Interview
„Mein Herz schlägt dort, wo ich Benachteiligung erlebe“
Udo Heidrich ist Schulsozialarbeiter in Schriesheim und fachlicher Leiter des dortigen Teams der Schulsozialarbeit. Er spricht darüber, wie er seine Aufgaben versteht und was ihm wichtig ist.
Wie lange bist du schon Schulsozialarbeiter?
Udo Heidrich: Seit etwa 20 Jahren. Zuerst war ich an einer Werkrealschule und einem beruflichen Bildungszentrum beschäftigt. Seit 2014 arbeite ich jetzt am Gymnasium in Schriesheim.
Welche weiteren Schulsozialarbeiter*innen gibt es in Schriesheim?
Heidrich: Vor fast zehn Jahren startete ich mit meiner Kollegin Denise Gering-Schmidt. Inzwischen sind wir sechs Kolleg*innen an fünf öffentlichen Schulen, die sich 3,5 Stellen teilen. Auch an einer Kleinstgrundschule mit 70 Kindern ist eine Kollegin mit einer halben Stelle an allen Wochentagen vor Ort. Für Kinder im Grundschulalter ist es schwer zu verstehen, wenn sie ihre Schulsozialarbeiterin nicht täglich erreichen können. Sie wollen die Sorgen und Probleme auch schnell klären. Wichtig ist jedenfalls, dass es Schulsozialarbeit an allen Schulen gibt. Im nächsten Schritt kann es dann um einen entsprechenden Stellenschlüssel gehen.
Neben der Schulsozialarbeit bist du auch die fachliche Leitung für dein Team. Wie kann ich mir die Tätigkeit vorstellen?
Heidrich: Mit einem Drittel meiner Stelle verantworte ich als Fachleitung hauptsächlich die konzeptionelle Weiterentwicklung und Qualitätssicherung der Schulsozialarbeit. Dabei lege ich Wert darauf, dass wir als Team in die eine Richtung gehen, beispielsweise gemeinsame Fortbildungen besuchen und in unserer Arbeit die gleichen Methoden anwenden. Das erleben alle als sehr gewinnbringend, und es gibt uns Sicherheit, insbesondere wenn es um Fragen des Kinderschutzes geht.
„Häufig geht es um Konfliktklärungen und -regelungen, Coaching zum Verhalten und um Beratungen in persönlichen Problemlagen.“
Welche Aufgaben hat die Schulsozialarbeit und welche Schwerpunkte setzt du?
Heidrich: Die Schulsozialarbeit ist Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Die Angebote richten sich in erster Linie an die jungen Menschen, die ausgegrenzt werden, benachteiligt sind, Gewalterfahrung machen, in Konfliktlagen sind. Meine Tür ist offen, ich bin präsent und ansprechbar für Schüler*innen, Eltern, die Schulleitung und Kolleg*innen an der Schule.
Einzelgespräche mit Schüler*innen, Eltern- und Kooperationsgespräche bilden einen Schwerpunkt meiner Arbeit. Häufig geht es um Konfliktklärungen und -regelungen, Coaching zum Verhalten und um Beratungen in persönlichen Problemlagen. Gut ist, dass wir schon seit vielen Jahren an unserem Schulzentrum ein Angebot der Erziehungsberatungsstelle haben, das von der Caritas getragen wird. So können alle zusätzlich vor Ort sehr niederschwellig beraten werden. Wir kooperieren gut mit der Caritas und auch mit unserer Beratungslehrkraft.
Netzwerken und Kooperieren siehst du demnach ebenfalls als eine wichtige Aufgabe der Schulsozialarbeit an?
Heidrich: Ja, als Team überlegen wir immer, wie wir im Sinne der Schüler*innen und ihrer Familien unsere Kooperationen lebendig halten und ausbauen können. Gut wäre noch eine regelmäßige Sprechstunde des Allgemeinen Sozialdienstes vor Ort. Wenn junge Menschen mit psychischen Problemen, Suchtverhalten und anderen Herausforderungen zu uns kommen, müssen wir sie gegebenenfalls rasch an Fachberatungsstellen und Expertinnen vermitteln können. Die Kontakte in den Sozialraum sind deshalb grundlegend.
Bietest du auch Gespräche für Klassen an?
Heidrich: Die Arbeit mit Klassen ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit. Wir wenden unter anderem die Methode „demokratiepädagogischer Klassenrat“ an. Das Angebot machen meine Kolleg*innen schon in der Grundschule, und wenn die Kinder in die weiterführenden Schulen kommen, sind sie schon mit Ehrlichkeit und respektvollen Umgang vertraut. Von Klasse 5 bis 8 halte ich das Angebot aufrecht, weil diese Tugenden Voraussetzung sind, um ein Demokratieverständnis zu entwickeln. Mein Ziel ist, dass die Schüler*innen lernen, im demokratischen Sinne miteinander umzugehen, also Meinungen stehen lassen können und andere Meinungen aushalten lernen. Sie erfahren, dass sie in einer Gruppe offen sprechen können, ohne ausgegrenzt zu werden. Häufig haben Klassenratsleitungen später den Vorsitz im Jugendgemeinderat und führen ihre demokratische Arbeit in anderen Gremien weiter. Eine super gute Entwicklung, deren erste Schritte bei uns an der Schule gemacht wurden.
Ist Demokratiebildung nicht Aufgabe der Schule?
