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Kitaleitungstag der GEW

Kitas sollen es richten

Fachkräftemangel allüberall! Aber wie wirkt sich das auf den Alltag in Kitas aus? Bei einer Tagung Anfang März kamen rund 100 Kitaleitungen aus ganz Baden-Württemberg zusammen. Ihre Wut ist groß und die Forderungen an Politik und Träger sind lang.

Der Staatssekretär des Kultusministeriums, Volker Schebesta (CDU), und Dennis Birnstock, Sprecher für frühkindliche Bildung (FDP), waren zum Kitaleitungstag der GEW erst für den Nachmittag eingeladen. Davor erarbeiteten die Kitaleitungen mit wissenschaftlicher Unterstützung von Professorin Petra Strehmel, was sie den Politikern mit auf den Weg geben wollen. Der ganz große Frust der überwiegend weiblichen Kitaleitungen war da fast schon verraucht. War der Tag doch eine seltene Gelegenheit für Leitungen, sich unter Gleichgesinnten austauschen zu können und zu spüren, die Sorgen und Nöte sind überall ähnlich.

Eine Not ist der gesellschaftliche Anspruch. Wenn Kinder ohne (deutsche) Sprachkenntnisse in die Kitas kommen, wenn Kindern die einfachsten Grundfertigkeiten fremd sind, wenn sie traumatisiert aus Kriegsgebieten kommen, wenn Eltern Beruf und Familie nicht vereinbaren können, dann sollen es die Kitas richten. Auch dann, wenn es an Personal mangelt, an gut ausgebildeten Pädagog*innen allemal.

Lucia Dörflinger aus einer Freiburger Kita ärgert sich über die Anspruchshaltung mancher Eltern, die immer noch nicht verstanden hätten, dass es kein Personal mehr gebe. Ihre Kita schließt nun in drei von vier Gruppen bereits um 14 Uhr, statt wie vorher um 17 Uhr. Sie hat dabei kein schlechtes Gewissen mehr. Sie sieht die Maßnahme als pure Notwehr. „Ich kümmere mich jetzt um die Kinder und um mein Team. Der Kipppunkt ist erreicht“, erklärt sie ohne eine Spur von Zweifel. Sie mag sich den Frust der Eltern nicht mehr anhören und sie schützt auch ihr Team davor.

Sogar wenn Personal vorhanden ist, sind die Unwägbarkeiten groß. „Ein Drittel der Fachkräfte bleibt im Beruf, der Rest nutzt die Ausbildung als Sprungbrett, um nachher studieren zu können oder woanders hinzugehen“, beobachtet Lucia Dörflinger. Die Wissenschaftlerin Strehmel empfiehlt eine neue Kultur der Weiterbildung gegen Frühfluktuation. Wobei das ohne zusätzliche Ressourcen ein Wunschtraum bleiben dürfte.

Dazu kommt, dass junge Fachkräfte nicht selten andere Lebens- und Arbeitseinstellungen haben. Jermaine Miguel Sink zählt sich zur sogenannten Generation Z. Er ist 1994 geboren und leitet seit drei Monaten einen Waldkindergarten in Freiburg. In Vollzeit, wie er betont. Er kann sich durchaus vorstellen, weniger zu arbeiten. Er brauche keine Ersparnisse für Auto, Urlaub oder Haus. Sink wohnt in einer Wohngemeinschaft, und er kaufe keinen Mantel für 500 Euro, erklärt er. Für Lucia Dörflinger, die als 40-Jährige zu einer anderen Generation gehört, ist „Vier-Tage-Woche“ ein Reizwort geworden. Sie fragt: „Wenn viele Fachkräfte flexible Arbeitszeiten beanspruchen oder nur bestimmte Kinder betreuen möchten, wie soll ich dann noch die Arbeitszeiten managen?“ Auch andere Kitaleiterinnen äußern sich ähnlich.

