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Gemeinschaftsschule

Warum die ersten zwei Schulen mit Oberstufe es nicht leicht haben

Die Anmeldezahlen für die beiden Oberstufen der Gemeinschaftsschulen in Tübingen und Konstanz liegen deutlich unterhalb der Prognosen. Dies ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Wer hat Recht?

Die Kultusministerin ist „überrascht“: Die Anmeldezahlen für die beiden Oberstufen der Gemeinschaftsschulen in Tübingen und Konstanz liegen deutlich unterhalb der Prognosen. Dies ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. Man muss jedoch genau hinschauen und dem Abgesang-Reflex, der hierzulande häufig bei Gemeinschaftsschuldiskursen mitschwingt, eine solide Analyse entgegensetzen.

Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich: Die Mindestschülerzahl von 60 Schülerinnen und Schülern haben die beiden Gemeinschaftsschulen für die Oberstufe nicht erreicht. In Tübingen sind es 38 und in Konstanz 50 Anmeldungen.

Hat die „Welt“ also Recht, wenn sie am 28. Juli 2018 feststellt, dass wenig Interesse an der Oberstufe besteht? Oder führt das pädagogische Konzept der Gemeinschaftsschulen dazu, dass die Schülerinnen und Schüler die Leistungen, die für den Übergang auf die Oberstufe erforderlich sind, nicht schaffen?

Man muss zunächst die unterschiedlichen Regelungen beim Übergang in die Oberstufe betrachten: Am allgemeinbildenden Gymnasium genügt für die Versetzung in die Oberstufe ein Notendurchschnitt von 4,0. Das gilt auch für Jugendliche, die an einer Gemeinschaftsschule in allen Fächern auf dem erweiterten Niveau gearbeitet haben.

Schülerinnen und Schüler, die an einer Realschule oder einer Gemeinschaftsschule die Mittlere Reife erworben haben, benötigen für den Wechsel in die Oberstufe eines allgemeinbildenden Gymnasiums oder einer Gemeinschaftsschule mindestens einen Schnitt von 3,0 in den maßgeblichen Fächern und in den Kernfächern 2,3 und besser. Außerdem muss durchgängig eine zweite Fremdsprache gelernt werden.

Beim Übergang in ein berufliches Gymnasium reicht ein Hauptfachschnitt von 3,0. Dort ist die zweite Fremdsprache keine Eingangsvoraussetzung.

Gründe für Tübingen und Konstanz

Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, hat in einem offenen Brief an das Kultusministerium die niedrigen Anmeldungen für die Oberstufe der Tübinger Gemeinschaftsschule begründet. Für ihn sind hauptsächlich die höheren Notenanforderungen in die Oberstufe der Gemeinschaftsschule im Vergleich zum Wechsel an ein berufliches Gymnasiums dafür verantwortlich. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen, nach Palmer eine klare Ungleichbehandlung, haben in Tübingen zur Ablehnung von 29 Anmeldungen in die Oberstufe der Gemeinschaftsschule geführt!

In der Tat muss man sich fragen, warum gymnasiale Oberstufen, die doch alle zur allgemeinen Hochschulreife führen, unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen haben? Hinzu kommt, dass die Fixierung allein auf die Hauptfächer zu wenig über die Leistungsfähigkeit aussagt: „Wir mussten Schülerinnen und Schüler abweisen, die einen Preis für herausragende Leistungen bekommen und als Jahrgangsbeste mit einem Gesamtschnitt von 1,6 abgeschlossen haben“, berichtet die Schulleiterin der Tübinger Gemeinschaftsschule-West, Angela Keppel-Allgaier.

In der Tübinger Schule gibt es den Sonderfall, dass sich Jahrgänge aus den Starterjahren aus Jugendlichen verschiedener Schularten zusammensetzen und ein Teil davon als Realschüler/innen und nicht als Gemeinschaftsschüler/innen bewertet werden. Diese Konstellation löst sich die nächsten Jahre auf. Boris Palmer regt an, den abgelehnten Schülerinnen und Schülern Aufnahmeprüfungen zu ermöglichen oder sie ausnahmsweise mit einem schlechteren Schnitt zur Oberstufe zuzulassen.

In Konstanz haben von 47 Schülerinnen und Schülern im E-Niveau an der Gemeinschaftsschule 44 die eigene Oberstufe gewählt. Das spricht für ein großes Interesse an der neuen Oberstufe.

Genehmigung kam spät

Sehr schwierig war für beide Schulen, dass das Kultusministerium die Oberstufen erst sehr spät genehmigte. Die organisatorischen Voraussetzungen wurden noch später geklärt. Das führte zu Unsicherheiten bei allen Beteiligten. So ist es erfreulich, dass trotzdem so viele Eltern und Jugendliche bei der Stange geblieben sind.

Wolfgang Straub, Schulamtsdirektor in Tübingen und für die GEW im Hauptpersonalrat außerschulischer Bereich, kritisiert gleichfalls die unterschiedlichen Voraussetzungen beim Übergang in die Oberstufen. Er ist sich aber sicher, dass die Mindestschülerzahl von 60 in der Klassenstufe 11 in Konstanz und Tübingen zukünftig erreicht wird.

Mit dem Aufwachsen weiterer Gemeinschaftsschulen in der Umgebung und dem Auslaufen von Realschulzügen gibt es künftig noch mehr Schülerinnen und Schüler, die an den Gemeinschaftsschulen in Tübingen und Konstanz auf erweitertem Niveau lernen und ihr Abitur in der gymnasialen Oberstufe der Gemeinschaftsschule erwerben.

Eine Ausnahmeregelung für 2018 wäre eine pragmatische, kurzfristige Lösung im Sinne der Schulen und würde den abgelehnten Schülerinnen und Schülern eine Chance geben.

Mittelfristig müssen die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen der gymnasialen Oberstufen neu geordnet werden. Die GEW hat bereits in der Anhörung gefordert, die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen in die gymnasialen Oberstufen gerechter zu regeln.

Kontakt
Maria Jeggle
Redakteurin b&w
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