Kitaleitung
Viel zu viel Verwaltungsarbeit
Auch nach der Corona-Pandemie hat sich dich Lage an den Kitas nicht sonderlich entspannt. Warum das so ist, darüber berichten die Kitaleitungen Jurate Matikaite, Martin Daub und Ringo Meyer.
Martin Daub war in seinem ersten Beruf als Industriemechaniker nicht glücklich und absolvierte eine Erzieherausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik in Pforzheim. Ein Schritt, den der 58-Jährige bis heute nicht bereut. Daub leitet die Städtische Kindertagesstätte Holzgartenstraße in Pforzheim. 20 Mitarbeiter*innen, zwei Duale Studentinnen und drei PIA-Praktikantinnen betreuen 86 Kinder im Alter von einem bis sechs Jahren.
Jurate Matikaite leitet seit 2017 die „Tageseinrichtung für Kinder Schwabstraße“ in Stuttgart, wo neben ihr fünf feste Mitarbeiter*innen, eine hauswirtschaftliche Fachkraft und eine pädagogische Praktikantin für 31 Kinder verantwortlich sind. Matikaite kam nach dem Abitur 2001 über den Europäischen Freiwilligendienst von Litauen nach Stuttgart, wo sie Sozialpädagogik studierte. Danach arbeitete sie in einem Hort mit Schulkindern, wechselte dann in die Kita. Hier fühlt sie sich am richtigen Platz.
Ringo Meyer ist seit 1998 Erzieher und seit 2018 Fachwirt für Organisation und Führung. 2019 übernahm der 45-Jährige die neu geschaffene Stelle der stellvertretenden Leitung des Kinderhauses Hochdorf in Remseck am Neckar, einer Einrichtung mit bis zu 130 Kindern im Altern von einem bis zehn Jahren. Um Kita aktiv mitzugestalten, hat Meyer den Arbeitskreis Kitaleitung bei der GEW mitgegründet.
Wie läuft es derzeit bei euch, und mit welchen Aufgaben seid ihr hauptsächlich beschäftigt?
Ringo Meyer: Wir sind damit beschäftigt, die Einrichtung zu organisieren und natürlich mit den klassischen Aufgaben im Hinblick auf Kinder, Mitarbeiter und Eltern. Zudem werden die Verwaltungsaufgaben immer mehr. Das beobachten wir nicht erst seit Beginn der Pandemie. Und dann ist es eine enorm große Aufgabe, das Haus trotz der hohen Krankenstände gut am Laufen zu halten.
Jurate Matikaite: Das geht mir genauso! Vor Weihnachten ist immer eine heiße Zeit bei uns: Elternabende, Laternenfest, Weihnachtsfeiern für Kinder und Eltern, Arbeitsgruppen. Hinzu kommen Fehlzeiten durch Krankheitsfälle und Fortbildungen. Mein Arbeitsberg wächst und der Stapel auf meinem Schreibtisch wird immer größer. Jede Menge Verwaltungsarbeit, wie Krankmeldungen, Beurteilungen, Bestellungen, Kommunikation mit der Personalstelle und Anträge. Wenn das Waschbecken verstopft ist oder der Drucker nicht funktioniert, muss ich mich darum kümmern, dass es repariert wird. Bei uns ist viel Arbeit auf wenigen Schultern verteilt. Alle sind am Ende ihrer Kraft. Unser Humor trägt uns durch schwere Zeiten. Wir lachen viel und machen das Beste aus der Situation – getreu einem Ausspruch von Joachim Ringelnatz: Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt. Außerdem macht uns die Arbeit mit Kindern viel Freude. Sie beflügelt uns, und es ist einfach schön mitzuerleben, wenn die Kleinen Meilensteine erreichen oder eine Familie unsere Hilfe annimmt. Wir können dazu beitragen, dass es den Kindern und den Familien besser geht.
Zu wie viel Prozent seid ihr für eure Tätigkeit als Leiter*in beziehungsweise stellvertretender Leiter freigestellt?
