Gewerbliche Schule
Den Berufsstolz zurückgeben
Absolventinnen und Absolventen aus dem Handwerk müssen sich neben Akademikern nicht verstecken. Nicht selten stehen sie bei Berufsperspektiven und Gehalt besser da. Ein Besuch an der gewerblichen Schule im Hoppenlau in Stuttgart.
Die gewerbliche Schule im Hoppenlau in Stuttgart nutzt die Abschlusspräsentationen der Konditorenmeisterinnen und -meister, um für die Schule und ihre Handwerksberufe zu werben. Die Leistungen sind beeindruckend. Ihre Karriere steht vielen akademischen Berufen in nichts nach.
Vier junge Frauen und ein junger Mann präsentieren Mitte Juli ihre Meisterwerke: Ein Baumkuchen, neun Sorten Pralinen, drei Sorten Salzgebäck, fünf Torten, Eis und ein besonderes Schaustück. Am Freitagabend erhielten die Aspirant/innen auf den Meistertitel ihre Aufgaben, am Samstag wird eingekauft und von Montag bis Mittwoch wird gebacken, verziert, gegossen und was sonst noch zum Konditorenhandwerk gehört. Kurz nach 18 Uhr verkündet der Konditormeister und technische Oberlehrer Joachim Feinauer die Entscheidung des Meisterprüfungsausschusses der Handwerkskammer Stuttgart: „Alle haben bestanden“. Nicht nur die Prüflinge sind erleichtert, gute Abschlüsse erfreuen Lehrkräfte, Schulleitung und Angehörige ebenso.
Besucher/innen können die Meisterstücke besichtigen: Unter Mottos wie „Schöner Schwarzwald“, „Faszination Rumänien“, „Japan zur Kirschblütenzeit“ oder „Sweet Halloween“ stellen die Konditor/innen ihre essbaren Werke aus. Davor haben sie ein 45-minutenlanges Prüfungsgespräch überstanden und unter hohem Leistungs- und Zeitdruck die Kunstwerke geschaffen. „Es kann vorkommen, dass beim Schaustück der Guss bricht. Dann müssen sie von vorne anfangen“, erklärt Schulleiter Gerald Machner. Nicht ohne Stolz berichtet er von bekannten Konditoren- und Cafébetreiber/innen, die ihren Meistertitel an der Schule erworben haben. Dazu gehört beispielsweise Gülsün Akci. Sie kombiniert im Stuttgarter Café Blüte klassische Konditorei mit Rezepten einer türkischen Feinbäckerei. Bevor die meist jungen Absolvent/innen das Risiko einer Unternehmensnachfolge oder -gründung eingehen, durchlaufen sie auch Härtetests auf Kreuzfahrtschiffen oder arbeiten in der Patisserie von großen Hotels oder guten Restaurants.
Wozu die Mottos gut sein sollen, wird klar, wenn der stellvertretende Schulleiter Andreas Baitinger über die Ausbildung spricht: „Die Produkte müssen emotionalisiert werden, sie brauchen regionale Nähe.“ Beim Kunden müsse man Verständnis für den Wert der Produkte wecken, eine Geschichte erzählen, klären, woher die Produkte kommen und woraus sie bestehen. Anders habe das Handwerk gegen die Supermärkte keine Chance. Vor allem Bäckereien kämpfen. Von rund 10.000 Bäckereien in Deutschland werden nur rund 4.000 bis 5.000 überleben, schätzt Baitinger. Gut backen können, reicht nicht.
Vom Halm bis zum Teller sollen die Auszubildenden ihre Produkte kennen. Daher wachsen im Vorgarten der Schule ein paar Quadratmeter Getreide. „Das größte innerstädtische Getreidefeld“, erklärt Baitinger lachend. Hier können Schüler/innen nicht nur verfolgen wie Weizen und Roggen gedeiht. Sie sehen auch, welche Rolle Wind und Wetter spielen oder wie Marienkäfer helfen können, den Lausbefall zu reduzieren.
Nicht nur die Getreidepflanzen vor der Schule fallen auf. Die vier großen Gebäude der Gewerbeschule im Stuttgarter Westen sind nicht zu übersehen. Die Schule mit 1.700 Schüler/innen bietet Aus- und Weiterbildungen für alle 13 Berufe der Berufsfelder Nahrung (zum Beispiel Müllerei, Getreidelagertechnik, Fleischer/in, Bäcker/in, Koch/Köchin, weitere Gastronomieberufe, Lebensmittelfachverkauf) und Körperpflege (Kosmetik und Frisör/in) an.
