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Corona-Pandemie

Seit einem Jahr in den Fesseln des Virus

Ein Jahr ist es jetzt her, dass Schulen und Kitas schließen mussten und wir haben in diesem verrückten Jahr viel gelernt und vermisst. Bis vor einem Jahr gab es an Schulen einfach nur Unterricht, jetzt gibt es Fernunterricht, Präsenzunterricht, Wechselunterricht, Hybridunterricht. Zeitweise hintereinander, jetzt wieder gleichzeitig. Sehr anstrengend, aber auch erkenntnisreich

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„Nach einem Jahr Pandemie wurde die Panik, kein Klopapier mehr abzukriegen, ersetzt durch die Panik, in der Videokonferenz das Mikrofon nicht stumm gestellt zu haben.“ Ilona Hartmann (©willma…/ photocase)

„Eine Jahrhundertchance“ nannte der Bildungswissenschaftler Michael Schratz die Krise. „Unter normalen Bedingungen hätten wir niemals die Schulen geschlossen, um zu sehen, was passiert.

„Jetzt merken wir deutlich, wie wichtig Beziehungen sind. Wir sind überrascht, dass Schüler*innen die Schule ­vermissen, und wir stellen fest, dass wir manche Schüler*innen nicht mehr erreichen“,

referierte Schratz auf der Schulleitungs­tagung der GEW Ende Januar. Das Leiden habe neue Erkenntnisse gebracht, und die müsse man nach der Krise nutzen.
Schratz, der Sprecher der Jury des deutschen Schulpreises ist, hat viele ­Schulen erlebt, die auf die Beine stellen, was andere für unmöglich halten. Er wirbt sehr dafür, am aktuellen Experimentiergeist vieler Schulen anzuknüpfen und mutig Neues zu wagen. Schüler*innen müssten beispielsweise zu mehr selbstverantwortetem Lernen geführt werden, und man müsse ihnen mehr zutrauen. Ein Zurück zur alten „Normalität“ hält der Bildungswissenschaftler für nicht möglich. „Man kann nicht zweimal in den gleichen Fluss steigen“, sagte er. Der Anspruch an Schulentwicklung sei, eine gute Balance zwischen Rückkehr zum Alten und den Erkenntnissen aus den Störungen zu finden. (siehe: www.gew-bw.de/schulleitungstag-nachhoeren Vortrag Schratz ab 1:10:55)

Noch herrscht Krise

Noch ist Störung. Und noch ist Wahlkampf. Kultusministerin Susanne Eisenmann drängt sehr energisch auf Schulöffnungen, Ministerpräsident Winfried Kretschmann bremst eher und rät zur Vorsicht. Nach ­diesem Muster läuft die Debatte seit Jahresbeginn. So auch Anfang März nach dem neuesten Bund-­Länder-Beschluss: Eisenmann will weitere Öffnungen schon am 8. März, Kretschmann lässt den vollen Präsenzunterricht an Grundschulen und in den Klassen 5 und 6 erst eine Woche später zu.
„Wenn die Landesregierung garantieren kann, dass am 15. März an allen Schulen für die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte Schnelltests vorhanden sind, sowie die Infektionszahlen und die Gefahr durch Virusmutationen dies zulassen, halten wir den Start mit den Klassen 5 und 6 für möglich,“ sagte die GEW-Chefin Monika Stein. Die Schulleitungen, die wir Anfang März gefragt haben, sind skeptisch. „Ich glaube nicht, dass sich Grundschulkinder testen lassen und ich würde das nicht gerne in der Schule machen wollen, wo wir jedes Pflaster ins Pflasterbuch eintragen müssen“, sagt die Schulleiterin zweier Grundschulen aus Ravensburg, ­Roswitha Malewski. Verena König, Schulleiterin des Gottlieb-Daimler-Gymnasiums in Stuttgart, schätzt, dass die Teststrategie an Gymnasien, wo Maskenpflicht herrsche, kein vorrangiges Thema sei und fragt sich, ob Tests zu viel Sicherheit suggerieren. Für Ulrich Bürgy, Rektor einer Grundschule in Bad Rappenau, ist klar: „Die derzeitige Teststrategie ist unrealistisch. An den Schulen fehlen jetzt schon Ressourcen – und nun sollen wir auch noch testen!“ Ob die neue Teststrategie realistisch ist und ein Schulbetrieb in Präsenz gefahrlos möglich wird, blieb bis zur b&w-Abgabe in die Druckerei am 10. März ungewiss.