Martin Daub: Ich bin in der komfortablen Lage, dass ich zu 100 Prozent freigestellt bin.
Matikaite: Für meine Leitungsaufgaben bin ich zu 50 Prozent freigestellt.
Meyer: Wir leben auf der Insel der Glückseligen, denn unser Träger hat festgeschriebene Leitungs- und Stellvertreterzeiten sowie Vorbereitungszeiten. Die Leiterin unseres Hauses ist zu 100 Prozent freigestellt und für meine Stellvertreteraufgaben bin ich zu zehn Prozent freigestellt – im Vergleich zu anderen Trägern ist das richtig gut, Luft nach oben sehe ich aber trotzdem.
Habt ihr Stellen zu besetzen?
Matikaite: Wir suchen eine stellvertretende Leitung. Leider ist bis jetzt keine passende Bewerbung dabei. Mich wundert das nicht, denn für diese Position gibt es bei uns keine Freistellung, der Verdienst ist so wie für eine Gruppenleitung, allerdings mit mehr Verantwortung. Attraktiv ist das nicht. Wir suchen weiter und beißen so lange die Zähne zusammen.
Daub: Momentan fehlt uns eine Kraft.
Meyer: Da wir schwangere Mitarbeiterinnen nicht beschäftigen dürfen, haben wir vakante Stellen. Grundsätzlich gibt es zu wenig Nachwuchs- und Vertretungskräfte. Durch die Krankheitswelle können wir zurzeit auch nur 7,5 statt zehn Stunden Betreuungszeit anbieten.
Von Andrea Toll
Hacer Aksoy hat seit 2019 die stellvertretende Leitung inne und übernimmt Anfang Februar die Leitung „Tageseinrichtung für Kinder Griegstraße“ von Petra Kilian.
Ab Anfang Februar hat Hacer Aksoy einen neuen Job: Sie wird die „Tageseinrichtung für Kinder Griegstraße“ in Stuttgart leiten. Seit Jahren arbeiten sie und Petra Kilian, die die Kita 22 Jahre lang geleitet hat, an der Einarbeitung. „Das läuft optimal. Ich kann Petra alles fragen, kenne die Abläufe und die Leitungen anderer Kitas und weiß, wer meine Ansprechpartner*innen bei der Stadt sind“, gibt Aksoy Auskunft, die seit 2019 die stellvertretende Leitung innehat. Aufgaben wie Dienstpläne erstellen, Essen bestellen, das Intranet pflegen, Anträge stellen und das Budget verwalten, gehören für die 39-Jährige mittlerweile zum Alltag. „Um nichts zu vergessen, dokumentiere ich die Vorgänge“, berichtet sie. Ihr gutes Zeitmanagement und ihr Talent, strukturiert zu arbeiten, seien außerordentlich hilfreich, um den Überblick im oft hektischen Kita-Alltag zu behalten. Nicht nur da: Aksoy studiert berufsbegleitend Sozialpädagogik und Management. Im Sommer 2023 macht sie ihren Abschluss. „Ich finde es sehr wichtig, mich fachlich weiterzuentwickeln. Das macht sich in der Qualität der Arbeit bemerkbar“, betont Aksoy.
Auch ihre jungen Kolleg*innen erlebt Aksoy motiviert. Die Stimmung im Team sei gut und die Zusammenarbeit laufe harmonisch – auch weil sie nach der Pandemie wieder zum offenen Konzept zurückkehren konnten. Das begeistere Kinder wie Mitarbeiter*innen gleichermaßen. Als Leiterin möchte Aksoy diesen Schwung nutzen und Möglichkeiten zur Weiterbildung aufzeigen. Zum Beispiel bietet die Stadt Stuttgart ein Führungskräfte-Nachwuchsprogramm an. Wie vielen bereitet ihr der Fachkräftemangel Sorgen. Auch in der Kindertageseinrichtung Griegstraße gibt es noch unbesetzte Stellen. Deswegen werden hier statt 105 zurzeit nur 90 Kinder betreut. „Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, können wir den Betrieb aufrechterhalten – mehr nicht“, sagt Aksoy mit Nachdruck.
