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Kampagne „Bildung. Chance für alle“

Warum die GEW für Bildungsgerechtigkeit eintritt

Noch immer entscheidet die Herkunft von Kindern und Jugendlichen über den Bildungserfolg. Die GEW hat 2023 als Jahr der Bildungsgerechtigkeit ausgerufen – und fordert gleiche Chancen für alle. Ein Zwischenruf der Landesvorsitzenden Monika Stein.

GEW-Landesvorsitzende Monika Stein
GEW-Landesvorsitzende Monika Stein

Die GEW Baden-Württemberg ruft 2023 als Jahr der Bildungsgerechtigkeit aus. Für ein solches Jahr ist es dringend an der Zeit. Warum? Die Herkunft von Kindern und Jugendlichen entscheidet immer noch klar über den Bildungserfolg. Nicht jedes Kind und nicht jede*r Jugendliche hat die gleichen Chancen, entsprechend der eigenen Begabung den besten Bildungserfolg zu erreichen.

Auf der einen Seite wird ein Kind aus einer Familie, in der beide Eltern einen Hochschulabschluss und keine großen finanziellen oder andere Sorgen haben, sehr wahrscheinlich eine erfolgreiche Bildungskarriere erhalten. Auf der anderen Seite wird ein Kind aus einer Einelternfamilie, in der die Mutter (meistens sind es Mütter) mit Hauptschulabschluss, abgebrochener Berufsausbildung und zwei Teilzeitjobs oft nicht weiß, wie sie ihre kleine Familie durch den Monat bringen soll, diese Chance nicht haben. Noch schwieriger wird es, wenn die Mutter nicht ausreichende Deutschkenntnisse oder nur ungenügendes Leseverständnis für Behördengänge und Formulare hat.

Bildungsnähe, finanzielle Sicherheit, eine Wohnung oder ein Haus mit Rückzugsmöglichkeiten zum Entspannen oder Lernen, pädagogische Spielsachen und Bücher zum Vorlesen ermöglichen gute Startchancen für die Bildungskarriere. Familien mit Belastungen wie Krankheit, Armut, Wohnungslosigkeit, Traumata, Sucht oder Behinderungen müssen für die Bewältigung des Alltags mehr Kraft und Ressourcen aufbringen als unbelastete Familien. Erziehungsberechtigte, die schlechte oder gar keine Erfahrungen mit unserem Schulsystem gemacht haben, wissen nicht unbedingt um die Wertigkeit von früher Bildung in der Kita, von Frühförderangeboten, um die Wichtigkeit des regelmäßigen Schulbesuchs oder des Vokabellernens.

Kinder bestmöglich begleiten

Nicht alle Erziehungsberechtigten können bei der Erstellung von Referaten zur Seite stehen und bei der zeitlichen Strukturierung des Alltags oder der Lernprozesse helfen. Ebenso wenig sind sie vielleicht auf den herausfordernden Umgang mit Ängsten oder Misserfolgen in Kita oder Schule vorbereitet. Oft fehlt ihnen auch das Vertrauen in Erzieher*innen, Lehrer*innen oder Beratungs- und Unterstützungssysteme. Ohne dieses Vertrauensverhältnis und eine Erziehungspartnerschaft ist es jedoch schwer, Kinder bestmöglich zu begleiten, zu fördern und ihre Potentiale sowie Unterstützungsbedarfe zu erkennen.

Uns ist deshalb nicht egal, ob Schulen mit vielen Kindern aus herausfordernden Lebenssituationen bessere Versorgung mit Personal und Sachmitteln bekommen als diejenigen, die (fast) nur von Kindern aus privilegierten Familien besucht werden. Deswegen ist es nicht egal, dass unsere Landesregierung von sozialindexbasierter Ressourcenzuteilung im Koalitionsvertrag schreibt, aber jetzt erst einmal einen Pilotversuch über die nächsten Jahre starten lässt. Länder wie Hamburg betreiben und evaluieren diese Ressourcenzuteilung schon einige Jahre. Es ist an der Zeit, ein solches Programm für Baden-Württemberg jetzt zu übernehmen – und bei entsprechend langfristigen Evaluationen später nachzujustieren.

Uns ist deshalb auch nicht egal, dass im deutschlandweiten Vergleich in unseren Grundschulen die meisten Kinder auf eine Lehrkraft treffen. Unsere Grundschullehrer*innen können deshalb weniger individuelle Begleitung und Unterstützung leisten als ihre Kolleg*innen in den Spitzenländern wie Saarland oder Hamburg. In unseren Grundschulen fehlen zudem im Gegensatz zu allen anderen Schularten Poolstunden für Förderung oder AGs.

Bildungsgerechtigkeit ist unerlässlich für eine zukunftsfähige Gesellschaft

Ebenso kann in Baden-Württemberg der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz vielerorts nicht mehr gewährleistet werden, weil Erzieher*innen fehlen. Schon heute kann der Bildungsauftrag der Kitas oft nicht angemessen erfüllt werden, da ressourcenmäßig nur noch eine Verwahrung der Kinder stattfinden muss.

Uns ist ebenfalls nicht egal, dass auch in späteren Bildungswegen nicht jede*r Lernende die gleichen Chancen hat. Wir sind leider weit davon entfernt, dass der Zugang zu Abschlüssen und Qualifikation auf jedem Niveau weder von der sozialen Lage, vom Geschlecht noch von anderen Merkmalen der Person abhängt.

Auch ein Studium darf nicht am Geldbeutel scheitern! Das BAföG muss reformiert werden, damit man sich ein Studium in Baden-Württemberg auch leisten kann. Gleichzeitig muss das Land die soziale Infrastruktur ausbauen und ausreichend bezahlbaren Wohnraum in den Hochschulstädten zur Verfügung stellen –  Mieten (auch bei Studierendenwerken) von 400 Euro sind nicht leistbar.

Wir werden 2023 mit verschiedenen Veranstaltungen auf Landes-, Bezirks- und Kreisebene Bildungsgerechtigkeit und die Wege dorthin thematisieren und in Podcasts, Artikeln und anderen Formaten Aspekte der Chancengleichheit diskutieren. Es gibt für alle in diesem Land viel zu tun, damit wir uns schneller Richtung Bildungsgerechtigkeit bewegen. Lassen Sie uns gemeinsam der Landesregierung, den Mitgliedern des Landtags, den kommunalen Spitzenverbänden und den Kitaträgern vor Augen führen, warum Bildungsgerechtigkeit für eine zukunftsfähige und solidarische Gesellschaft unerlässlich ist. Wir dürfen und wollen 2023 kein Kind, keine*n Jugendliche*n, keine*n Lernende*n zurücklassen.

Kontakt
Monika Stein
Landesvorsitzende
Telefon:  0711 21030-10