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G–NEU = Mehr Zeit für gute Bildung

Mehr Zeit – in sich wandelnden Zeiten

In der aktuellen Debatte um die Zukunft der gymnasialen Bildung im Land schlägt die GEW-Landesfachgruppe Gymnasien ein echtes G–NEU vor – mit den Kernpunkten Entschleunigung und zukunftsfähige gymnasiale Bildung für das 21. Jahrhundert.

Eine Lehrerin unterrichtet eine 12. Klasse im Fach Deutsch.
Foto: © imago

Aus unserer Schulpraxis wissen wir, dass wir vor allem eines brauchen, um die Lern- und Gruppenprozesse unserer Schüler*innen motivierend und erfolgreich zu unterstützen: Zeit. Stattdessen stehen wir unter dauerndem Zeitdruck: Die Fülle der Anforderungen passt nicht in den gegebenen Zeitrahmen.

Die resultierende Arbeitsverdichtung wird von Schüler*innen und Lehrkräften gleichermaßen als Stress erlebt, der uns (vor allem, wenn er dauerhaft besteht) krank machen kann. Es liegt also im gemeinsamen Interesse aller am Bildungsprozess Beteiligten, dieser aktuellen Verdichtung der Lernprozesse an unseren Gymnasien wirksam zu begegnen.

# Schulklima

Schule ist für uns alle auch ein Lebensraum. Wir brauchen eine Schule, in der in Ruhe und erfüllend gearbeitet und gelernt werden kann, in der anspruchsvolle und vertiefende Lernprozesse ebenso ihren Platz finden wie der Aufbau eines aktiven Überblickswissens in den einzelnen Fachdisziplinen. Nur so entsteht eine umfassende Bildung, die in unserer schnell veränderlichen Welt Orientierung bietet und zur aktiven Partizipation an unserer Gesellschaft ermutigt.

# Bundestrend

In den westlichen Flächenländern geht die Entwicklung klar in die Richtung der Ausweitung der Lernzeit, insbesondere im Hinblick auf eine Verlängerung der gymnasialen Schulzeit. Bei bundesweit einheitlichen Anforderungen im Abitur muss jedoch auch die Lernzeit zuvor angepasst werden: Auch in Baden-Württemberg brauchen wir eine Entschleunigung der Lernprozesse.

# Arbeitszeit der Lehrkräfte

Bereits 2019 hat der Europäische Gerichtshof die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, eine Arbeitszeiterfassung einzuführen. Arbeitszeitstudien haben die Arbeitszeit an Gymnasien gemessen, sie ist belegbar zu hoch. Nun braucht es eine umfassende und konstruktive Aufgabenkritik. Diese brauchen wir, um dauerhaft gut und gesund arbeiten zu können.

Unsere Arbeitszeit muss unsere vielfältigen Aufgaben endlich realistisch abbilden.

Grafik: Thomas Plaßmann

G–NEU ist mehr als nur „mehr Zeit“

Gymnasiale Bildung im 21. Jahrhundert: wie geht das eigentlich? Darauf gibt es keine einfachen Antworten, wir brauchen dazu eine zukunftsorientierte Diskussion. Zukunftsfähige Bildungsformen sind auf den individuellen Lernfortschritt sowie flexibel auf die persönliche Bildungsbiographie im Rahmen eines lebenslangen Lernens ausgerichtet. Die (Lern-)Zeit ist dabei ein wichtiger, doch nicht der einzige Faktor. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Eigenmotivation, von eigenständigem und forschenden Lernen in Teams sowie die Vernetzung des Wissens müssen im schulischen Umfeld angelegt und gefördert werden.

# Gute Schule

„Mehr Zeit für gute Bildung“ bedeutet aus Sicht der GEW Landesfachgruppe Gymnasien auf jeden Fall: mehr Unterricht, aber eben auch eine kluge Rhythmisierung im Ablauf des Schultages, dazwischen ausreichende Pausenzeiten. In der Unterstufe sind ein Unterrichtsnachmittag, in der Mittel- und Oberstufe zwei Unterrichtsnachmittage angemessen. Ein vielfältiges, attraktives Unterstützungs- und AG-Angebot rundet den schulischen Alltag ab. Für den individuellen Bildungserfolg sind solche Ganztagszusatzangebote essentiell, für eine chancengerechte Schule sind sie unabdingbar.

