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Schulbesuch in Heilbronn

„Wir holen das Leben in die Schule“

Grünen-Politiker Andreas Schwarz besuchte Ende Oktober auf Einladung der GEW die Elly-Heuss-Knapp-Gemeinschaftsschule. Er wollte einen Einblick in die Praxis erhalten – und vor Ort erfahren, welche Unterstützung Grundschulen brauchen.

Viele Leute stehen in einer Reihe vor einer Schule
Der Fraktionsvorsitzende der ­Grünen, Andreas Schwarz (2. von rechts vorne), besuchte auf Einladung der GEW-Vorsitzenden Monika Stein (rote Jacke) die Schule. Mit dabei waren Heilbronner Stadträt*innen, GEW-Vertreter*innen und Teile des Kollegiums. (Fotos: David Matthiessen)

Zur Elly-Heuss-Knapp-Gemeinschaftsschule in Heilbronn Böckingen gehört neben der Sekundarstufe I auch die Grundschule. Rund 720 Schüler*innen gehen hier ein und aus. Andreas Schwarz, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, ließ sich die Grundschule zeigen und versprach, Wünsche der Schule mitzunehmen. Auch Heilbronner Stadträt*innen nutzten die Gelegenheit, sich mit dem Landespolitiker, der Schulleitung, Lehrkräften und der GEW auszutauschen. „Sie haben sich eine gute Schule ausgesucht“, sagte die Schulleiterin Dorothea Piontek augenzwinkernd zu ihren Gästen. „Wir zeigen Ihnen, wo der Schuh drückt.“

Die GEW ist an der Schule bestens vertreten. Die Schulleiterin und eine Konrektorin sind GEW-Mitglieder. Der Vorgänger der Rektorin, Harald Schröder, ist im GEW-Kreis aktiv. Barbara Bürgy, Lehrerin an der Schule und Personalrätin, engagiert sich landesweit bei der GEW in mehreren Funktionen. Auch Martin Hettler, GEW-Bezirksvorsitzender, und die Chefin der GEW in Baden-Württemberg, Monika Stein, sind angereist. Alle wollten gemeinsam nach Lösungen suchen, etwas Stress aus den Grundschulen zu nehmen und die Arbeit der Lehrkräfte leichter zu machen.

Wie mit Heterogenität umgegangen wird

Mehrere Fragen hat Andreas Schwarz mitgebracht. „Wie gehen Sie mit der Heterogenität der Schüler*innen um?“, will er beispielsweise wissen. Ein Rundgang durch die Grundschule soll einen Eindruck vermitteln.

In einer ersten Klasse arbeiten zwei Erwachsene. Der CDU-Stadtrat Thomas Randecker ist überrascht. Es sieht nach einem Tandem-System aus, stellt sich aber als eine zeitweise Unterstützung der Jugendhilfe heraus. Eine der Erwachsenen ist Valentina Mustafa. Sie ist eine Klassen­begleiterin, kommt sechs Stunden pro Woche in die Klasse und hilft der Grundschullehrerin. „Wenn Kinder unruhig werden oder weinen, dann erkläre ich ihnen, was sie nicht verstanden haben“, beschreibt sie ihre Arbeit. Vorhin habe sich ein Junge unterm Tisch versteckt. Sie habe es bemerkt und sich um ihn gekümmert. „Das ist hilfreich“, bestätigt die Lehrerin. „Frau Mustafa sieht, wo sie mit anpacken kann. Ich kann die Augen nicht überall haben“, erklärt sie. Das passiert, wenn sie beispielsweise Streit schlichten muss. Im Moment ist die Klasse sehr ruhig, trotz des Trubels, den die Besucher*innen verursachen.

„Bis Weihnachten wollen wir erreichen, dass sich die Erstklässler*innen an Regeln halten und aufeinander Rücksicht nehmen“, sagt die Lehrerin. Ein Junge schneidet ganz konzentriert Bilder aus, schaut nicht hoch, lässt sich nicht ablenken, so als ob er den Wirbel um ihn herum nicht wahrnähme. „Er kommt aus Syrien“, erklärt die Lehrerin, er könne kein Deutsch. Für den Anfangsunterricht gebe es in der Schule keine VKL. Sie erzählt auch, dass es unter Kindern, die wenig Deutsch verstünden, oft Missverständnisse gebe. „Wenn ihnen die Worte fehlen, dann kommt es häufig vor, dass sie einander schubsen.“

Die Kinder üben mit Arbeitsblättern Worte mit O. Sie sollen in Bildern herausfinden, ob die Worte dazu ein O enthalten. Der „Hamster“ hat kein O, die „Rose“ schon. Keine leichte Aufgabe für Kinder, die wenig Deutsch können. Die Lehrerin ist froh um jede Unterstützung. „Dann kann ich auch mal mit guten Schüler*innen in die Tiefe gehen. Sonst bekommen gute Schüler*innen oft nur mehr Stoff“, bedauert sie.

