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Corona vor Weihnachten

Schulpflicht plötzlich nicht mehr wichtig?

In der angespannten Situation vor Weihnachten hat das Kultusministerium wenig Feingefühl ­gezeigt und mit einer freiwilligen Quarantäne-Regelung für Schüler*innen für Furore gesorgt. Ausbaden müssen es mal wieder die Lehrkräfte.

Foto: pixabay, CC0

Auf Druck einiger Eltern, die eine Ansteckung ihrer Kinder kurz vor Weihnachten fürchten, hat die Landesregierung eine halbgare Lösung entwickelt. Am 8. Dezember hat das Land den Schulen mitgeteilt, dass Schüler*innen sich unmittelbar vor den Weihnachtsferien für drei Tage freiwillig in Quarantäne begeben können, um die Infektionsgefahr vor den Ferien zu begrenzen. Die Ausnahmeregelung gilt nur für den 20. bis 22. Dezember. Das hat bei vielen Kolleg*innen Kopfschütteln ausgelöst. Sie sollen die einen Schüler*innen mit Aufgaben versorgen und die anderen in der Schule unterrichten.

Die GEW bemüht sich seit Beginn der Pandemie um eine differenzierte Betrachtungsweise und bezieht die Einschätzung der Eltern dabei mit ein. Aber das aktuelle Vorgehen des Kultusministeriums ist fragwürdig. Für die GEW ist es wichtig, dass die Bildungseinrichtungen in Präsenz geöffnet bleiben. Die Politik darf die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen an den Kitas, Schulen und Hochschulen des Landes nicht noch einmal nach Hause schicken, um die vierte Welle zu brechen. Zunächst sind die Erwachsenen an der Reihe. Sie haben durch zu wenig Impfungen und zu viele Kontakte ihre Hausaufgaben in der Pandemie nicht gemacht. Im Interesse der Kinder und Jugendlichen hält die GEW deshalb nichts von vorgezogenen Weihnachtsferien.

Auch der Landeselternbeirat hat sich gegen vorgezogene Ferien ausgesprochen. Eine entsprechende Regelung mache nur dann Sinn, wenn das gesamte gesellschaftliche Leben heruntergefahren werde. So sieht das auch die Bildungsgewerkschaft. Vorzeitige Weihnachtsferien würde die GEW nur akzeptieren, wenn ein allgemeiner Lockdown notwendig werden sollte und alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. „Fast 1,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg werden derzeit regelmäßig getestet. Das sind die Kinder und Jugendlichen in unseren Schulen. Wenn diese, statt in den Klassenzimmern zu sitzen, sich privat treffen, ist das keine Lösung, mit der die Ausbreitung des Virus gebremst wird“, findet Landesvorsitzende Monika Stein.

Kultusministerin scheut klare Entscheidung

„Wir haben die Ausnahmeregelung für die halbe Woche vor den Weihnachtsferien getroffen, um den ganz vorsichtigen Eltern entgegenzukommen“, sagt Kultusministerin Theresa Schopper – offensichtlich ohne Rücksprache mit den Eltern- und Lehrkräftevertretungen zu halten. „Die Aufhebung der Präsenzpflicht vor Weihnachten wäre nur dann als einmalige Ausnahme vertretbar, wenn dadurch keine Mehrarbeit bei den Lehrer*innen entstehen würde“, moniert Stein. Doch wieder einmal stößt das Kultusministerium vielen Lehrkräften vor den Kopf. Vor Weihnachten sind die Schulen seit jeher am Limit – und die coronabedingt erschöpften Kolleg*innen sollen jetzt in den letzten Tagen das Doppelte leisten: Sie sollen zusätzlich zum Präsenzunterricht den Schüler*innen Aufgaben mitgeben, die freiwillig zuhause bleiben. Diese Aufgaben müssen kontrolliert und korrigiert werden und wenn sie sinnvoll sein sollen, brauchen die Schüler*innen auch eine Rückmeldung. Außerdem relativiert Schopper mit dem Angebot an die Eltern die pädagogische Arbeit und die Bedeutung der Schulen. „Die neue Regelung darf auf keinen Fall zu einer Dauerlösung für die Zeit nach den Weihnachtsferien werden“, kritisiert die GEW-Landesvorsitzende. Das Kultusministerium agiere nach altbekanntem Muster. Sobald unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallten und es unangenehm werde, scheue es sich vor klaren Entscheidungen, überlasse den Eltern die Wahl und mache den Lehrkräften zusätzliche Arbeit.

