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Beratungslehrkräfte

Steigende Probleme, abnehmende Ressourcen

Jährlich bewerben sich bis zu 300 Lehrer*innen für die Ausbildung zur Beratungslehrkraft, aber nur 100 erhalten einen Platz. Drei Beratungslehrer*innen berichten über ihre Auf­gaben. Ihrer Erfahrung nach müsste das Beratungsangebot ausgebaut werden.

Foto: GEW/Shutterstock

Daniel Wunsch und Manfred Nowack sind seit über zehn Jahren Beratungslehrer. Bei der Frage nach ihren Aufgaben sprudelt es förmlich. „Zum einen sind wir für den Nachteilsausgleich zuständig. Zum anderen beraten wir Schüler*­innen, wenn sie Lernprobleme, Konzentrations- oder Motivationsschwierigkeiten sowie Fragen zur weiteren Schul- oder Berufslaufbahn haben“, erklärt Wunsch von der Louis-Lepoix-Schule in Baden-Baden, einer gewerblichen beruflichen Schule. Nach der Corona-Pandemie haben er und sein Kollege Nowack zudem vermehrt mit Angstthemen zu tun. „Präsentations- und Prüfungsängste, Schulangst und Angst vor Gruppenarbeiten haben stark zugenommen“, berichtet Nowack, der an der Gewerbeschule Breisach arbeitet und wie Wunsch als Personalrat tätig ist.

Das Beratungsangebot richtet sich an alle Schüler*innen und ist freiwillig. Da Beratungslehrer*innen der Schweigepflicht unterliegen, brauchen sie die Erlaubnis der Betroffenen, um Dritte mit ins Boot zu holen. Erst dann dürfen sie Gespräche mit Eltern, Lehrer*innen, Ausbildungsbetrieben und Schulpsy­cho­logen*innen führen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Bei minderjährigen Schüler*­innen müssen die Eltern spätestens nach dem Erstgespräch ihre Einwilligung für eine weitere Beratung erteilen. Da Wunsch und Nowack sich ihre Beratungsräume mit den Schulsozialarbeiter*innen und den Inklusionslehrer*innen teilen, nutzen sie die Gelegenheit, sich bei Bedarf mit ihnen auszutauschen und über ihre Fälle zu sprechen. „Das ist hilfreich, wenn ich nicht weiterkomme. Namen nennen wir dabei nicht“, bekräftigt Nowack.

Eigener Beratungsraum nicht selbstverständlich

In der Regel sind die Rahmenbedingungen für Beratungslehrkräfte an beruflichen Schulen und Gymnasien gut. Ein eigener Raum, abschließbare Schränke und ein Telefon stehen zur Verfügung. Ganz anders sieht es für Beratungslehrkräfte an Grund-, Haupt-, Werkreal-, Real- sowie an Gemeinschaftsschulen aus. Ricarda Kaiser weiß das nur allzu gut. Sie hat zehn Jahre als Beratungslehrerin an GHWRGS gearbeitet und ist jetzt im Hauptpersonalrat GHWRGS für Beratungslehrkräfte zuständig. Kaiser machte die Erfahrung, dass Schuleiter*innen oftmals kein Verständnis und keinen Kopf dafür haben, wie wichtig die passenden Rahmenbedingungen für eine professionelle Beratung sind. „Schulen sind oft bemüht, haben aber ganz andere Probleme. Sie versuchen deswegen, pragmatische Lösungen zu finden“, erläutert Kaiser. Trotzdem muss eine anonyme Beratung möglich sein. „Ich kann mich nicht in eine Ecke im Flur quetschen, um mit dem Schüler oder der Schülerin zu sprechen“, betont sie.

Das ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der Beratungslehrer*innen an GHWRG zu tun haben. Da der Schlüssel bei 750 Schüler*innen liegt, sind sie je nach Schulgröße für drei oder vier Schulen verantwortlich. „Viele Kolleg*innen müssen auch aufgrund von zu wenigen Beratungskräften mehrere Schulen betreuen“, weiß Wunsch. So sind sie nicht wie Wunsch und Nowack vor Ort und haben somit nur bedingt die Möglichkeit, einen so engen Kontakt zu den Kolleg*innen, den Eltern und zur Schulleitung aufzubauen. In der Regel gibt es für die Arbeit als Beratungslehrkraft vier Anrechnungsstunden. Nowack erhält aufgrund der hohen Schülerzahl von über 1.200 fünf Anrechnungsstunden. Die Fahrzeit wird nicht als Arbeitszeit vergütet.

Hilfe trotz hoher Auslastung

Auch die Aufgabenschwerpunkte unterscheiden sich je nach Schulart in manchen Bereichen. Wunsch und Nowack machen kaum Tests an beruflichen Schulen, wohingegen Beratungslehrer*innen an GHWRGS viel damit beschäftigt sind, zum Beispiel mit Schuleignungstests. „Da bleibt für Interventionen und Präventionsprogramme oftmals keine Zeit“, weiß Kaiser aus Erfahrung. In der Realität sieht es allerdings so aus, dass sie sich trotzdem noch um andere Aufgaben kümmern. „Ich war Beratungslehrerin an einer Realschule in Mannheim. Als ich mich dort vorstellte, wurde ich gleich gefragt, ob ich nicht in einer 8. Klasse einen Tag Suchtprävention machen könne. Eigentlich hätte ich, wie ich es in der Ausbildung gelernt hatte, Nein sagen und die Anfrage delegieren müssen“, erinnert sich Kaiser. Hat sie aber nicht. Das beobachtet sie bei vielen Beratungslehrer*innen: Sie sehen den Bedarf oder die Not und helfen, auch wenn sie keine Kapazität mehr dafür haben. In den Richtlinien des Kultusministeriums aus dem Jahr 2000 ist geregelt, dass Beratungslehrer*innen nicht psychotherapeutisch arbeiten dürfen. „Dafür sind wir nicht ausgebildet. Wenn wir an unsere Grenzen stoßen, wenden wir uns an die Schulpsycholog*innen“, versichert Wunsch.

