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Startchancenprogramm des Bundes

Start für mehr Bildungsgerechtigkeit?

Bund und Länder haben sich auf die Eckpunkte des Startchancenprogramms geeinigt: Finanzmittel sollen stärker am Bedarf der Schulen orientiert und nach deren sozialen Lage differenziert werden. Kann das Programm die Bildungsungleichheit verringern?

Zwei Kinder liegen auf dem Boden neben einer gezeichneten Rakete aus Kreide.
Bei den Startschulen wird geprüft, ob das Programm seine Ziele erreicht. (Foto: romrodinka / iStock)

Das Bundesprogramm Startchancen wurde im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbart. Im September 2023 schließlich hat sich eine gemeinsame Verhandlungsgruppe des Bundesministe­riums für Bildung und Forschung und der Länder auf die Eckpunkte geeinigt. Mit dem Programm sollen Finanzmittel stärker am Bedarf der Schulen orientiert und nach deren sozialen Lage differenziert werden. Kann es, wie vorgesehen, die Bildungsungleichheit verringern?

4.000 allgemeinbildende und berufliche Schulen mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schüler*innen sollen in Deutschland ab dem Schuljahr 2024/2025 für zehn Jahre gezielt gefördert werden. Das Programm wird stufenweise bis 2026/2027 implementiert. 20 Milliarden Euro stehen ab August 2024 für die Gesamtlaufzeit bereit. Die eine Hälfte des Geldes finanziert der Bund, die andere Hälfte muss von den Ländern beigesteuert werden. Mittel von Landesprogrammen, die dem Ziel des Startchancen-Programms entsprechen, dürfen auf den zu erbringenden Landesanteil angerechnet werden.

Mehr Bildungsgerechtigkeit, das Aufbrechen des nach wie vor starken Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg, aber gleichzeitig auch eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems sind die grundlegenden Ziele dieses Programms.

Wo setzt das Startchancen-Programm konkret an?

Die Verringerung der Bildungsungleichheit muss auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Dies ist im Programm klar benannt: auf der individuellen Ebene geht es um die Verbesserung von Bildungs- und Teilhabechancen für die einzelnen Lernenden. Die Unterstützung der inneren und äußeren Schulentwicklung zielt auf die institutionelle Ebene der Schule. Und schließlich sollen systemisch die Wirksamkeit von Unterstützungssystemen erhöht und wirksame Kooperationen zwischen der Bildungsverwaltung (Schulaufsicht), den zuständigen Behörden und den Verantwortlichen in den Schulen ausgebaut werden.

Um diese Wirkungen zu entfalten, sind drei sogenannte Programmsäulen formuliert:

  • Ein Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung, die inklusive und lernförderliche Räume schafft.
  • Ein Chancenbudget zur Schul- und Unterrichtsentwicklung. Die Bundesländer entwickeln dafür einen Maßnahmenkatalog, für den zwei Drittel der Mittel verwendet werden müssen, über ein Drittel kann eine Schule frei verfügen.
  • Personal zur Stärkung multiprofessioneller Teams, vor allem zusätzliche Stellen für die Schulsozialarbeit.

Wer und was wird finanziell gefördert?

Im Fokus des Startchancenprogramms stehen die Grundschulen, sie erhalten 60 Prozent der Finanzmittel, 40 Prozent die weiterführenden einschließlich der beruflichen Schulen.

Betrachtet man die Mittelverteilung nach den Bausteinen der Programmsäulen, fließen 40 Prozent in die Säule „Investitionen“ und jeweils 30 Prozent in die Säulen „Chancenbudget“ und „multiprofessionelle Teams“.

Nachdem im Vorfeld der Diskussion um die konkrete Ausgestaltung des Programms nur fünf Prozent der gesamten Mittel über einen Sozialindex ausgegeben werden sollten und der Rest erneut nach dem Königsteiner Schlüssel, ist die jetzige Verteilung nur wenig gerechter. „[Nur] die Mittel der ersten Säule des Programms sollen über einen Schlüssel nach Sozialindex verteilt werden. Die Gelder für die anderen beiden Säulen, die einen wesentlichen Teil des Programmes ausmachen, werden weiterhin bedarfsunabhängig nach dem ‚Königsteiner Schlüssel‘ vergeben“, kritisiert die GEW-Vorsitzende Maike Finnern den Stand der Planungen.

Die Länder wählen die Schulen aus. Sie können bei der Auswahl bereits vorhandene Sozialindices verwenden oder eigene Kriterien entwickeln. Mindestens aber müssen die Benachteiligungsdimensionen Armut und Migration enthalten sein, weil diese eine solide wissenschaftliche Grundlage haben.

