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Lehrer/innenbildung: Neue Lehrer/innen für das Land?

Ende März hat die Expertenkommission Lehrerbildung im Auftrag der grün-roten Landesregierung ihre Empfehlungen für eine Neukonzeption der Lehrerbildung vorgelegt. Die Expert/innen empfehlen für alle Studiengänge ein zehnsemestriges Bachelor/Master-Studium. Am weitesten geht die Empfehlung, ein einheitliches Sekundarstufenlehramt zu schaffen. Das stößt bei Konservativen auf massive Kritik.

Die grün-rote Landesregierung hatte schon kurz nach der Landtagswahl im Mai 2011 angekündigt, dass sie die Lehramtstudiengänge gründlich verändern will. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer war vor allem das Nebeneinander von Pädagogischen Hochschulen und Universitäten ein Dorn im Auge. Deshalb wurde die Expertenkommission Lehrerbildung im Frühjahr 2012 eingesetzt. Sie wurde gebeten, insbesondere Empfehlungen zur besseren Vorbereitung der Lehrkräfte auf den Umgang mit Heterogenität und Inklusion in den Schulen zu entwickeln und Wege zur engeren Zusammenarbeit der Unis und der PHn in der Lehrerbildung aufzuzeigen.


Die Vorschläge der Expert/innen wurden Ende März von der Kommissionsvorsitzenden Sybille Volkholz übergeben. Sie sagte: „Der Erfolg liegt in der vertieften fachlichen Bildung der angehenden Lehrer sowie in einer besseren Vermittlung der Fachdidaktik“. Erst wer ein Fach in der Tiefe durchdrungen habe, könne das notwendige Wissen an die Schüler weitergeben. Ebenso wichtig sei es, die Fachdidaktik, also die Fähigkeiten zur Vermittlung von Wissen, zu stärken.

  • Die Empfehlungen umfassen im Wesentlichen folgende Eckpunkte:

 

Drei gestufte Lehramtsstudiengänge (Primarstufe; Sekundarstufe I & II; berufliches Lehramt) mit Bachelor/Master-Abschluss (10 Semester; 300 ECTS).

Damit bei dem Verzicht auf das erste Staatsexamen der Staat noch ausreichend Einfluss auf die Qualifikation der Lehrkräfte und die Anforderung von Profilen hat, sollte darauf bestanden werden, dass die Programme akkreditiert werden. Dabei kann der Staat für sich ein Vetorecht reklamieren. Zusätzlich ist noch anzuraten, mit Zielvereinbarungen, zweckgebundenen Mittelzuweisungen und Koordinierungsgremien auf Landesebene sehr wohl Instrumente zu entwickeln, die eine Steuerung der Ausbildung des Lehrkräftenachwuchses zulassen.


Für den Master of Education schlägt die Kommission einen von PHn und Unis gemeinsam getragenen Studiengang vor, sofern nicht – wie z.B. an der Universität Tübingen geplant – ein vollständiges Angebot an Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften einschließlich einer schul- und unterrichtsbezogenen Forschung angeboten werden.

  • Gemeinsames Lehramt Sekundarstufe I und II. Die Lehrkräfte sollen sowohl die Lehrbefähigung für die Sekundarstufe I (bis 10. Klasse) als auch für die Sekundarstufe II (ab 10. Klasse) besitzen.
  • Sonderpädagogische Grundbildung in allen Lehramtsstudiengängen.
  •  Lehramt Sonderpädagogik: Studierende sollten in Heidelberg und Ludwigsburg künftig Sonderpädagogik als ein Fach im Rahmen der drei Lehramtstudiengänge wählen können. Die Kommission schlägt vor, in Freiburg einen weiteren Standort für Sonderpädagogik einzurichten.
  • Verzicht auf Eingangsselektion: Die Vorstellung, man könne bereits vor dem Studium berufsrelevante Fähigkeiten erkennen, steht in deutlichem Widerspruch zu einem Verständnis des Lehrerberufs als einer professionellen Tätigkeit, für die eine wissenschaftliche Qualifikation notwendig ist. Die Kommission empfiehlt, bei den Bemühungen um eine verbesserte Professionalisierung von Lehrkräften nicht schwerpunktmäßig an der Eingangsselektion anzusetzen, sondern stattdessen auf eine hochwertige Aus- und Weiterbildung zu setzen.
  • Einrichtung einer hochschulübergreifenden Kooperation zwischen Unis und PHn für die Masterphase im Lehramt Sekundarstufe I und II: Professional School of Education (PSE)
  • Schaffung personell entsprechend ausgestatteter forschungsfähiger Studienbereiche Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften an PHn und Unis.