Sicher ist nur die Vergangenheit. Seit Ende der Faschingsferien sind die Grund­schulen und Grundstufen der Sonderpä­dagogischen Bildungs- und Beratungs­zentren (SBBZ) sowie die Abschlussklassen mit einem Wechselbetrieb aus Fern- und Präsenzunterricht gestartet. Die SBBZ (G / K) und die entsprechenden ­Schulkindergärten sind bereits seit 11. Januar im Vollbetrieb. Auch die Kitas haben am 22. Februar wieder begonnen. Nicht vorsichtig, sondern gleich im Regelbetrieb. Da die Notbetreuung davor schon rege genutzt wurde, war für viele Kitas der Schritt gar nicht so groß.
„Alle sind froh, sich wieder zu treffen, und gleichzeitig verunsichert wegen der Ans­teckungsgefahr vor allem durch Virusmutationen“, benennt Monika Stein das Dilemma. Roswitha ­Malewski sieht die Lage an ihrer Schule ähnlich und beschreibt sie so: „Die Angst der Kolleg*innen ist unterschiedlich ausgeprägt. Die älteren und die mit Vorerkrankungen haben schon eher Angst, aber kommen trotzdem tapfer in die Schule. Niemand fehlt. Der ­Krankenstand bewegt sich gegen Null. Wenn ich entscheiden könnte, würde ich die Grundschulen öffnen und hoffen, dass nichts passiert. Für die Kinder wäre das sooo toll.“ Ulrich Bürgy meldet zurück: „Ungeimpft ist die Angst vor Ansteckung extrem hoch.“ Wenn er entscheiden könnte, würde er in Luftreinigungsgeräte und persönliche Schutzausrüstungen investieren und dann die Schule öffnen. Die GEW mahnt Luftreinigungsgeräte ebenfalls an, seit Wochen immer wieder. Bisher unbeachtet.

Lob für halbierte Klassen

Oft zahlt sich Hartnäckigkeit aus. Beim Wechselunterricht zum Beispiel. Den fordert die GEW schon seit Jahresbeginn. Noch auf der ­Schulleitungstagung Ende Januar sagte Kultusministerin ­Susanne Eisenmann, sie verstehe die Begeisterung für Wechselunterricht nicht. Das sei ein zu großer organisatorischer Aufwand. Trotzdem lief der Wechsel­unterricht an Grundschulen, und für die weiterführenden Schulen ist er nur noch eine Frage der Zeit. ­Malewski findet den Wechselunterricht an den Grundschulen super, Verena König sagt: „Wechselunterricht ist einfach gut, weil der Abstand damit gegeben ist und wir Zeit für die Schüler*innen haben. Das Kollegium erinnert sich vom letzten Jahr positiv.“ In der b&w haben wir im Sommer 2020 nach den ersten Erfahrungen über Wechselunterricht Eltern und Schüler*innen nach ihren Einschätzungen gefragt. „Die halbierten Klassen zeigen, wie gut kleine Lerngruppen sind: Bessere Konzentration, mehr Stoff möglich in kürzerer Zeit, mehr individuelle Freiheiten im Wiederholen. Der Unterricht wird besser und die Notengebung leichter. Lehrer*innen können sich besser um Einzelne kümmern und deren Leistung besser einschätzen. Schüler*innen kommen zufrieden nach Hause“, berichtete der Vorsitzende des ­Landeselternbeirats, ­Michael ­Mittelstaedt. Eine Mutter sagte: „Mein Sohn profitiert von der ­kleinen Lerngruppe. So bekommt er mehr Aufmerksamkeit und stört weniger“. Schüler*innen fanden kleine Klassen geordneter, leiser und man komme öfter dran.