Welche Aufgaben kommen auf die Schulen zu?

An die Start-Schulen werden Anforderungen gestellt. Sie müssen datengestützt arbeiten und „sich zu individueller Diagnostik, adaptiver Förderung und datengestützter Schul- und Unterrichtsentwicklung bekennen“. Gegebenenfalls müssen sie sich „schrittweise die hierfür erforderlichen Kompetenzen aneignen“.

Eine weitere Anforderung an das Kollegium lautet: „Die Lehrkräfte und das weitere pädagogische Personal der Startchancen-Schulen unterstützen Kinder und Jugendliche gemeinsam bei der Zielerreichung; sie verpflichten sich zu Fortbildungen und gründen professionelle Lerngemeinschaften.“ Dies begründet sich vor allem in der Säule II, Chancenbudget, das die Schulentwicklung im Blick hat. Positiv gedeutet, können Schulen das Startchancen-Programm für Ihre Entwicklung nutzen.

In den Eckpunkten ist viel von Netzwerken, Kooperationen, von gemeinsamen Entwicklungsgesprächen die Rede. Den Schulen wird umfängliche Unterstützung und Begleitung zugesagt.

Vor allem die Schulleitungen werden gefordert sein. „Durch gezielte Angebote des jeweiligen Landes, insbesondere der Schulaufsichten und Landesinstitute, sollen die Schulleitungen an den Startchancen-Schulen in ihrem Entwicklungsprozess unterstützt und dazu befähigt werden, ihre Führungsrolle bei der Programmumsetzung wahrzunehmen und die komplexen Prozesse der Unterrichts- und Teamentwicklung sowie der außerschulischen Vernetzung zu steuern“, heißt es in den Eckpunkten.

Wie ist das Programm zu bewerten?

Auf Grundlage der Eckpunkte werden in den nächsten Wochen noch Details ausgehandelt und dann in Vertrags- beziehungsweise Gesetzesform gegossen. Bis dahin wird noch um das eine oder andere Detail gerungen.

Auf der Positiv-Seite ist die Laufzeit von zehn Jahren zu sehen. Für Programme dieser Art ist das durchaus beachtlich, auch wenn eine längere Laufzeit und letztlich eine Verstetigung des Programms die noch besseren Optionen wären. Der klare Fokus auf Grundschulen und die Benennung nachprüfbarer Ziele (zum Beispiel die Halbierung der Schüler*innen-Zahlen, die nicht die Mindeststandards erreichen, bis zum Ende der Laufzeit) sind ebenfalls sinnvoll.

Was anderen Programmen fehlt, hat man sich bei den „Startschulen“ verbindlich vorgenommen: Nachzuprüfen, ob das, was getan wird, auch wirkt. Das ist keineswegs selbstverständlich und sollte künftig zum Standard werden.

Hilfreich ist auch das geplante Netzwerk der Start-Schulen – für den Austausch, für Synergieeffekte. Dafür müssen den Schulen von den Ländern unbedingt Zeit und Räume zur Verfügung gestellt werden.

Obwohl in den Leitlinien des Startschulen-Programms implizit ist, Ungleiches ungleich zu behandeln, ist die Abkehr vom Gießkannenprinzip nicht gelungen. Das ist angesichts der Intention des Programms ein klarer Widerspruch. Der erste Schritt ist aber vollzogen, immerhin. Auf jede beteiligte Schule entfallen rechnerisch 250.000 Euro pro Jahr. Angesichts der Aufgaben, die in den drei Säulen formuliert sind, ist das auf zehn Jahre gesehen herzlich wenig. Schon deshalb sind vom Startchancenprogramm keine Wunder zu erwarten.

Der erhebliche Personalmangel an allen Ecken und Enden des Bildungssystems lässt Fragezeichen aufkommen, wann und wie die Anforderungen an und die Umsetzung des Startschulen-Programms geleistet werden soll. Die vorgesehene Unterstützung muss den Mehraufwand des Programms mindestens kompensieren, sonst wird es zu einer weiteren Last.

Die Politik erkennt, dass mit gezielt verteilten Geldern für Schulen in schwierigen Lagen die Bildungsungleichheit jetzt angegangen werden muss,. Das Startchancen-Programm muss der Anfang sein – und nicht etwa schon das Ende der Fahnenstange.

Kontakt
Ute Kratzmeier
Referentin für allgemeinbildende Schulen
Telefon:  0711 21030-25