Wissenschaftliche Lehrerbildung muss sowohl den Anforderungen eines fachwissenschaftlichen Studiums Rechnung tragen als auch den Besonderheiten der Entwicklung pädagogischer Professionalität bzw. professioneller Kompetenz. Neben den Fach- und den Bildungswissenschaften kommt den Fachdidaktiken eine enorme Bedeutung für die Professionalisierung angehender Lehrkräfte zu.
Langfristig schlägt die Kommission auch vor zu überlegen, ob die Lehrerbildung der ersten Phase auf die Universitäten konzentriert und die Pädagogischen Hochschulen darin integriert werden. Mit den Professional Schools of Education werde ein Ort geschaffen, der für die Koordinierung des Lehramtsstudiums zuständig ist. Damit könnten die Fehler anderer Länder vermieden werden, in denen die Universitäten die Lehrerbildung nur schwer angenommen haben. 


Die GEW nannte die Empfehlungen der Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung ein wichtiges Signal für die Landesregierung, deutlich mehr in Qualität und Umfang der Lehrerausbildung zu investieren. GEW-Vorsitzende Doro Moritz hofft, dass Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Kultusminister Andreas Stoch mehr Durchsetzungsfähigkeit im Kabinett als ihre Vorgänger/innen besitzen. „2004 ist der letzte Bericht einer Expertenkommission zur Evaluation der Erziehungswissenschaften in der Schublade verschwunden. Ein fünfjähriges Studium für alle Schularten ist eine wichtige Voraussetzung für eine moderne und professionelle Lehrerausbildung. Wir begrüßen ausdrücklich eine längere Studienzeit für angehende Grundschullehrkräfte und eine Anhebung der Lehrerausbildung für alle Lehrer/innen ab Klasse 5 auf Gymnasialniveau.“ Die GEW legt Wert darauf, dass in einem neuen gemeinsamen Lehramt für die Sekundarstufe I und II die Kompetenzen der PHn und Unis gebündelt werden. „Derzeit gibt es an den Unis im Südwesten praktisch keine fachdidaktische Forschung und Lehre, gleichzeitig sind die PHn seit Jahrzehnten überfüllt und unterfinanziert.“, sagte Moritz. Die GEW fordert, im Zuge der Umstellung die Besoldung und das Deputat aller Lehrer/innen auf das derzeitige Niveau der Gymnasien und beruflichen Schulen anzuheben.


Der Handwerkstag begrüßte die Empfehlungen. Eine übergreifende Ausbildung der Lehrkräfte sei schon für den Ausbau der Gemeinschaftsschule ein notwendiger Schritt, um gemischte Lerngruppen optimal zu fördern und alle Schulabschlüsse zu ermöglichen. Andere Reaktionen waren weniger optimistisch. Erwartungsgemäß laufen Philologenverband und die Opposition Sturm gegen die Vorschläge. Der Philologenverband reagierte gar entrüstet auf die Vorschläge der Expert/innen. Landeschef Bernd Saur dramatisierte „Damit wird das Totenglöcklein für das Gymnasium geläutet.“


Auch die Reaktion der CDU ist kaum überraschend. Die CDU hielt über Jahrzehnte an der Trennung der Lehrämter fest und ist für die mangelhafte Ausstattung der PHn und die fehlende Forschung in Schulpädagogik und Fachdidaktik an den Unis verantwortlich. Die stellvertretende bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion Sabine Kurtz polemisierte gegen die angebliche Einführung des „Einheitslehrers“: „Lehrerinnen und Lehrer für alle weiterführenden Schularten sollen künftig einheitlich ausgebildet werden. Das wird nicht nur den Schülerinnen und Schülern mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen nicht gerecht – sondern das ist auch eine klare Ansage zur Zerschlagung des bei Grün-Rot ungeliebten Gymnasiums.“ Auch die FDP-Landesvorsitzende Birgit Homburger kritisierte wenig sachlich „Grün-Rot will erneut die Axt ans Gymnasium legen“.


Alle Kritiker/innen konnten allerdings nicht erklären, inwiefern sich durch die Empfehlungen der Expert/innen die Qualität der Ausbildung der Gymnasiallehrer/innen verschlechtern würde. Volkholz machte mehrfach deutlich, dass es nicht um eine Absenkung der Standards der Lehrerbildung gehen könne. Die neuen Studiengänge würden die Qualität der Ausbildung für alle Lehrer/innen erhöhen.
Eine aus den Empfehlungen resultierende Kabinettsvorlage soll noch vor der Sommerpause fertig gestellt werden. Zuvor sollen die Ratschläge breit diskutiert werden.

Infos zur Expertenkommission und den Bericht findet man hier:
http://mwk.baden-wuerttemberg.de/service/pressemitteilungen/presse-detailseite/expertenkommission-zur-lehrerbildung-legt-empfehlungen-vor/