Personal- und Fachkräftemangel ist in vielen Branchen ein brennendes Thema. Wie schätzt ihr die Lage bei den Kitas ein?
Daub: Früher musste man sich wegen der Fachkräfte keine Gedanken machen. Da konnten die Kitas aus den Vollen schöpfen. Wenn jemand kündigte, war es gar kein Problem, die Stelle neu zu besetzen. Als Berufseinsteiger musste ich sieben Jahre auf einen festen Vertrag warten. Heute sieht das anders aus. Ich investiere viel Zeit, damit meine 20 Mitarbeiter*innen sich wohlfühlen und keinen Grund haben, den Arbeitsplatz zu wechseln. In meinen Augen steht die frühkindliche Bildung vor dem Kollaps, denn die ganze Last liegt auf den Schultern der langjährigen Mitarbeiter*innen, die die Belastung auf Dauer nicht aushalten: entweder werden sie krank oder wechseln den Beruf.
Meyer: Wir brauchen dringend gute Fachkräfte und Mentor*innen für die Azubis. Mangelndes und nicht qualifiziertes Personal ist nicht nur für Kitas schlecht, sondern wirkt sich später auf die Schulen aus. Viele Erzieher*innen, die jetzt in Rente gehen, waren mit Herzblut dabei. Ich beobachte, dass einige der jungen Mitarbeiter*innen eine andere Auffassung von beruflichem Engagement haben und zum Teil auch nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Matikaite: Ich sehe mit Sorge, wie sich das Thema entwickelt. Personal fehlt und ich höre immer wieder, dass junge Mitarbeiter*innen und Erzieher*innen sagen, dass sie nicht wissen, ob sie in diesem Beruf alt werden möchten. Schlechte Bezahlung, Inflation, hohe Belastung und schlechtes Image tragen nicht gerade dazu bei, dass der Beruf attraktiver wird.
Auch Leitungsstellen, Stellvertretungen mit eingeschlossen, bleiben unbesetzt. Was müsste sich eurer Ansicht nach ändern, damit der Job attraktiver wird?
Meyer: In den Leitungsbüros sitzen Frauen und Männer, die Expert*innen der frühkindlichen Bildung sind und die darauf brennen, ihre Teams voranzubringen, konzeptionell zu arbeiten, ihre Mitarbeiter*innen zu führen und zu motivieren, die aber mit Verwaltungsaufgaben stark ausgelastet sind. Deswegen wünsche ich mir, dass wir gemeinsam mit den Trägern daran arbeiten, Verwaltungsaufgaben zu optimieren, zu verschlanken oder in die Trägerverwaltung zu übertragen.
Matikaite: Dem kann ich mich anschließen. Die Arbeit würde leichter, wenn wir weniger Verwaltungsaufwand und mehr Zeit hätten, um Prozesse effizienter zu gestalten, Ideen zur Gestaltung der Kita umzusetzen und Teambesprechungen durchzuführen. Das bleibt viel zu oft auf der Strecke.
Was könnt ihr eurer Meinung nach tun, um die Situation zu verbessern?
Meyer: Mir scheint, dass an den entscheidenden Stellen noch nicht angekommen ist, wie sich unsere Arbeit in den letzten 15 Jahren verändert hat. Es fehlt an Ansätzen, wie darauf reagiert werden kann. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Deshalb finde ich es wichtig, nicht nur zu meckern, sondern mitzugestalten, zum Beispiel im GEW-Arbeitskreis Kitaleitung. So können wir Trägern, Politiker*innen und Gewerkschafter*innen Themen, die unserer Arbeit wirklich dienlich sind, mit an die Verhandlungstische und in die Entscheidungsgremien geben.
Daub: Das sehe ich auch als einzigen Weg. Wir müssen ein Bewusstsein für unsere Arbeit in den Kitas schaffen.