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Gymnasium

Demokratische Mitsprache in der Schule zulassen

Zu den Personalrats­wahlen porträtieren wir alle Schularten mit Blick auf das GEW-Motto „Bildung. Mutig. Los!“. Das Albert-Schweizer-Gymnasium in Gundelfingen lässt Schüler*innen ­mitdiskutieren und abstimmen. Ist das mutig – ein Modell für andere?

von links: Schulleiter Matthias Mühl, Schülersprecherin Elena Kaiser und David Pomp, Lehrer und Referent beim ZSL für Demokratiebildung
von links: Schulleiter Matthias Mühl, Schülersprecherin Elena Kaiser und David Pomp, Lehrer und Referent beim ZSL für Demokratiebildung (Foto: Evi Maziol)

Die einen setzen sich für Fische als Klassenhaustiere ein. Andere ­wollen einen Boxautomaten für die Pause, wobei die Einnahmen an die Partnerschule in Burundi gehen sollen. Wieder andere möchten einen Wasserspender für die Sporthalle. Oder vielleicht sollte der Unterricht auch ausfallen, wenn Lehrer*innen zehn Minuten zu spät kommen? Wie viel Mut erfordert demokratische Mitsprache? Und wie viel Mut braucht eine Schulgemeinschaft, solche Ideen ernsthaft zu diskutieren?

Von außen deutet nichts darauf hin, dass genau das am Albert-Schweitzer-Gymnasium (ASG) in Gundelfingen bei Freiburg passiert. Das Gebäude stammt aus den 70ern mit viel Beton und Glas, die orangenen Farbstreifen an der Fassade verblassen allmählich. Sicher wird hier auch bald renoviert, drängt sich der Gedanke auf. Umso mehr überrascht das Innere, wo ein heller Holzboden und hohe Fenster einen lichtreichen Raum schaffen. Direkt im Eingangsbereich befindet sich eine moderne Mensa, vor der um elf Uhr bereits ein paar Kinder sitzen, sich unterhalten und essen.

David Pomp findet es großartig, dass sich seine Schule mit Ideen der Schüler*innen befasst. Der 42-Jährige unterrichtet Geschichte, Gemeinschaftskunde und Sport am ASG, hat kurze Haare und wache Augen. Außerdem ist er Referent für Schüler*innenmitverantwortung (SMV) und Demokratiebildung beim Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL). „Schule muss einen Raum bieten, um Demokratie zu lernen“, sagt er, und dass man als Demokrat*in nicht geboren werde. Dass man das lernen müsse. „Und wo willst du das machen, wenn nicht in der Schule?“ Als er selbst noch Schüler war, in Duisburg, da organisierte er Demonstrationen gegen die Schließung seiner Schule mit. Obwohl die Lehrkräfte bereits dafür gestimmt hatten, wurde die Schule schließlich nicht geschlossen. Dieses Gefühl, etwas bewegen zu können, möchte er weitergeben. Als die SMV im November 2021 nach einem Barcamp zum Thema Digitalisierung vorschlug, „Aula“ an der Schule einzuführen, unterstützte er sie gerne.

„Aula“ steht für „ausdiskutieren und live abstimmen“. Konkret steht das Konzept auf drei Säulen: einer App, Schulstunden und einem Vertrag. In der App haben alle Beteiligten ihre eigenen Räume: die Schulgemeinschaft, jede Klasse, die SMV und auch das Kollegium. Hier kann jede und jeder sogenannte „wilde Ideen“ einbringen, kommentieren, diskutieren und schließlich darüber abstimmen, ob und wie sie diese Ideen umsetzen möchten. Da geht es um Skitage, um hausaufgabenfreie Freitage, um einen Kaffeeautomaten oder um ein Verbot von Sprühdeo in der Sportumkleide. Die Idee, Wasserspender in der Sporthalle aufzustellen, schaffte es als erste in die Abstimmungsphase, scheiterte aber daran, dass das nötige Quorum von 50 Prozent der Schulgemeinschaft nicht erreicht wurde – es fehlten 30 Stimmen. „Die Jugendlichen schreien nicht alle: ‚geil, Demokratiebildung, das wollten wir schon immer‘“, sagt Pomp dazu. Viele hätten eher gelernt, im hierarchisch organisierten Schulsystem zu funktionieren. Über zwei Jahre dauert es laut Aula-Homepage, bis das Konzept etabliert ist. Damit rechnen sie auch am ASG, auch wenn sie über Beteiligungsprojekte auf kommunaler Ebene bereits Erfahrungen zur Mitgestaltung von Schüler*innen gemacht haben.

Nicht entmutigen lassen

Zu scheitern gehöre dazu, „das ist kein Wunschzettel“, so Pomp, „sie müssen sich für ihre Idee einsetzen“. Der Achtklässler mit der Wasserspenderidee jedenfalls lässt sich vom Rückschlag nicht entmutigen und versucht es erneut. Elena Kaiser ist Schülersprecherin und macht noch in diesem Schuljahr ihr Abitur. „Das Konzept von Aula finde ich super“, sagt sie. Am Anfang habe es sehr viele „Quatschideen“ gegeben, doch inzwischen „wird Aula ernster genommen. Viele schauen sich die Ideen an und fragen nach.“ Sie findet die Offenheit mutig, die der Schulleiter im Umgang mit der Aula-App zeigt.

