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Interview

„Schülerzahlen verändern sich, ganze Berufsfelder sind im Wandel“

Von der Backstube in die Schule: Der Vorsitzende des Arbeitskreises der Technischen Lehrkräfte, Jörg Sattur, erklärt im Interview, was die Herausforderungen seines Berufes sind – und wie die Bildungsgewerkschaft diese meistern will.

Jörg Sattur (links) vom GEW-Arbeitskreis Technische Lehrkräfte und Magdalena Wille (rechts), GEW-Referentin für Berufliche Bildung, im Gespräch
Jörg Sattur (links), Vorsitzender des GEW-Arbeitskreises der Technischen Lehrkräfte, und Magdalena Wille (rechts), GEW-Referentin für Berufliche Bildung, im Gespräch

Seit rund 35 Jahren engagieren sich innerhalb der GEW die Technischen Lehrerinnen und Lehrer (TL) an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Der Vorsitzende des Arbeitskreises, Jörg Sattur, berichtet im Interview von seinem Weg zur Bildungsgewerkschaft und wie sich sein Schulalltag als Bäckermeister über die Jahre verändert hat.

Wie ist dein beruflicher Werdegang?

Jörg Sattur: Ich bin gelernter Bäcker und Konditor und Bäckermeister. 1996 bin ich in den Schuldienst an die gewerbliche Schule Im Hoppenlau in Stuttgart eingestellt worden und unterrichte seither dort hauptsächlich bei den Bäckern und Konditoren.

Des Weiteren bin ich derzeit Bezirkspersonalrat am Regierungspräsidium Stuttgart, Mitglied im Landesfachausschuss berufliche Schulen der GEW und Vorsitzender des Arbeitskreises der Technischen Lehrkräfte der GEW.

Welchen Stellenwert hat deiner Ansicht nach der Unterricht der Technischen Lehrkräfte an den beruflichen Schulen?

Sattur: Das hier in der Breite darzulegen würde vermutlich den Rahmen sprengen, ich versuche mich kurz zu fassen. Gerade durch das praktische Arbeiten haben Technische Lehrerinnen und Lehrer nochmal einen anderen Zugang zu den Schülerinnen und Schülern, andere Formen des Lernens sind in ihrem Unterricht möglich. Und durch ihr fachliches Wissen und Können tragen sie viel zum Ansehen und Renommee der beruflichen Schulen nicht nur bei unseren Schülern, sondern auch bei den dualen Partnern und Wirtschaftsverbänden und Berufsinstitutionen bei, haben sie doch die Berufe sozusagen „von der Pieke auf gelernt“.

Wie bist du zur GEW gekommen? Warst du vor deiner Schulzeit schon Gewerkschaftsmitglied?

Sattur: Nein, nein, ich war wie die meisten Bäcker unorganisiert. Die ersten Jahre in der Schule war ich als Tarifbeschäftigter angestellt und mein Verdienst lag zu Beginn meiner Dienstzeit deutlich unter meinem vorherigen Verdienst als Bäckermeister.

Auch das deutlich höhere Deputat im Vergleich zu den wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen ärgerte mich, widersprach es doch meinem Gerechtigkeitsempfinden. Schließlich hatte ich fünf Jahre in meine Ausbildung investiert und meinen Meisterkurs aus eigener Tasche bezahlt!

Dazu hatte und habe ich bei den Bäckern sehr häufig auch Schülerinnen und Schüler aus sogenannten bildungsfernen Familien oder mit Handicaps, so dass mich auch die Frage der Bildungsgerechtigkeit sehr schnell umtrieb. All das waren Gründe für mich, in die GEW einzutreten.

Wie bist du dann zum Arbeitskreis gekommen?

Sattur: Als ich mitbekommen habe dass es da einen Arbeitskreis für Technische Lehrkräfte gibt, habe ich Kontakt aufgenommen und bin dann mal hingegangen. So habe ich dann 1999 einen Artikel geschrieben, welcher damals im Berufsschulinfo der GEW veröffentlicht wurde, um auf die besonderen Belastungssituationen der Technischen Lehrerinnen und Lehrer hinzuweisen. Artikelüberschrift war „Aus dem Alltag eines TL“, in welchem ich sehr direkt und ohne Umschweife aus einem Unterrichtstag berichtet habe. Es war wichtig, dass hier einmal Probleme und Belastungen von uns in breiter Öffentlichkeit benannt werden.

Du hast die Bezahlung, das Deputat und die Bildungsgerechtigkeit angesprochen. Welche Themen bilden heute den Schwerpunkt eurer Arbeit im Arbeitskreis?