Trotz der positiven­­ ­Rückmeldungen, ist der Aufwand an Schulen für die ­parallel laufenden Unterrichtsformen sehr hoch. Die GEW fordert unermüdlich mehr Personal und schlägt vor, ­Pädagogische Assistent*innen und ­Lehramtsstudierende einzusetzen. Auch Schulleitungen müssten entlastet und vom Unterrichten befreit werden. Es bleibt die Hoffnung, dass das Kultusministerium so naheliegende Anliegen nicht ewig ignorieren kann.

Impfangebote werden sehr gut angenommen

Immerhin sorgen Impfungen zunehmend für Erleichterung. Es war alles andere als selbstverständlich, dass Lehrkräfte und Erzieher*innen in der Impfpriorität nach vorne rutschten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) ­lehnte das Anliegen Mitte Februar noch ab. Seit dem 22. Februar dürfen sich aber Beschäftigte an Schulen und Kitas mit Astrazeneca impfen lassen. Geholfen hat, dass der Impfstoff nur für Menschen bis 65 Jahre verwendet werden durfte und daher ungenutzt in Kühlschränken lagerte. Ein wertschätzender Grund ist das nicht, bewirkte aber trotzdem, dass Personal in Bildungsreinrichtungen besser geschützt wird.

Die Altersbegrenzung führte aber dazu, dass Lehrkräfte über 65 nicht geimpft werden konnten. „Kultusministerin Susanne Eisenmann hat angesichts des Lehrkräftemangels dafür geworben, dass Lehrkräfte länger arbeiten. Jetzt erhalten sie keine Impftermine und das Kultus­ministerium schiebt die ­Verantwortung dem Sozialministerium zu. Das ist erneutein Beispiel, dass der Wahlkampf ­zwischen Grünen und CDU auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird“, beschwerte sich die GEW-Chefin. Am 4. März sorgte die Stiko  für Entwarnung. Der Impfstoff von Astrazeneca darf auch bei Älteren eingesetzt werden.Die GEW fordert, dass neben den Beschäftigten an Schulen und Kitas auch die an allen anderen Bildungseinrichtungen geimpft werden können.

Die Angebote werden intensiv angenommen. Verena König lässt wissen: „Mein Kollegium ist sehr impfbereit und begeistert. Der Schutz durch die Impfung wird als ganz wichtig empfunden und ist ein Schritt zur Rückkehr zum Schulbetrieb in Präsenz.“ Auch Bürgy berichtet, dass die Impfangebote von fast allen Kolleg*innen angenommen würden. Die Sicherheit im
Unterricht komme schnell zurück. Roswitha Malewski sagt: „Die Impfangebote werden natürlich als Erleichterung empfunden und sehr gut wahrgenommen. Allerdings ist es doch sehr mühsam, einen Termin zu bekommen. Mir ist es z. B. noch nicht gelungen, habe es allerdings auch erst 200 Mal probiert.“ Wie geht es den Schulleitungen? Verena König sagt: „Ich bin wie immer pragmatisch! Allerdings schlaucht die lange Arbeitszeit und die vielen Aufgaben. Alle in der Schule werden immer dünnhäutiger; umso mehr werden die Leitungen der Schulen gebraucht. Ich hoffe sehr, dass wir in die Sommerferien gehen und wissen, dass das neue Schuljahr ohne Corona beginnt und wir den Fortschritt der Digitalisierung mitnehmen. Wir brauchen Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler, die in der Krise gelitten haben, und damit meine ich nicht Lücken im Inhalt.“ Statt einer Lernbrücke im Sommer schlägt die Schulleiterin für das nächste Schuljahr pro Klasse eine Lehrerstunde vor, die Schulen zur Förderung einsetzen können.

