G–NEU = Mehr Zeit für gute Bildung
Auch Bürger*innenforum zielt auf echtes G-NEU
Aus Sicht der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien ist das Ergebnis des Forums zur Länge der gymnasialen Schulzeit ausgewogen und wohltuend differenziert. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, die Weiterentwicklung des gesamten Bildungswesens voranzutreiben.
Mit dem Forum zur Länge der gymnasialen Schulzeit in Baden-Württemberg ist es nicht nur gelungen, einen bürger*innennahen Partizipationsprozess durchzuführen; das Ergebnis ist ausgewogen und wohltuend differenziert.
Damit gibt es aktuell – nach vielen Jahren der Stagnation – einen starken Impuls, das Beharren auf Partikularinteressen zu überwinden und die Weiterentwicklung des gesamten Bildungswesens in den Blick zu nehmen.
Aus der Kurzfassung des Bürgergutachtens vom 11. Dezember 2024:
- „Das Bürgerforum äußert sich eindeutig: Weder bei G8 noch bei einer Rückkehr zum alten G9 besteht die Sicherheit, dass mit dem aktuellen Schulsystem die Bildungsziele erreicht werden. Beides müsste reformiert werden. Hier gibt es keine Gegenstimme, drei enthalten sich. [...]
- Die klare Mehrheit empfiehlt dringend eine ganzheitliche, schulartübergreifende Schulreform für bessere Umsetzung der Bildungsziele, Förderung der Inhalte und Kompetenzen, Reduzierung von Belastungen und für mehr Bildungsgerechtigkeit. 49 unterstützen diese Forderung bei nur einer Gegenstimme und fünf Enthaltungen. [...]
- Ebenfalls sehr klar fordert das Bürgerforum die Entwicklung von neuen kreativen Unterrichtsformaten, die partizipativer sind und Schülerinnen und Schüler auf Augenhöhe einbinden, Verantwortung fördern und dabei helfen, Sozialkompetenzen zu entwickeln. 51 folgen dieser Empfehlung, drei sehen dies nicht so, eine Person enthält sich der Stimme.“
Die GEW-Fachgruppe Gymnasien hofft nun sehr, dass die politischen Verantwortungsträger*innen, wenn es um die konkrete Ausgestaltung einer Schulzeitverlängerung geht, genügend Mut und Geduld aufbringen, den eingeschlagenen partizipativen Weg fortzusetzen und die Interessen aller Schüler*innen im Blick zu behalten.
Wir wünschen uns, dass das Thema zum Modellfall für die Weiterentwicklung unseres Bildungswesens wird. In diesen Prozess möchten wir uns weiterhin konstruktiv einbringen.
Auf jeden Fall freuen wir uns darüber, dass sich viele Ideen für ein echtes G-NEU, die wir in den letzten Jahren entwickelt und veröffentlicht haben, jetzt so deutlich widerspiegeln.
Die GEW-Fachgruppe Gymnasien schlägt nun folgende Punkte vor.
Partizipation und Transparenz im Gestaltungsprozess
Einen gelungenen demokratischen Entscheidungs- und Entwicklungsprozess werden wir nur hinbekommen, wenn die breite repräsentative Beteiligung fortgesetzt wird.
Wir wünschen uns einen Runden Tisch, an dem alle Betroffenen ihre Expertise einbringen und weiterhin wirklich ernsthaft Gehör finden können: Vertreter*innen von Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern, Gewerkschaften und Verbänden, Schulträgern und so weiter.
Kurshalten bei Bildungsgerechtigkeit für alle Schüler*innen
Wenn die gymnasiale Schulzeit auf neun Schuljahre verlängert wird, eröffnet dieses vielen Schüler*innen eine Flexibilisierung beim Übergang zwischen verschiedenen Schularten. Die Bildungspläne und Stundentafeln können zwischen den Sek-I-Schularten und den Gymnasien besser abgestimmt werden, so dass sich für Schüler*innen, die im Rahmen ihrer individuellen Bildungsbiografie getroffene Laufbahnentscheidungen revidieren möchten, die Durchlässigkeit des Gesamtsystems erhöht.