Die Schule bildet auch seltene Berufe aus, zum Beispiel Müllerei samt Meistertitel. In den Bundes- und Landesfachklassen sitzen Schüler/innen, die einen weiten Fahrweg in Kauf nehmen oder im Internat untergebracht sind. Im Gegensatz zum Bäcker, zur Bäckerin bleiben bei den Müllern und Müllerinnen viele im Beruf. Über diesen Berufszweig freut sich vor allem der stellvertretende Schulleiter. Als Seiteneinsteiger war er in der Getreideforschung tätig, arbeitete als Unternehmensberater für Mühlen und wurde dann Lehrer. Ihm sind Außenkontakte sehr wichtig. Er organisiert fachliche Exkursionen oder pflegt Partnerschaften mit Brasilien oder der Schweiz. Frisör/innen und Kosmetiker/innen besuchen Modeschulen und Modeschauen. „Wir gehen in Betriebe, auf Messen und beteiligen uns an Wettbewerben.“
Baitinger will damit Handwerker/innen den Berufsstolz zurückgeben. „Aktuell ist ein Bäcker weniger angesehen“, sagt er. Dabei müssten sich die Absolvent/innen aus dem Handwerk neben Akademiker/innen nicht verstecken. Nicht selten stünden sie bei Berufsperspektiven und Gehalt besser da. „Ein Meister kann mit einem Verzweiflungsbachelor locker mithalten“, erklärt er augenzwinkernd.
Doch die Meisterschule ist für viele Schüler/innen ein finanzieller Kraftakt. Sie bekommen maximal 300 Euro Meister-Bafög. Schule und Prüfung kosten Geld. Oft werden sie in der Zeit vom Betrieb ohne Einkommen freigestellt. Da die Bewährungszeit nach der Gesellenprüfung in den Meisterprüfungsordnungen wegfällt, sind die Meisterschüler/innen jünger geworden. In der Regel sind sie zwischen 20 und 30 Jahre alt. Anstrengend ist die Ausbildung auch. Sie dauert vom 15. Dezember bis Ende Juli. Ferien gibt es in der Zeit keine und die Schultage sind mit zehn Stunden gut gefüllt.
Joachim Feinauer unterrichtet die Konditormeisterschüler/innen. Davor hat er 17 Jahre als Konditormeister gearbeitet und kam mit viel Berufserfahrung und einem guten Netzwerk an die Schule. Er ist stolz auf seine Schüler/innen und sagt, zu vielen habe er eine gute Beziehung aufbauen können. Er werde auch mal auf Hochzeiten eingeladen. „Der Lehrerberuf ist ein Beziehungsberuf, Wertschätzung und Bindungen zu den Schüler/innen sind sehr wichtig.“
Gerald Machner ist ein Netzwerker erster Güte. Er lädt die IHK, Handwerksbetriebe, Schulverwaltung und Gewerkschaften in seine Schule ein. Er nutzt zum Beispiel die Abschlusspräsentation der Konditorenmeister/innen auch, um die Arbeit der Schule sichtbar zu machen. Man nimmt ihm ab, dass er damit seinen Schüler/innen zu besseren Chancen verhelfen will. Viele Auszubildende hätten keine positiv besetzte Schulbiografie hinter sich und brauchten das Gefühl, dass jemand für sie da ist, sie wertschätzt und ihnen was zutraut, berichtet er. Im Gegensatz zu den Ausbildungsbetrieben dürften die Auszubildenden in der Schule Fehler machen. „Hier dürfen sie Brötchen backen, die sich nicht zum Verkauf eignen. Eine Bäckerei kann sich das nicht leisten“, erklärt Machner. In der Schule dürfen sie ausprobieren, nachlernen, dort ist mehr Zeit für Erklärungen.
Doch die Deputate der Lehrkräfte würden die wirkliche Arbeitszeit der Lehrkräfte nicht mehr abbilden. „AZVZ-Zertifizierungen beispielsweise, Gefährdungsbeurteilungen oder alle Zusatzarbeiten, die mit dem Datenschutz zusammenhängen, machen die Lehrkräfte für umme“, kritisiert der Schulleiter. Auch Baitinger bemängelt, dass viele Ressourcen für das Management der Werkstätten verbraucht werden. „Technik, Beschaffung, Reparaturen kosten viel Zeit, Pädagogik kommt zu kurz“, sagt er. Die Schulleitung wünscht sich auch Entlastung für die Verwaltung. „Die Aufgabenvielfalt kann nicht allein auf Funktionsstelleninhaber im Schulleitungsteam verteilt werden“, ergänzt Machner.
Das Getreidefeld vor der Schule ist inzwischen abgeerntet, die Konditormeister/innen sind verabschiedet. Der Lehrer Joachim Feinauer gibt jetzt auch Backtipps beim SWR. Die Verantwortlichen der Schule unternehmen viel, damit ihre Handwerksberufe attraktiver werden.