Der heißt Matthias Mühl, ist 52 Jahre alt und leitet die Schule mit 714 Schüler*innen und 74 Lehrkräften seit 2018. „Ich bin sehr entspannt, was die verschiedenen Ideen und Vorschläge betrifft“, sagt er. Er weist auf das Quorum hin, außerdem gebe es ja vor einer Abstimmung die Ausarbeitungs- und dann die Prüfungsphase, in der die Schulleitung prüfe, ob rechtliche oder formale Gründe einer Idee entgegenstehen würden. Darüber hinaus gibt es die zweite Aula-Säule, den Schulvertrag, auf den sich Kollegium, Schülerrat und Schulkonferenz als freiwillige Selbstverpflichtung geeinigt haben.

Aktuell hat es eine Idee in die Ausarbeitungsphase geschafft, die David Pomp als „heißes Eisen“ bezeichnet: freies WLAN für alle Schülerinnen und Schüler. Natürlich wird darüber nicht nur abgestimmt, sondern auch diskutiert und reflektiert. In der App, vor allem aber in den sogenannten Aula-Stunden. Am Albert-Schweitzer-Gymnasium finden die nach einem rotierenden System einmal im Monat statt. „Ohne die Aula-Stunden ist das, wie sich in ein Auto zu setzen, an dem keine Räder sind, und zu erwarten, dass es fahren kann“, sagt Pomp. Doch in jedem Fall muss man an diesem Auto ausdauernd arbeiten.

Weitere Baustellen

Aula ist dabei nicht die einzige Baustelle der Schule. Die Mensa wurde im Januar 2023 neu eröffnet. Im Herbst wird auch ein Teil des Schulgebäudes renoviert, „dringend notwendig“ sei das, sagt Mühl, der Bereich sei seit 50 Jahren nur erhalten worden. In drei Jahren sollen die Räume heller und funktionaler für zeitgemäßen Unterricht sein. Bis dahin werden einige Klassen in acht Container, Fachräume und Räume der angrenzenden Gemeinschaftsschule ziehen.

Dass Bereiche der Schule sanierungsbedürftig sind, dürfte ebenso wenig überraschen wie eine weitere Herausforderung, die Mühl anspricht: „Wir haben viele Fragen im Bereich Digitalisierung.“ Wie laufe zum Beispiel der Umzug von Moodle ab? Da müsse ein besseres Rückmeldesystem her, die Schulen müssten mehr nach ihrem Bedarf gefragt werden. „Zu sagen, dass das ein stark verbesserungswürdiger Prozess ist, wäre ein starker Euphemismus.“ Er wünscht sich eine bessere Kommunikation zwischen dem Kultusministerium und den Schulen – und mehr Eigenständigkeit für die Schulleitungen, etwa wenn es ums Personal oder um die Gestaltung der Schulstruktur geht.

Da zieht Schülersprecherin Elena Kaiser mit. Auch sie wünscht sich bessere Feedbackkultur und Kommunikation auf Augenhöhe – aber eben zwischen Lehrkräften und Schüler*innen: „Wir sollten Verbesserungsvorschläge im Unterricht machen können, die nicht direkt runtergemacht werden.“ Denn das erlebe sie immer wieder. Fragebögen am Ende eines Halbjahres reichten da nicht aus. Manche Lehrer*innen würden Schüler*innen nicht einmal auf die Toilette lassen. Sie erhofft sich von Aula mehr Mitsprache, damit Schüler*innen eine bessere Schule mitgestalten können.

Bildung überdenken

Man müsse neu über den Bildungsbegriff nachdenken, findet der Schulleiter. Gerade in Hinblick auf G9 brauche es neue Ideen. Das biete einen „guten Rahmen, um Bildungsinhalte abzubilden, die bis jetzt zu kurz kommen“. Er wünscht sich etwa IT als durchgehendes Fach: „Schülerinnen und Schüler sollten die Schule nicht verlassen ohne Grundkenntnisse im Programmieren.“ Denn das Wissen darum, wie ein Algorithmus funktioniert oder wie eine Künstliche Intelligenz arbeitet, brauche es, um sich in der digitalen Welt zurechtzufinden.

Die Aula-App vereint Digitalisierung und demokratische Teilhabe. Eine Idee, die es über Aula geschafft hat, wird nun auch umgesetzt. „In Zukunft werden alle Klassenarbeiten in Webunits eingetragen und dort für die Schülerinnen und Schüler sichtbar sein“, sagt Mühl. Webunit ist eine Art digitales Klassenbuch. Er finde es mutig, dass sich die Schule auf Aula einlässt. Er weiß: „Der Prozess ist für den einen oder die andere Kollegin sicher nicht einfach.“ In jedem Fall brauche es Zeit, dass sich alles einschleift. Mühl ist da zuversichtlich. Der Wasserspender in der Sporthalle werde kommen, selbst wenn das erforderliche Quorum nicht erreicht werde. Die Idee sei gut – und die Sanitäranlagen der Halle würden nächstes Jahr eh renoviert.

Die Ideen mit dem freien Internet für alle und die transparenten Klassenarbeiten kamen von Schüler*innen, die sonst eher ruhig sind. Einer scheint von seinem Erfolg selbst überrascht, wachse aber nun in den Prozess hinein, sagt David Pomp. Ihn fasziniert dieser Mut: Der des Kollegiums, sich auf mehr Demokratie einzulassen. Der der Schüler*innen, Ideen einzubringen und sich einer Öffentlichkeit zu stellen. Und der Mut, über die erlernte Passivität hinwegzugehen.