Überaus zuversichtlich und auch pragmatisch bezeichnet sich Roswitha Malewski. „Ich habe meinen zweiten Vornamen in ‚Flexibilität‘ geändert. Ich halte die Eltern und die Kolleg*innen bei Laune. Es könnte immer noch schlimmer sein.“
Eine kurze, aber heftige Debatte gab es, als Kretschmann öffentlich darüber nachdachte, Ferien zu kürzen um verpasste Lernzeit nachzuholen. Die GEW hat sofort deutlich gemacht, dass ­gerade in den anstrengenden Corona-Zeiten Schüler*innen und Lehrer*innen die Pausen brauchen. Kretschmann ist schnell zurückgerudert. Statt Angeboten in den Ferien fordert die GEW, mehr Stunden und Personal für die Schulen, um die Folgen der Schulschließungen für die Schüler*innen zu kompensieren. Dabei sind fachliche Inhalte nur der kleinere Teil des Problems. Viele Schüler*innen sind durch die lange zu Zeit zuhause emotional und sozial belastet und die Schulen müssen die Möglichkeit haben, zusammen mit Schulsozialarbeiter*innen und anderen Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe Programme für diese Schüler*innen anzubieten. Mit zwei Wochen Lernbrücken in den Sommerferien wird dies nicht gelingen.

Was Kitas für einen sicheren Ablauf brauchen

Insgesamt betrachtet, sind Kitas seit dem 22. Februar wieder gut gestartet. Sie arbeiten im Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen. Allerdings mussten etliche Kitas schon wieder schließen, weil Infektionen aufgetreten sind. Das wertet die GEW als deutliches Zeichen, dass nach wie vor sehr auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz geachtet werden muss. Erzieher*innen sorgen sich nicht nur um ihre Gesundheit, sie sorgen sich auch um die Kinder und ihre Familien. Alle waren die letzten Monate enorm belastet. Viele Kinder, die nach Wochen wieder in die Kitas zurückkommen, müssen neu eingewöhnt werden. Nicht wenige zeigen Auffälligkeiten und brauchen besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Erneute Schließungen belasten die Kinder sehr.

Fachkräfte in Kitas müssen folglich mit vielen Erschwernissen zurechtkommen: Hygieneregeln schränken ein, pädagogi­sche Konzepte mit offenen Gruppen sind dahin, Gespräche mit Eltern und der kollegiale Austausch sind massiv eingeschränkt. Bei dieser angespannten Lage darf nicht auch noch der Personalschlüssel verschlechtert werden. Im Gegenteil. Kitas brauchen mehr personelle Unterstützung.

Für erste Erleichterungen sorgen die Impfangebote. Erfreulich ist, dass jetzt Beschäftige, die älter als 65 sind, nicht länger vom Impfen ausgeschlossen sind. Doch noch bleiben viele Fragen offen. In Kitas arbeiten auch Praktikant*innen, die jünger als 18 sind. Für sie gibt es noch keine Lösung. Es gibt auch Bedenken und Befürchtungen gegenüber Impfungen. Auch die bisherige Teststrategie ist längst nicht ausgereift. Kommunen und Träger sind unterschiedlich gut aufgestellt. Klar ist, wenn Tests in den Kitas gemacht werden sollen, braucht es Personal dafür. Testen und Impfen müssen auf jeden Fall als Arbeitszeit anerkannt werden. Auch weitere begleitende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz bleiben auf der Tagesordnung. Noch gibt es keine Entscheidung zu Luftfiltern bzw. Luftreinigungsgeräten.

Es bleibt noch viel zu tun, bis Kinder und Beschäftigte jeden Morgen sorglos in die Kita gehen können.