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Tarifrunde 2021

GEW-Mitglieder melden sich zu Wort

Nach dem Verhandlungsauftakt am 8. Oktober war klar, dass die Tarifrunde schwierig und konfliktreich werden dürfte. Vor der zweiten Verhandlungsrunde Anfang November wollen wir von zwei GEW-Funktionär*innen wissen, was sie erwarten.

Farina Semler (links) und Michael Zebisch (rechts)
Michael Zebisch (rechts) ist seit knapp einem Jahr GEW-Vorstandsbereichsleiter für Tarif-, Beamten- und Sozialpolitik und Farina Semler (links) stellvertretende GEW-Landesvorsitzende. Beide sind Tarifbeschäftigte.

Am 8. Oktober haben sich die Gewerkschaften mit den Arbeitgebervertreter*innen zur ersten Verhandlungsrunde getroffen. Während die Gewerkschaften die Gelegenheit nutzten, um ihre Forderungen zu begründen, wiesen die Arbeitgeber diese mit Verweis auf die schwierige Haushaltslage zurück und drohten sogar mit Personalabbau, sollte der Abschluss zu hoch ausfallen. Ein eigenes Angebot legten sie nicht vor.

Die Tarifrunde dürfte schwierig und konfliktreich werden. Höchste Zeit, einmal nachzufragen, was unsere GEW-Funktionär*innen und Mitglieder von der Tarifrunde erwarten, bevor sie nach der zweiten Verhandlungsrunde Anfang November in die „heiße Phase“ einbiegt und dann die Warnstreik- und Protestwahrscheinlichkeit steigt.

Ihr erlebt eine Tarifrunde der Länder zum ersten Mal in euren neuen Ämtern. Was hat euch überrascht?

Farina Semler: Mich hat überrascht, wie groß die Beteiligung bei den Informationsveranstaltungen war. Auch die Beamt*innen zeigen erfreulich viel Interesse. Bei der Suche nach Tarifteamer*innen haben sich trotz Belastungen durch Corona viele gemeldet, die bereit sind, sich zu beteiligen.

Michael Zebisch: Eine Kollegin am SBBZ ist neu in die GEW eingetreten und sagte, nur Mitgliedsbeitrag zu bezahlen sei ihr zu wenig, sie möchte im Tarifteam mitmachen. Der Plan, eine Beteiligungsform für die Mitglieder zu finden, der scheint aufzugehen.

Es ist nicht selbstverständlich, dass neue Ideen offen angenommen werden. So war es ein guter Start für mich.

Farina: Überraschend war auch, dass unsere vorab diskutierten Forderungen in der Landestarifkommission bei der Bundes-GEW gut angenommen wurden. Wir konnten unsere baden-württemberg-spezifischen Forderungen stark einbringen.

Warum fordert die GEW 5 Prozent und eine Mindestanhebung von 150 Euro?

Michael: Es ist ein Ergebnis der Mitgliederversammlungen. Dabei betrachten wir die aktuellen Rahmenbedingungen für die Kolleg*innen und halten das für eine vernünftige, nicht überzogene Gehaltsanpassung.

Die 150 Euro sind eine Forderung für die unteren Entgeltgruppen. Die Steigerung ist für Menschen, die nicht viel verdienen (zum Beispiel Hausmeister oder Verwaltungskräfte), und die sollen überproportional profitieren. Der Schnitt liegt bei 3.000 Euro. Dafür ergeben die 150 Euro genau 5 Prozent.

Farina: Wir wollen ja mindestens die Inflationsrate ausgleichen und den Anschluss an die Beschäftigten der Kommunen und in anderen Branchen nicht verlieren. Die Forderungen beziehen sich auf eine Laufzeit von einem Jahr. Die Inflationsrate wird auch pro Jahr berechnet.

Michael: Und wir wollen, dass die Menschen am Ende mehr Geld in der Tasche haben, um sich mehr leisten zu können. Daher liegt unsere Forderung immer über der Inflationsrate.

Die GEW erwartet Verbesserungen bei der Eingruppierung? Was konkret?