Valentina Mustafa wird von der Stadt finanziert. Sie gehört zur sogenannten Systemorientierten Assistenz (SoA), einem Projekt der AWO. Drei Frauen arbeiten an der Schule mit je sechs Stunden in dem Projekt. Mustafa ist an verschiedenen Schulen tätig, sie kann neben Deutsch auch Albanisch, Slowenisch und Kroatisch. „Ich liebe die Kinder“, sagt sie. Ihr macht die Arbeit offensichtlich Freude.

Neben dieser Klassenbegleitung gibt es weitere Unterstützungsprojekte an der Schule. Die Dieter-Schwarz-Stiftung finanziert zusätzliche Sprachförderung, mit der Uschi-Glas-Stiftung kann die Schule Frühstück anbieten. „Das Frühstück bekommen alle, so vermeiden wir Stigmatisierung“, erklärt die Schulleiterin. Auch über „Lernen mit Rückenwind“ kamen Unterstützungskräfte an die Schule. Eine pädagogische ­Assistentin mit derzeit 31,5 Stunden ist ebenfalls für die Grundschule da. Eine Schulsozial­arbeiterin in Vollzeit ist für die Primar- und die Sekundarstufe zuständig.

So erfreulich Hilfen und Projekte sind, sie müssen erst mal organisiert werden. Da steckt von der Akquise bis zur Betreuung viel Aufwand der Schulleitung drin. Darauf weist Barbara Bürgy hin. Die Schulleitung beschwert sich nicht.

Wer für die Erziehung zuständig ist

Andreas Schwarz will auch die Eltern in die Pflicht nehmen. Nicht alle Probleme müsse die Schule lösen. Er meint, Schule sei nur für Bildung und die Eltern für Erziehung zuständig. „Das steht so im Grundgesetz“, sagte er. Daher solle der Staat besser auf Eltern einwirken, mit Beratung beispielsweise. Mehr Stellen in Schulen zu schaffen, sieht er nicht als Lösung, wenn die Kinder mit fehlenden sozialen Kompetenzen in die Schule kommen. Nicht im Blick hat er den Satz des baden-württembergischen Schulgesetzes „Die Schule hat den in der Landes­verfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen.“ Darüber klärt ihn Barbara Bürgy auf. „Wir müssen die Kinder nehmen, wie sie sind“, fügt sie hinzu. „Vieles wäre der Job der Eltern, die Arbeit können wir aber nicht delegieren. Schulen brauchen mehr Unterstützung, dass sie das leisten können“, betont Monika Stein.

Schwarz erkennt auch an anderer ­Stelle keinen zusätzlichen Bedarf. Wenn Schulen in Zukunft nach einem Sozialindex Ressourcen zugewiesen bekämen und Lehrkräfte nicht mehr nur nach der Anzahl der Klassen zugeteilt würden, dann müsse man „in Schulen, wo alles fein ist, umswitchen“. Ihm schwebt vor, Geld umzuverteilen. Klar, dass er auch in diesem Punkt keine Mitstreiter*innen fand.

Was eine gute Ganztagsschule ausmacht

Die Ganztagsschulen sind in der Diskussionsrunde noch zentrales Thema. Über den sogenannten Heilbronner Weg haben die Grundschulen in dieser Stadt eine vergleichsweise gute Ganztagsquote, allerdings in verschiedenen Formen. An 14 der 17 Grundschulen wird der Ganztag nach §4a des Schulgesetzes angeboten, wobei nur zwei Grundschulen die verbindliche Form anbieten. In den anderen zwölf, wie auch in der Elly-Heuss-Knapp-Grundschule, gibt es eine Wahlform. Insgesamt kommen alle Grundschulen auf eine Betreuungsquote von knapp 70 Prozent. Landesweit liegt die Quote viel niedriger.