Klugheit der Fachkräfte

Bei all der Personalnot darf die Qualität nicht verloren gehen. Daran erinnert auch Petra Strehmel. „Kinder müssen im Mittelpunkt allen Tuns stehen“, sagt sie. Auf die Klugheit der Fachkräfte dürfe nicht verzichtet werden, und das Fachkräftegebot müsse verteidigt und gestärkt werden. Die Wissenschaftlerin weist vor allem darauf hin, wie wichtig gute Leitungen sind, die Zeit für ihre vielfältigen Aufgaben brauchen.

Sie hat berechnet, wie viel Zeit Leitungen eingeräumt werden sollte. Sie plädiert dafür, die soziale Lage einer Kita zu berücksichtigen. Minimum 14 Prozent veranschlagt sie für Verwaltungsarbeit, auch 20 Prozent Ausfallzeiten durch Fortbildung, Urlaub und Krankheiten seien einzurechnen. „Die Berechnungen sind kompliziert“, sagt die Wissenschaftlerin, „aber Politik braucht einfache Lösungen“. Für 100 Kinder komme grob berechnet eine Leitungsstelle raus. 60 Prozent der Kitas hätten bundesweit keine ausreichende Leitungszeit. Wobei in dieser Zahl das Gute-Kita-Gesetzt noch nicht zum Tragen gekommen sei.

Verbesserungsvorschläge

Was entlasten könnte, davon haben die Kitaleiter*innen klare Vorstellungen. Sie erwarten vor allem ­angemessene Tarifabschlüsse. Der Abschluss für den Sozial- und Erziehungsdienst im letzten Jahr hat vor allem Kitaleitungen sehr verärgert. „Wir haben einen wahnwitzigen Alltag, und dann dieses Ergebnis“, empört sich Katrin Sailer-Schmidt, Kitaleiterin aus Karlsruhe und Mitglied des GEW-Arbeitskreises Kitaleitung. Der Abschluss hat dazu geführt, dass die meisten Kitaleitungen im Gegensatz zu allen anderen Kitabeschäftigten keine monatliche Zulage erhalten. „Wir müssen mit einer Stimme sprechen und unseren Anliegen Nachdruck verleihen“, erklärt sie.

Mehr gesellschaftliche Anerkennung steht auch ganz oben auf der Wunschliste. Lucia Dörflinger verdeutlicht das aus Erlebnissen aus ihrem Alltag: „Wenn ich nach jahrelangen Beobachtungen ein Kind einschätze, vertrauen Eltern trotzdem ihrer Kinderärztin, die ihr Kind nur zehn Minuten gesehen hat.“ Das werte sie als Missachtung ihrer Profession und ärgert sie.

Neben konsequenter Leitungszeit erwarten die Fachtagsteilnehmenden, dass Verwaltungs- und Haushaltskräfte ihnen nicht-pädagogische Arbeiten abnehmen.

Volker Schebesta kennt den Personalmangel (er spricht von Personalbedarf), versteht die Anliegen der Kitaleitungen und hört auch Petra Strehmels Berechnungen für mehr Leitungszeit. Trotz der Diskussion um G8/G9, die das Gymna­sium stärken soll, hätten sich die Gewichte verschoben und frühkindliche Bildung habe an Bedeutung gewonnen, beteuert der Staatssekretär. Als kleinen Erfolg sieht er schon den Abwehrkampf gegen einen schlechteren ­Fachkraft-Kind-Schlüssel. Auch seien die Ausnahmeregelungen, die während Corona gegolten haben, nicht 1:1 fortgeschrieben worden. Bei der Forderung nach Verwaltungskräften sieht er die Träger in der Pflicht. Wichtig ist ihm jedoch, dass die positiven Emo­tionen des Berufs und die Freude daran vermittelt werden. Sonst würde sich kein Personal mehr gewinnen lassen. „Wie wir über das Feld reden, wirkt sich auf das Image aus“, sagt Schebesta. Dafür bekommt er Applaus.

Petra Kilian, viele Jahre bei der GEW zuständig für die frühkindliche Bildung und 40 Jahre lang Kitaleiterin, gibt Schebesta die Warnung mit auf den Weg: „Wenn die Politik die Realität in den Kitas nicht ernst nimmt, schmeißen auch erfahrene Kitaleitungen den Bettel hin.“

Kontakt
Heike Herrmann
Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
Telefon:  0711 21030-23
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