Farina: Verbeamtete Grundschullehrkräfte verdienen beispielsweise A 12 und die Tarifbeschäftigten E 11. Und das soll E 12 werden. Im Moment gibt es nur eine Angleichungszahlung, die den Unterschied aber nicht ausgleicht. Wir erwarten, dass das angepasst wird, auch wenn es nur schrittweise geht. Dann hätten wir die sogenannte Paralleltabelle erreicht, dass die Ziffern in der Beamtentabelle (A) und der Tariftabelle (E) jeweils gleich sind. Bei allen Gruppen unter E 13 ist das noch nicht der Fall.

Dann gibt es noch die stufengleiche Höhergruppierung. Wenn ich beispielsweise eine Beförderungsstelle am Gymnasium annehme, dann verliere ich die angesparten Zeiten in meiner Stufe. Angenommen bei mir stünde nach drei Jahren Wartezeit die nächste Stufe an, dann bekomme ich die bei der Höhergruppierung nicht. Ich muss zwar nach der Höhergruppierung mehr verdienen als vorher, aber es kann passieren, dass man auf längere Frist gesehen Verluste macht, wenn man kurz vor einem Sprung in die nächste Stufe ist.

Bei den Beamt*innen kann das nicht passieren. Sie behalten ihre Stufe. Das ist eine Ungleichbehandlung von Tarifbeschäftigten.

„Ich erwarte Solidarität von meinen verbeamteten Kolleg*innen. In der Tarifrunde entscheidet sich ja auch die Erhöhung ihrer Besoldung.“ (Farina Semler)

Die Arbeitgeber werden sagen, dass die Kassen leer sind. Stimmt das?

Michael: Das sagen die Arbeitgeber immer. Klappern gehört zum Geschäft. Wenn man sich die Wirtschaftsdaten ansieht, dann sieht das anders aus. Klar, Corona spielt eine Rolle. Jeder kennt jemanden in seinem Umfeld, der unter dem Wirtschaftsrückgang gelitten hat. Jeder Mensch, der durch die Corona-Krise in wirtschaftliche Existenznöte geraten ist, ist einer zu viel. Aber die Wirtschaft ist wieder angesprungen und die Wirtschaftserwartungen sind gut. Die Krise hat uns natürlich getroffen. Aber anders als in vielen anderen Ländern waren wir ja nicht im Total-Lockdown und es wurde weiterproduziert. Die Menschen haben auch im Home-Office weitergearbeitet. Das Wirtschaftsniveau kommt aktuell wieder zurück auf das Vorkrisenniveau.

Das zweite Thema ist die Schuldenbremse. Das ist eine heilige Kuh und dieses Denken ist gefährlich. Wir sagen, dass jede Investition in Bildung eine Investition in die Zukunft ist, und dazu gehören auch die Gehälter der Kolleg*innen. Nur gute Gehälter signalisieren den jungen Leuten, es lohnt sich Bildungsarbeiter*in zu werden. Wer hier spart, spart die Zukunft kaputt. Die Bremse brennt dann irgendwann durch und wir fahren gegen die Wand.

Farina: Wir haben uns auf der Bundesebene mit der Wirtschaft-, Finanz- und Steuersituation auseinandergesetzt. Und haben uns hier von Wirtschaftsexperten des IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) beraten lassen und gute Argumente geliefert bekommen. Wir spinnen also nicht rum.

Michael: Genau – wir fragen natürlich nach dem Bauchgefühl der Kolleg*innen. Aber wir fundieren das dann durch Wirtschaftsexpertise. Unsere Forderungen sind also kein „Wünsch-Dir-Was“, sondern seriöse Ansagen an die Arbeitgeber. Unsere Verhandler*innen brauchen sich da in der Fachdiskussion mit der Arbeitgeberseite nicht zu verstecken. Ich glaube, der Rechtfertigungsdruck liegt eher auf der anderen Seite.

Gerade in der Pandemie war und ist die Arbeitsbelastung sehr hoch. Warum fordern die Gewerkschaften keine Arbeitszeitreduzierung oder andere Maßnahmen, um so den Kolleg*innen zu helfen?