Ricarda Kaiser, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende und Vorstandsmitglied im Hauptpersonalrat der GHWRG

Mobbing kann so ein Grenzfall sein. „Im Anfangsstadium reicht es manchmal schon, wenn ich eine klare Ansage in der Klasse mache“, berichtet Wunsch. Auch ein doppelstündiger Präventionsunterricht, zum Beispiel von der Polizei, vom Johanniswerk oder den Maltesern, habe in manchen Fällen schon geholfen, ohne die betroffenen Schüler*innen direkt anzusprechen. Merken Wunsch und Nowack, dass das Mobbing zu weit fortgeschritten ist, übergeben sie den Fall an die Schulpsycholog*innen. „Das Problem ist, dass die total überlastet und die Wartezeiten lang sind“, bekräftigt Nowack.

Auch in anderen Fällen greifen sie auf ihr großes Netzwerk zu und vermitteln an Institutionen und Fachleute, wenn sie selbst nicht unterstützen können. So ruft Wunsch in einer akuten Situation beispielsweise in einer psychiatrischen Klinik an, um die Tür für einen/eine Schüler*in zu öffnen. Nowack berichtet, dass er einen Pfarrer als Seelsorger hinzuzieht. „Leider haben wir im Schnitt jedes Jahr mit einem Todesfall zu tun. Sei es ein Schüler, eine Schülerin, eine Lehrkraft oder Familienangehörige unserer Schüler*innen“, erklärt er.

Beliebte Ausbildung

Jährlich bildet Baden-Württemberg 100 Beratungslehrer*innen aus. Die anderthalbjährige Ausbildung, die an den sechs Regionalstellen des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) stattfindet, ist beliebt: Jedes Jahr bewerben sich zwischen 200 und 300 Lehrer*innen. Voraussetzung ist, dass Be­werber*innen mindestens drei Jahre im Schuldienst sind. Das Auswahlverfahren, das von Schulpsycholog*innen durchgeführt und von der Personalratsvertretung begleitet wird, besteht aus Einzelinterviews und einem Assessment Center. „Die Stelle ist für Lehrkräfte attraktiv, die zunächst nicht in die Schulleitung oder Schulverwaltung streben, aber gern mehr machen möchten“, hebt Kaiser hervor. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Ausbildung nicht nur die fachlichen Kompetenzen, sondern auch den persönlichen Horizont erweitert. „Es war für mich eine Chance, mich selbst weiterzuentwickeln und sicherer im beruflichen Alltag zu werden. Eigentlich sollten alle Lehrkräfte diese Ausbildung durchlaufen“, bekräftigt sie.

Die angehenden Beratungslehrer*innen lernen unter anderem, wie sie Tests anwenden und auswerten, Gespräche führen und Rückmeldungen geben, Interventions- und Präventionsmaßnahmen sowie den Nachteilsausgleich durchführen. Nach der Ausbildung stehen fünf bis sechs verpflichtende Termine auf dem Plan, an denen sich die Beratungslehrer*innen in festen Fallbesprechungsgruppen treffen, in denen unter anderem auch Supervi­sio­nen abgehalten werden. Fortbildungen in einzelnen Bereichen sind möglich. Nowack berichtet, dass er ein Seminar zum Thema Tod besucht hat, da er damit an seiner Schule immer wieder konfrontiert wird. „Wir bekommen einiges mit, was uns belastet. Deswegen ist es wichtig, resilient zu sein und ein stabiles ­privates Umfeld zu haben“, erklärt Nowack. „Aber wir können auch helfen, und das ist etwas sehr Positives“, ergänzt Wunsch.

Mehr Ressourcen nötig

Die beiden Lehrkräfte aus den beruflichen Schulen ebenso wie Kaiser sind der Meinung, dass dringend mehr Beratungslehrer*innen benötigt werden. „Die Probleme an den Schulen nehmen zu, aber die Ressourcen werden gekürzt und Beratungslehrer*innen, die in Pension gehen, nicht ersetzt“, beklagt Wunsch. Es bleibt unabhängig vom Bedarf bei der Ausbildung von 100 Beratungslehrer*innen pro Jahr.

„Nach dem Amoklauf in Winnenden hatte Baden-Württemberg das Ziel, dass an jeder Schule eine Beratungskraft beschäftigt sein sollte. Heute spricht niemand mehr davon“, berichtet Kaiser. Im Gegenteil, es bestehe aktuell kein Interesse daran, die Ressourcen aufzustocken, weil diese Stunden dann im Unterricht fehlen würden. Hinzu komme, dass die schulpsychologischen Beratungsstellen keine Kapazitäten mehr haben, um noch mehr auszubilden.

Kontakt
Ricarda Kaiser
Stellvertretende Landesvorsitzende