen GEW und Gabriele Matysik vom BSA Thüringen berichteten vom fruchtbaren Miteinander bei einer gemeinsamen Tagung in Erkner im Juni. Vom Schulterschluss der Generationen beim Kampf um das Klima erzählte Waltraud Former von der zivilgesellschaftliche Bewegung Omas gegen Rechts: „Wir sind auf der Seite der Jugend und umgekehrt. Es tut gut, zusammen für ein Anliegen auf die Straße zu gehen.“ Umso mehr waren sich die Tagungsteilnehmenden in der anschließenden Diskussion einig: Es braucht mehr gemeinsame Veranstaltungen für Alt und Jung auch in der Gewerkschaftsarbeit.

Das Themenspektrum der Workshops umschloss wesentliche Arbeitsfelder der senior*­innenpolitischen Arbeit der GEW: Alter(n)sgerechte Arbeit, Leben mit der Digitalisierung, Pflegezeit für Angehörige tragfähig gestalten, Altersbilder hinterfragen, selbst reparieren und sich im Alltag organisieren, intergenerationelles Wohnen, sichere, flexible Mobilität für Senior*innen und Altersarmut von Frauen bekämpfen. Sichtbar wurde, wie viele gute Ideen und Initiativen es bereits auf vielen Feldern in den Bundesländern gibt, von den Digitalbotschafter*innen der GEW Rheinland-Pfalz über den Fahrgastverein Pro Bahn bis zur Plattform anstiftung zur Gründung von Repair Cafés. Der facettenreiche Input der Tagung gab allen Teilnehmenden vielfältige Anregungen, um die eigene gewerkschaftliche und ehrenamtliche Arbeit weiterzuentwickeln.

Und wohl lange nicht mehr war das Wir-Gefühl der GEW-Senior*innen so spürbar wie beim abendlichen Kulturprogramm. Die Sängerin Petra Bassus sang, begleitet von der Gitarristin Marcella Hagenauer, flammende Chansons über Leben, Leidenschaft und politisches Engagement – und viele der 120 Teilnehmenden dieser senior*innenpolitischen Tagung sangen ausgelassen mit.

Kontakt
Margott Littwin und Gunter Krieger
Vorsitzende des GEW Landespersonenausschusses der Mitglieder im Ruhestand Ba-Wü