„Ich bin ein Anhänger von rhythmisierten, verbindlichen Ganztagsschulen“, sagte der Grünenpolitiker Andreas Schwarz. „Wie wirbt man für gute Ganztagsschule?“, fragt er. Die Antworten sind erstaunlich einmütig. Für den CDU-Stadtrat Thomas Randecker ist klar: „Sie müssen gute räumliche Voraussetzungen mit Mensa und Rückzugsmöglichkeiten schaffen. Dann klappt es auch.“ Eltern soll man seiner Meinung nach über die Schulkonferenz nicht beteiligen. „Die Einstellung der Eltern ist nur eine Momentaufnahme. Ein oder zwei Jahre später ändern sie möglicherweise ihre Meinung, haben dann aber langfristige Entscheidungen schon blockiert.“ Die Entscheidung solle bei der Kommune und den Lehrkräften liegen.

„Wenn Kommunen überzeugt sind, dann können gute Ganztagsschulen entstehen“, ist auch die GEW-Chefin überzeugt. „Nicht nur räumlich, auch personell und konzeptionell müssen Ganztagsschulen gut dastehen“, erwartet Barbara Bürgy. Die Qualität der Betreuung müsse so gut sein wie im Hort. Es brauche einen Personalschlüssel von 1:10. Alles müsse gesetzlich geregelt sein und dürfe nicht von der Finanzkraft der Kommune abhängen. Ziel dürfe nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein, wichtig sei auch die Bildungsgerechtigkeit. Das bestätigt die Schulleiterin Dorothea Piontek und erzählt, wie an ihrer Schule Kinder den Weg in die Bläserklasse geschafft haben. „Da sind Kinder dabei, die ohne unser Angebot nie die Chance hätten, ein Instrument zu spielen“, betont sie.

Gute Kooperationspartner seien auch ein Erfolgsfaktor für Ganztagsschulen, streicht die FDP-Politikerin Sylvia Dörr heraus. Zwei Seiten müssten sich bewegen. Musikschulen würden lieber in ihren Räumen unterrichten, und die Schulen müssten die externen Fachkräfte in die Schule lassen. Fazit der Diskussion ist: Wenn die Hürden erst mal überwunden sind, sehen alle, wie gut es läuft. Und dann ist auch klar, dass individuelle Wünsche von Eltern nicht erste Priorität haben. Es geht darum, dass Kinder vieles verlässlich gemeinsam erleben können, auch das, was vor allem Kinder aus weniger gut situierten Elternhäusern zu Hause nicht vorfinden. „Wir holen das Leben in die Schule“, sagt die Schulleiterin Dorothea Piontek.

Ideen gegen den Lehrkräftemangel

Wie der Lehrkräftemangel bekämpft werden kann, darüber wurde sehr ausführlich und weniger einmütig diskutiert. Schwarz kam mit festen Vorstellungen. Teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte müssten aufstocken, vor allem die 14.000 Lehrkräfte, die aus „sonstigen Gründen“ in Teilzeit arbeiten. Der Politiker hat dafür kein Verständnis. Der CDU-Politiker Randecker beklagt, dass ­vielen Menschen heute Freizeit wichtiger sei, was zulasten der Menschen gehe, die arbeiten wollten. Doch es gibt heftig Widerspruch. Monika Stein sagt: „Teilzeitarbeit ist für überlastete Lehrkräfte Selbstschutz. Wenn die Regierung Druck aufbaut, verliert sie noch mehr Lehrkräfte. Außerdem wollen immer mehr Menschen in Teilzeit arbeiten. Wenn Sie als Arbeitgeber attraktiv sein wollen, müssen Sie Teilzeit anbieten.“ „Teilzeit dient auch dazu, dass Lehrkräfte mit Kindern wieder schnell in den Beruf zurückkehren und nicht jahrelang aussetzen“, gibt Barbara Bürgy zu bedenken – und der GEW-Bezirksvorsitzende Martin Hettler ergänzt: „Teilzeit ist eine gesellschaftliche Errungenschaft. Früher haben Frauen ganz aufgehört zu arbeiten.“ Piontek unterstreicht: „Viele Kolleg*innen arbeiten so viel sie können. Sie haben ein hohes Pflichtbewusstsein und scheuen keine Mühen für die Kinder.“

Eine letzte Frage gibt Andreas Schwarz der Schule mit in den Alltag. Er möchte wissen, wo sie von der Bürokratie eingeengt werden. Das soll ihm die Schule per Brief zukommen lassen. Die Landesregierung hat sich insgesamt Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben. Davon sollen wohl auch die Schulen profitieren. Die Schulleiterin nickt, wohl wissend, dass sich der Brief auch nicht von alleine schreibt.

Kontakt
Maria Jeggle
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