Heidrich: Doch, wir bieten der Schule jedoch eine Methode an, die wir ausschließlich zusammen mit der Klassenleitung durchführen. Ist die Lehrkraft auf Fortbildung oder krank, mache ich keinen Klassenrat. Es gibt auch den Konsens an der Schule, dass Einzelfallhilfe immer Vorrang hat. Tritt ein individueller Notfall ein, kann ich mich diesem widmen. Viele Lehrkräfte, die schon lange Jahre mit mir zusammenarbeiten, führen den Klassenrat mit einem großen Selbstverständnis durch. Ich nehme der Schule ihren Bildungsauftrag also nicht ab, ich biete allerdings die Sichtweise und Expertise der Kinder- und Jugendhilfe an und komme meinem Auftrag nach, Benachteiligung entgegenzuwirken. Bei uns ist der demokratiepädagogische Klassenrat inzwischen im Sozialcurriculum der Schule verankert. Die Kooperation mit den Kolleg*innen aus der Schule gelingt übrigens dann gut, wenn für Absprachen auch ein Zeitfenster zur Verfügung steht. An unserer Schule ist das der Fall.
„Die Angebote richten sich in erster Linie an die jungen Menschen, die ausgegrenzt werden, benachteiligt sind, Gewalterfahrung machen, in Konfliktlagen sind.“
Was kann Schulsozialarbeit zur Schulentwicklung beitragen?
Heidrich: Schulentwicklung ist ganz klar Sache der Schule. Ich kann aber als Schulsozialarbeiter Impulse und Ideen einbringen und dazu beitragen, dass der Lebensraum Schule gerechter und attraktiver wird. Kinder und Jugendliche halten sich lange in der Schule auf. Sie sollten sich hier auch wohlfühlen. Gerade Kinder, denen es zuhause nicht so gut geht, brauchen einen Ort, an dem sie bleiben wollen. Dort, wo ich Benachteiligung erlebe, schlägt mein Herz dafür, einen Ausgleich zu schaffen, damit es den Schüler*innen besser geht.
Kannst du Beispiele nennen, bei denen dir das gelungen ist?
Heidrich: Zum Beispiel habe ich das grüne Klassenzimmer mit initiiert, ein zusätzlicher Ort für Schüler*innen im Außenbereich, der als Treffpunkt dient und für Unterricht im Draußen genutzt wird. Jugendliche konnten sich dort im Rahmen eines vom Land geförderten Projekts zur Berufsorientierung einen Ort schaffen, wo sie sich gerne aufhalten.
Die Hausaufgabenbetreuung ist auch ein Beispiel. Dabei will ich betonen, dass die Schüler*innen selbst die Betreuung durchführen. Mein Part war, das Projekt anzustoßen, damit die Nachteile derer, die durch das Elternhaus nicht unterstützt werden, besser ausgeglichen werden.
Deine Rolle als Impulsgeber und Initiator betonst du besonders. Weshalb?
Heidrich: Weil wir als Schulsozialarbeiter*innen schnell Gefahr laufen, Aufgaben der Schule zu übernehmen. Wir wollen unterstützen, unsere zeitlichen Ressourcen sind jedoch knapp und wir müssen gut überlegen, wie wir sie nutzen. Uns ist wichtig, das System als Ganzes im Blick zu haben, unsere Ideen und Expertise einzubringen und nicht zu vergessen, dass unser Auftrag aus der Jugendhilfe kommt. Es stärkt uns, dass wir als Team und in der Vernetzung mit weiteren Kolleg*innen der Schulsozialarbeit immer auch eigene Themen bearbeiten.
Um welche Themen handelt es sich dabei?
Heidrich: Wir haben beispielsweise eine Handreichung zum Datenschutz in der Schulsozialarbeit erstellt, ebenso Hinweise für Berufseinsteiger*innen in der Schulsozialarbeit. Ganz unabhängig von den schulischen Schutzkonzepten, bei denen die Schulsozialarbeit beteiligt sein sollte, braucht die Schulsozialarbeit ein eigenes Schutzkonzept. Wir stellen gemeinsam die Betreuung unserer Praktikant*innen sicher und haben das Ziel, dass die Schulsozialarbeit in die Fläche kommt und zwar professionell.
Engagierst du dich deshalb aktiv in der GEW?
Heidrich: Wenn wir mitgestalten wollen, dann müssen wir uns engagieren. Die Möglichkeit habe ich in der GEW und nutzte sie. Das Ziel muss sein, mehr Stellen zu bekommen und die Schulsozialarbeit qualitativ abzusichern. Außerdem brauchen wir eine bessere Bezahlung. Die Höhergruppierung in die S12 reicht nicht, zumal bei den letzten Tarifverhandlungen die Mitnahme der Stufenlaufzeit nicht verhandelt wurde und einige Kolleg*innen somit keine Gehaltsverbesserungen haben.
Mein großes Anliegen ist die fachliche Leitung besser zu regeln und dass Schulsozialarbeiter*innen in ein eigenes Team eingebunden sind. Vielen Kolleg*innen fehlen eine fachliche Leitung und Vertretung. Soziale Arbeit muss immer auch als politische Arbeit verstanden werden.
Das Interview führte Heike Herrmann, GEW-Referentin für Kinder- und Jugendhilfe und ehemalige Schulsozialarbeiterin.
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