Michael: Das Thema Arbeitszeit ist ein ganz dickes Brett. Da gibt es viele verschieden Ebenen, nicht nur die tarifliche Arbeitszeit. Dazu kommen etwa die aktuelle Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes zur Erfassung der Arbeitszeit oder die Umwandlung der tariflichen Arbeitszeitregelung in Unterrichtsverpflichtung durch die Bundesländer. Viele Bohrlöcher, viele Stellschrauben. Das in eine Entgeltrunde zu packen, ist wie aus der Hüfte zu schießen und am Ende kontraproduktiv.

Farina: Obwohl wir das Thema nicht in der Tarifrunde aufgerufen haben, werden wir es im Blick haben und an vielen Stellen weiterbohren. Gegenüber der Landesregierung werden wir nach wie vor gegen den Lehrkräftemangel kämpfen und auf Arbeitsentlastung durch Arbeitszeit- und Deputatsreduzierung drängen. Wir werden dieses zentrale Thema bei allen Gelegenheiten gegenüber der Kultusministerin und dem Finanzminister ansprechen.

In Baden-Württemberg sind über 40 Prozent der tarifbeschäftigten Lehrkräfte befristet beschäftigt. Habt ihr das bei den Forderungen vergessen?

Farina: Nein. Wir haben das in unseren Erwartungen an die Arbeitgeber aufgenommen. Baden-Württemberg ist leider Spitzenreiter in Sachen Befristung. Auch wenn es nicht als zentrale Forderung auftaucht, werden wir das in der Tarifrunde zum Thema machen. Denn das ist eine gute Gelegenheit, unsere Kultusministerin zu sensibilisieren. Wir werden nach der Tarifrunde ein Gespräch mit ihr führen. In einem ersten Schritt müssen die Sommerferien bei befristeten Kolleg*innen bezahlt werden – hier sieht es ja so aus, als ob die Ministerin mitgehen kann. All das werden wir mit ihr besprechen. Und wenn die Kolleg*innen bei den Kundgebungen ein Plakat „Befristung ist Mist“ hochhalten, kann das sicher nicht schaden.

Die meisten Lehrkräfte sind verbeamtet. Warum sollte die Tarifrunde sie interessieren?

Farina: Zum einen erwarte ich Solidarität von meinen verbeamteten Kolleg*innen. Zum anderen entscheidet sich in der Tarifrunde ja auch die Erhöhung ihrer Besoldung. Den Beamt*innen kann es nicht egal sein, ob wir gut oder schlecht in der Tarifrunde abschneiden.

Michael: Wir versuchen in dieser Tarifrunde die verbeamteten Kolleg*innen besonders anzusprechen. Beamt*innen können zwar nicht streiken, aber sie können Aktionen machen und natürlich im Streikfall die Vertretung ihrer streikenden Kolleg*innen nicht übernehmen. Und falls sie von der Schulleitung dazu gezwungen werden, sollten die Kolleg*innen gegen diese Anweisung remonstrieren – also nur unter Protest der Anweisung folgen.

Farina: In der Realität kommt es selten zu solchen Zuspitzungen. Wir kündigen Streiks früh an, so dass eine Betreuung, wo sie notwendig ist, erfüllt werden kann. Die Kolleg*innen und die Schulleitung organisieren das. Wichtig ist aber, dass der Unterricht streikender Lehrkräfte nicht stattfindet und sie wissen: „Meine verbeamteten Kolleg*innen und auch die Schulleitung stehen hinter mir!“

Michael, du arbeitest an einer Privatschule. Was können Lehrkräfte dort machen, um die GEW zu unterstützen?

Michael: Lehrkräfte können im Prinzip das gleiche machen wie Beamt*innen. Sie sind ja von der Tarifrunde betroffen. Viele Privatschulen wenden den TV-L an oder übernehmen die Tariferhöhung in der Regel. Sogar Privatschulen, die den TV-L nicht direkt anwenden, müssen darauf reagieren. Das Privatschulgesetz verlangt eine Bezahlung der Lehrkräfte an Privatschulen von mindestens 80 Prozent der Gehälter an staatlichen Schulen. Wenn die Löhne im TV-L steigen, müssen die Gehälter an den Privatschulen entsprechend steigen.