Sattur: Das berufliche Schulwesen ist vielschichtig und weit verzweigt und es verändert sich immer schneller, was sich bei den Technischen Lehrkräften widerspiegelt. Schülerzahlen verändern sich, ganze Berufsfelder sind im Wandel. Es gibt Bereiche, in welchen die Lehrerinnen und Lehrer von Flexibilisierungsmaßnahmen betroffen sind, da es in ihren Berufen zu wenig oder gar keine Schüler mehr gibt. Andere wiederum unterrichten verstärkt im Übergangsbereich und in VABO-Klassen und sind dort vor besondere Herausforderungen gestellt. Und wieder andere werden mit einer immer schnelleren technischen Entwicklung konfrontiert, ich nenne hier einfach mal die Begriffe „Industrie 4.0“ oder „Digitalisierung“.

Dazu kommen immer mehr gesetzliche Vorschriften zum Beispiel im Bereich des Arbeitsschutzes, welche die Werkstätten und Labore an den Berufsschulen betreffen und die von den Lehrkräften umgesetzt werden müssen. Dabei müssen die Kolleginnen und Kollegen unterstützt werden. Es müssen gezielte Qualifizierungsmaßnahmen umgesetzt werden, welche sowohl den Bereich der Ausbildung als auch den der Weiterbildung von Technischen Lehrkräften betreffen. Ich glaube, dass Veränderungen ein Zeichen unserer Zeit sind. Dabei müssen nicht nur Technische Lehrerinnen und Lehrer, aber gerade auch sie für ihre Aufgaben unter Bereitstellung entsprechender Ressourcen vorbereitet, begleitet und geschult werden.

An welche Ressourcen denkst du dabei?

Sattur: Sehr viele Kolleginnen und Kollegen nehmen neben der Werkstatt- und Laborverantwortung häufig noch weitere Sonderaufgaben an den Schulen war. Gleichzeitig ist aber die Entlastung für diese Aufgaben gekürzt oder gar gestrichen worden. Ich kann aber nicht auf der einen Seite den Kolleginnen und Kollegen immer mehr Aufgaben zuschieben und auf der anderen Seite dafür keine Entlastung in Form von Zeit zur Verfügung stellen. Denn darunter leidet dann nicht nur die Qualität des Unterrichts, was unsere Schüler übrigens sehr schnell registrieren, sondern auch die Gesundheit der Betroffenen.

Kurz gesagt ist meine Forderung und die des Arbeitskreises, dass bei Veränderungen die Betroffenen einbezogen werden und dass neben entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen Ressourcen in Form von Zeit zur Verfügung gestellt werden.

Gibt es weitere Punkte, welche du bei Veränderungen für die Betroffen für wichtig erachtest?

Sattur: Mit den Leuten muss gesprochen werden, sie müssen mitgenommen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass an den Schulen ein tiefgreifender Wandel stattfindet und mit den Betroffenen darüber nicht gesprochen wird. Betroffene zu Beteiligten machen, sie einbeziehen, ihnen Wege aufzeigen, das ist der Weg.

Wenn du träumen dürftest – was wäre dein Traum?

Sattur: Oh je. Ok, ich versuche mal meine Vision aufzuzeigen. Meine Vision ist die eines gerechten Bildungssystems. Ein Bildungssystem, in welchem die Kolleginnen und Kollegen den gleichen Umfang an Arbeitszeit haben und entsprechende Ressourcen bereitstehen. Eine gerechte Bezahlung, welche sich nicht nur an der Qualifikation misst, sondern auch an Leistung und Verantwortung.

Konkret im beruflichen Bereich ist es mir nicht einleuchtend, warum das Deputat von Technischen Lehrkräften höher ist. Und weiter: Nicht nur, dass die Gehälter von Technischen Lehrkräften und wissenschaftlichen Lehrerinnen und Lehrern enorm auseinanderklaffen, sondern dass auch der Gehaltsunterschied bei Beamten und Tarifbeschäftigten bei gleicher Tätigkeit so weit auseinanderklafft, ist nicht gerecht.

Wenn dann noch die Zeit gegeben wird, nicht nur die Aufgaben um den Unterricht herum wie Qualitätsentwicklung oder ähnliches zu betreiben, sondern gezielt die Schüler nach ihren Anlagen, Fähigkeiten und Eignungen zu fördern und zu fordern, dann wäre viel erreicht. Und dies sehe ich nicht nur auf den beruflichen Bereich beschränkt, sondern auf unser ganzes Bildungssystem.

Kontakt
Magdalena Wille
Referentin für Berufliche Bildung und Weiterbildung
Telefon:  0711 21030-21
Mobil:  0160 90565239