Und klar ist auch, dass wir ein breiteres Unterstützungsangebot und Zusatzangebote für die individuelle Förderung der Schüler*innen brauchen. Nur so können partielle Unterstützungsbedarfe eingelöst und besondere Interessen einzelner Schüler*innen gefördert werden.
Mehr Zeit für gute Bildung, aber wofür genau?
Eine Entschleunigung der Lernprozesse gibt es nur, wenn die Schüler*innen mehr Zeit zum Üben und Vertiefen erhalten. Mit einem vollen zusätzlichen Schuljahr mehr an Unterrichtszeit (circa 30 Wochenstunden) eröffnen sich zeitliche Spielräume, über deren intelligente und flexible Nutzung die einzelne Schule vor Ort mehr Entscheidungsbefugnis braucht.
Für ein echtes G-NEU reicht ein linearer Aufwuchs an Fachunterricht keinesfalls aus.
Wir brauchen zusätzlich zum Beispiel:
- Individuell anwählbare schulische Unterstützungsangebote (zum Beispiel Förderstunden), wenn ein*e Schüler*in in einem Fach zusätzliche Übungsbedarfe hat.
- Nicht nur mehr politische Bildung, sondern auch zeitliche Freiräume für gelebte demokratische partizipative Prozesse an der Schule vor Ort.
- Eine Klassenstunde für alle Klassen 5 bis 10.
- Nicht nur einfach den von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) geforderten Informatikunterricht, sondern vor allem auch ein fächerintegratives Curriculum für Medienkompetenz und Digitalkunde.
- Eine Doppelstunde für alle Klassen (pro Woche) für projektorientiertes und selbstorganisiertes Lernen an komplexen Gegenwartsthemen (zum Beispiel Frei Day, Deeper Learning, Phenomenon-based Learning).
- Diese lässt sich vielleicht organisatorisch mit den zwei Stunden (pro Woche) Teamzeit für Lehrkräfte verknüpfen, die wir für die gemeinsame Unterrichtsentwicklung brauchen.
Alltagstauglichkeit bei der Implementierung
Die Umstellung auf ein echtes G-NEU braucht selbst viel Zeit, damit die nötigen Anpassungsmaßnahmen an den Schulen vor Ort auch Schritt für Schritt vollzogen werden können. Die Implementierung muss sozusagen alltagstauglich erfolgen.
Das macht es erforderlich, dass sich der Umstellungsprozess über mehrere Schuljahre erstreckt und in den Klassenstufen sinnvollerweise von unten nach oben hochwächst.
Kritische Revision der Prüfungsformate und Bildungspläne
Langfristig wird eine umfassende Weiterentwicklung gymnasialer Bildung nicht um eine grundlegende Schwerpunktverlagerung herumkommen: Die Anzahl gruppenbezogener schriftlicher Prüfungsleistungen wird sich reduzieren zu Gunsten eines verstärkten formativen Feedbacks während der Lernprozesse. Aktuell haben Schüler*innen am Gymnasium nicht selten vier bis fünf schriftliche Prüfungsleistungen (Klassenarbeiten und Tests) pro Woche zu absolvieren und gewöhnen sich so an eine kurzatmige Outputorientierung, welche längere Spannungsbögen konzentrierter Lernprozesse sowie die Übernahme echter Eigenverantwortung für den Lernfortschritt erschwert.
Auch in einer anstehenden kritischen Revision der Bildungspläne wird stärker zwischen unverzichtbarem Basis- und Überblickswissen, das wirklich allen Schüler*innen für das Erreichen des Klassenziels aktiv zur Verfügung stehen muss, sowie wählbaren Zusatzmodulen zur Vertiefung und individuellen Schwerpunktsetzung unterschieden werden müssen.