Daher hat die GEW auf Bundesebene bereits 2017 einen weitreichenden Beschluss gefasst, die GEW Baden-Württemberg hat ihn auf ihrer Landesdelegiertenversammlung 2022 bekräftigt: „Die Sekundarstufe I soll sechs Jahre umfassen, die Sekundarstufe II zwischen zwei und vier Jahren.“

# Ruhe und Entwicklungschancen in der Sekundarstufe I (Klassen 5 bis 10)

Für eine Entschleunigung brauchen wir mehr schulische Lernzeit in den einzelnen Fächern: Dazu müssen innerhalb der Sek I wieder circa 30 Wochenstunden mehr Unterrichtszeit vorgesehen werden. (Dieses entspricht der Stundenausstattung aus früheren G9-Zeiten.) Nur so wird gewährleistet, dass die Schieflagen korrigiert werden, die bei der G8-Einführung durch die Verschiebung von Bildungsplaninhalten und Fächern in niedrigere Klassen entstanden sind. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass die zweite Fremdsprache sowie der Geschichtsunterricht wieder in Klasse 7 beginnen können.

Ein „G9-light“, wie es die Stundenausstattung der 43 Gymnasien im aktuell verlängerten Schulversuch „Zwei Geschwindigkeiten zum Abitur“ bedeutet, lehnt die Landesfachgruppe Gymnasien nach wie vor als unzureichend ab: Die dort angebotenen zwölf zusätzlichen Wochenstunden Hauptfachunterricht (gegenüber G8-Gymnasien) reichen nicht aus, um für die Schüler*innen in allen Fächern eine umfassende Entschleunigung der Lernprozesse zu ermöglichen.

# Individuelle Chancen flexibel nutzen: in der Sek II

Klare Trennung zwischen Sek I und Sek II!

Die 10. Klasse gibt ihre derzeitige Doppelfunktion als letztes Jahr der Sek I und zugleich Einführungsphase in die Oberstufe auf und wird wieder Teil der Mittelstufe. (Im G8-Modell ist diese „Gelenkklasse“ mit 36 und mehr Wochenstunden Pflichtunterricht die Spitze der Arbeitsverdichtung und Stundenbelastung).

Bildungsplaninhalte, die im Zuge der Schulzeitverkürzung aus der Oberstufe in die Klasse 10 (und noch weiter nach unten) verschoben wurden, erhalten ihren ursprünglichen Platz in der gymnasialen Oberstufe zurück. Diese Reorganisation eröffnet Schüler*innen wie Lehrkräften die Chance auf eine nachhaltige Entschleunigung des Unterrichtsalltags in der Sek I.

Selbstverständlich ist uns wichtig, dass diese Veränderung beim Gymnasium auf keinen Fall dazu führen darf, dass Ressourcen in anderen Bildungsbereichen fehlen oder gekürzt werden.

Flexible Zeitenkontingente in der Oberstufe

Mit G–NEU wird der Weg zum Abitur in zwei (Klassen 11 bis 12) oder drei Jahren (Klassen 11 bis 13) möglich, gegebenenfalls noch erweitert durch ein Auslandsjahr.

Diese zeitliche Flexibilisierung eröffnet den Schüler*innen eine altersangemessene selbstbestimmte Gestaltung ihrer individuellen Bildungsbiographie:

  • Einige Schüler*innen werden sich für den dreijährigen Regelablauf mit einem Jahr Einführungsphase plus zwei Jahren Qualifikationsphase entscheiden. Dieser Weg entspräche der alten G9-Struktur.
  • Alternativ ist das niederschwellige Überspringen der Einführungsphase in Klasse 11 möglich; Auf diese Weise können Schüler*innen ihren gymnasialen Bildungsgang weiterhin in insgesamt acht Jahren (mit zweijähriger Sek II) absolvieren.
  • Auch ein zusätzliches Jahr im Ausland im Anschluss an die Sek I soll ermöglicht werden. Nach ihrer Rückkehr können die Schüler*innen das Abitur dann wahlweise nach zwei oder drei Jahren machen. So wären sie insgesamt drei oder vier Jahre in der Oberstufe.

Mit der Formulierung „Die Verweildauer beträgt mindestens zwei, höchstens vier Jahre; [...]“ (Abiturvereinbarung der KMK, 16. März 2023; p.8; Nr.6.1) eröffnet die Kultusminister*innenkonferenz der Länder dezidiert diese Möglichkeit. Die jahrelangen Bemühungen von Seiten der GEW haben sich gelohnt.

Einerseits ist ein echtes G–NEU aus Sicht der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien eine Frage der Entschleunigung. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine zukunftsfähige gymnasiale Bildung für das 21. Jahrhundert.

Interessiert daran, zum Thema Gute Bildung im G–NEU mehr zu erfahren?

Kontakt
Markus Riese
Vorsitzender Fachgruppe Gymnasien