Und die Kolleg*innen können die Gewerkschaften unterstützen. Ein Brief, ein netter Post auf Facebook, in der Freizeit zur Streikkundgebung gehen oder auch selber eine kleine Aktion machen. Schon eine E-Mail oder eine Messengernachricht am Verhandlungstag an die Verhandlungskommission mit ein paar unterstützenden Worten sind eine tolle Geste.

Farina: Wir schätzen das sehr. Auf unseren Kundgebungen in den Tarifrunden der letzten Jahre war es immer toll, wenn sich Kolleg*innen aus den Privatschulen beteiligt haben. Sie haben da kreative Dinge eingebracht. Ich erinnere mich an Wäscheleinen mit vielen Briefen von Privatschulkolleg*innen, die wir dann im Streiklokal aufgehängt haben. Das gibt uns positive Energie.

Streiks werden die Eltern nicht begeistern. Was antwortet ihr denen?

Michael: Letztlich erinnern wir immer daran, das gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Gehalt nicht vom Himmel fallen. Es ist ein Irrglaube, alleine am Verhandlungstisch ließe sich das erreichen. Letztlich streiken wir mit Augenmaß. Wenn wir erläutern, dass alleine die durch Krankheit verursachten Ausfälle den Ausfall durch Streiks um ein Vielfaches übersteigen, dann sehen auch uns gegenüber kritisch eingestellte Eltern das in der Regel ein. Viele Eltern haben ja auch Verständnis für unsere Forderungen – die unterstützen uns sogar.

Farina: Ich kann Michael nur bestätigen. In der Regel verstehen uns die Eltern, wenngleich auch vielen nicht bewusst ist, dass es tarifbeschäftigte Lehrkräfte gibt, die deutlich weniger verdienen als die Beamt*innen. In Baden-Württemberg kommt noch hinzu, dass auch an Streiktagen letztlich nur wenig Unterricht ausfällt, da nur circa jede zehnte Lehrkraft tarifbeschäftigt ist und streiken darf. Uns geht es ja bei den Streiks darum, etwas Sand ins Getriebe zu streuen, um damit in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für unsere Forderungen zu schaffen. Das gelingt aber eben nur, wenn wir streiken. Ohne Streik würden wir nicht gehört.

Habt ihr neben der Gehaltserhöhung etwas für die Beschäftigten an den Hochschulen?

Farina: Wir erwarten an den Hochschulen Maßnahmen gegen die viel zu hohe Befristungsquote. Gerade für viele junge Wissenschaftler*innen ist das ein Problem. Die Aktion #ichbinhannah, die wir als GEW unterstützen – macht darauf ja aktuell aufmerksam. Neben einer guten Gehaltserhöhung würde unseren Kolleg*innen an den Hochschulen auch die stufengleiche Höhergruppierung weiterhelfen. Erwähnt werden muss unbedingt unsere Forderung nach einem Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten. Es ist also einiges dabei für die Hochschulen.

Wenn tarifbeschäftigte Lehrkräfte nur etwa 10 Prozent aller Lehrkräfte ausmachen, dann klingt das wenig. Habt ihr Schwerpunkte, wo ein Streik deutlich sichtbar wird?

Farina: Klar, an den großen SBBZ mit Internaten haben wir viele tarifbeschäftigte Kolleg*innen, vor allem bei den Jugend- und Heimerzieher*innen. Wenn wir sie aufgerufen haben, dann hat man das immer gemerkt, und die Internate mussten das eine oder andere Mal geschlossen werden. Ein weiteres, sehr verlässliches „Streikbataillon“ sind unsere Ruheständler*innen. Da gibt es viele, die zu unseren Kundgebungen kommen und zeigen, dass sie uns Kolleg*innen im aktiven Dienst nicht im Stich lassen.

Das Interview führten Maria Jeggle und Martin Schommer.

Kontakt
Martin Schommer
Referent für Tarif-, Beamten- und Sozialpolitik
Telefon:  0711 21030-12