Bei der Bewertung der aktuellen Corona-Situation darf auch der Blick auf die neue Virusvariante Omikron nicht fehlen. Die Berichte häufen sich, dass der Schutz nach doppelter Corona-Impfung gegen das mutierte Virus nicht mehr so effektiv ist wie gegen die Delta-Variante. Das macht die altbekannte GEW-Forderung nach einem flächendeckenden Einsatz von Raumluftreinigern und CO2-Ampeln an Kitas, Schulen und Hochschulen noch wichtiger. Zusätzlich „müssen für alle Beschäftigten in Kitas und Schulen FFP2-Masken kostenlos bereitgestellt werden“, fordert Stein. Die neue Virusvariante sei ein großer Unsicherheitsfaktor und das Land tue immer noch zu wenig für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Lehrkräfte, moniert die GEW-Landeschefin.

Die Hinweise verdichten sich, dass eine dritte Impfung, der sogenannte Booster, effektiv gegen Omikron schützt. Für die pädagogischen Profis, deren Zweitimpfung größtenteils schon länger als sechs Monate zurückliegt, fordert die GEW vom Land, umgehend ein Angebot für die Auffrischungsimpfung zu organisieren. „Tausende Lehrkräfte werden derzeit zum Teil bis ins neue Jahr vertröstet, wenn sie sich um eine dritte Impfung bemühen. Wenn die Regierung Kretschmann es ernst meint mit dem Vorhaben, dass Kitas und Schulen offen bleiben sollen, erwarten wir einen Kraftakt von Grünen und CDU. Bis spätestens Weihnachten sollte jede Erzieherin, jede Lehrkraft und andere Beschäftigte in Bildungseinrichtungen ein Booster-Impfangebot erhalten. 95 Prozent der Lehrkräfte haben sich vorbildhaft im April und Mai zum zweiten Mal impfen lassen. Jetzt sollen sie bei nachlassendem Impfschutz jeden Tag mit den weitgehend ungeimpften Kindern und Jugendlichen in den Kitas und in den Klassenzimmern arbeiten“, mahnt Monika Stein.

Vorbereitungen für Fernunterricht laufen

Sozialminister Manfred Lucha hatte die seit Monaten vorliegenden GEW-Forderungen nach zusätzlichen mobilen Impfteams, Impfangeboten für Schüler*innen, deren Eltern und Lehrkräfte an allen großen Schulzentren sowie einer kreativen Impf-Kampagne nicht ernst genommen. Jetzt muss er mit der berechtigten Kritik umgehen und zeigt sich dünnhäutig. Fakt ist, dass die Landesregierung zu wenig und zu langsam impft und geimpft hat. Das zeigen die Zahlen im Bundesvergleich. Auch zielgruppenspezifische Informationsangebote für junge Menschen auf den Social-Media-Plattformen gebe es zu wenig. „Die Kreativität der Kampagne ‚the Länd‘ hätten wir uns für eine entsprechende Impf-Kampagne für Jugendliche und junge Erwachsene gewünscht. Und die Aussage des Sozialministeriums vom 19. November, dass Lehrkräfte sich derzeit ohne weiteres ein drittes Mal impfen lassen könnten, stimmt nicht. Bei uns melden sich täglich Lehrkräfte, die zum Teil wochenlang auf eine Booster-Impfung warten müssen“, sagt Stein.

Nach Angaben des Kultusministeriums sind bislang 46 Prozent der schulpflichtigen Kinder unter 17 Jahren geimpft. Die Landesregierung will noch vor Weihnachten Impfangebote an Schulen machen. Schüler*innen sollen sich in Begleitung ihrer Eltern impfen lassen können. Weihnachten steht kurz bevor – und Stand dritter Advent gibt es noch kein solches Angebot. Das ist zu langsam, zumal die GEW bereits zum Schuljahresstart im September eine entsprechende Impf-Anstrengung des Landes eingefordert hatte. Informationen, Aufklärung und Angebote vor Ort kamen und kommen meistens zu spät.

Die stockende Impf-Kampagne und die hohen Infektionszahlen, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, haben viele Schulen dazu veranlasst, auf eigene Faust Vorbereitungen und Notfallpläne für einen möglichen Fernunterricht zu schmieden. Jetzt hat auch das Kultusministerium erste Handreichungen zum Distanzunterricht und zu digitalen Unterstützungsangeboten auf den Weg gebracht – in erster Linie um den quarantänebedingten Heimunterricht zu unterstützen und die Digitalisierung voranzubringen. Ehrlicherweise werden aber auch mögliche Distanzunterrichtsszenarien, das heißt Lockdown und Schulschließungen, als Grund genannt. Die GEW fordert die Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass auch im neuen Jahr in Präsenz gelernt werden kann. Das Land muss aber auch alles tun, um die Beschäftigten an den Kitas, Schulen und Hochschulen zu schützen.

Kontakt
Marco Stritzinger
Online-Redakteur
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